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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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thümliche Geräthe und den Schnitt der Kleider. Blieb man dagegen in unsrer
Zeit, so suchte man nach den wenigen Ueberresten nationaler Volkstrachten oder
auf dem Lande und im Gebirge nach bunten Bauernröckcn. Hier war zugleich
im Gegensatz zu der reflectirten und verwaschenen Gesittung der Städte noch
eine gewisse Harmlosigkeit und Eigenheit der Sitte zu finden, die sich in die
Erscheinung fassen ließ. Aber da doch der Künstler jener Vergangenheit wie
diesen Kreisen der Gegenwart fremd gegenüberstand und weder die tiefere
Beobachtung noch den Humor mitbrachte, welche zum Beispiel die Holländer
befähigten, Bürger und Bauern in ihrer Häuslichkeit oder in ihrem geselligen
Treiben zu belauschen und in den engen Rahmen dieses kleinen Daseins ein
erfülltes ungebrochenes Leben, eine ganze Welt zu legen; so fand er bald die
einfachen Situationen leer und geistlos und ging darauf aus, in sein Bild
durch eine besondere, pikante oder witzige Beziehung der Personen einen reicheren
Inhalt zu bringen. So entstand, was die Vergangenheit anlangt, neben dem
gewöhnlichen das historische Sittenbild; in die Darstellung der gegenwärtigen
Welt trat neben der harmlosen Auffassung das Rührende und Lächerliche der
menschlichen Verhältnisse, selbst das Unglück der socialen Widersprüche, kurz die
reiche Mannigfaltigkeit der kleinern Conflicte ein. Auch hier also drängte sich
die Frage nach der Bedeutung des Inhaltes wieder in den Vordergrund, und
so findet auch hier von Seiten der jüngeren Talente ein Rückschlag statt, dem
ähnlich, den wir oben beobachtet haben, indem sie ihr Augenmerk mehr auf die
Wirkung der malerischen Erscheinung für sich richten. Doch ist die dem Gegen¬
stand entnommene Theilung des Sittenbildes in verschiedene feste Zweige auch
nun noch durchgreifend, da auch die Neueren in dem einen oder andern Fach
sich bleibend eingebürgert haben. Nur ist durch sie, wie wir sehen werden, ein
neuer Zweig hinzugekommen: das ausländische Sittenbild.

Wie das Geschichtsbild, war auch das historische Sittenbild nur
schwach vertreten; im Ganzen erlahmt doch allmälig das Interesse des Publi-
cums für diese Gattung und die bestellten, für öffentliche Gebäude bestimmten
Werke der Art kamen ja nicht in die Ausstellung. Das bemerkenswertheste
Bild war wohl Nikutowskys "Nach der Schlacht bei Leipzig", der letzte
verzweifelte Kampf in den Straßen der Stadt. Das. Bild kam zur guten
Stunde und war von um so größerer Wirkung, als es nicht die Prosa der
modernen Schlacht gibt, deren Seele nicht sowohl im Aufeinanderstoß der
Individuen, als im Gehirn des Feldherrn und der geschulten Tapferkeit der
Massen liegt, sondern den malerischen Moment, in dem die Leidenschaften der
Einzelnen hervortreten, der Besiegte dem nahen Untergange auf eigene Faust
zu entrinnen sucht, der Sieger begeistert den letzten Schlag führt und Alles in
der furchtbaren Anstrengung des letzten Augenblicks sich aufrafft, .in Gruppen
der mannigfaltigsten Art sich löst und fügt. Diese Bewegtheit des Vorgangs


Grenzboten IV. 1863. 32

thümliche Geräthe und den Schnitt der Kleider. Blieb man dagegen in unsrer
Zeit, so suchte man nach den wenigen Ueberresten nationaler Volkstrachten oder
auf dem Lande und im Gebirge nach bunten Bauernröckcn. Hier war zugleich
im Gegensatz zu der reflectirten und verwaschenen Gesittung der Städte noch
eine gewisse Harmlosigkeit und Eigenheit der Sitte zu finden, die sich in die
Erscheinung fassen ließ. Aber da doch der Künstler jener Vergangenheit wie
diesen Kreisen der Gegenwart fremd gegenüberstand und weder die tiefere
Beobachtung noch den Humor mitbrachte, welche zum Beispiel die Holländer
befähigten, Bürger und Bauern in ihrer Häuslichkeit oder in ihrem geselligen
Treiben zu belauschen und in den engen Rahmen dieses kleinen Daseins ein
erfülltes ungebrochenes Leben, eine ganze Welt zu legen; so fand er bald die
einfachen Situationen leer und geistlos und ging darauf aus, in sein Bild
durch eine besondere, pikante oder witzige Beziehung der Personen einen reicheren
Inhalt zu bringen. So entstand, was die Vergangenheit anlangt, neben dem
gewöhnlichen das historische Sittenbild; in die Darstellung der gegenwärtigen
Welt trat neben der harmlosen Auffassung das Rührende und Lächerliche der
menschlichen Verhältnisse, selbst das Unglück der socialen Widersprüche, kurz die
reiche Mannigfaltigkeit der kleinern Conflicte ein. Auch hier also drängte sich
die Frage nach der Bedeutung des Inhaltes wieder in den Vordergrund, und
so findet auch hier von Seiten der jüngeren Talente ein Rückschlag statt, dem
ähnlich, den wir oben beobachtet haben, indem sie ihr Augenmerk mehr auf die
Wirkung der malerischen Erscheinung für sich richten. Doch ist die dem Gegen¬
stand entnommene Theilung des Sittenbildes in verschiedene feste Zweige auch
nun noch durchgreifend, da auch die Neueren in dem einen oder andern Fach
sich bleibend eingebürgert haben. Nur ist durch sie, wie wir sehen werden, ein
neuer Zweig hinzugekommen: das ausländische Sittenbild.

Wie das Geschichtsbild, war auch das historische Sittenbild nur
schwach vertreten; im Ganzen erlahmt doch allmälig das Interesse des Publi-
cums für diese Gattung und die bestellten, für öffentliche Gebäude bestimmten
Werke der Art kamen ja nicht in die Ausstellung. Das bemerkenswertheste
Bild war wohl Nikutowskys „Nach der Schlacht bei Leipzig", der letzte
verzweifelte Kampf in den Straßen der Stadt. Das. Bild kam zur guten
Stunde und war von um so größerer Wirkung, als es nicht die Prosa der
modernen Schlacht gibt, deren Seele nicht sowohl im Aufeinanderstoß der
Individuen, als im Gehirn des Feldherrn und der geschulten Tapferkeit der
Massen liegt, sondern den malerischen Moment, in dem die Leidenschaften der
Einzelnen hervortreten, der Besiegte dem nahen Untergange auf eigene Faust
zu entrinnen sucht, der Sieger begeistert den letzten Schlag führt und Alles in
der furchtbaren Anstrengung des letzten Augenblicks sich aufrafft, .in Gruppen
der mannigfaltigsten Art sich löst und fügt. Diese Bewegtheit des Vorgangs


Grenzboten IV. 1863. 32
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[0257] thümliche Geräthe und den Schnitt der Kleider. Blieb man dagegen in unsrer Zeit, so suchte man nach den wenigen Ueberresten nationaler Volkstrachten oder auf dem Lande und im Gebirge nach bunten Bauernröckcn. Hier war zugleich im Gegensatz zu der reflectirten und verwaschenen Gesittung der Städte noch eine gewisse Harmlosigkeit und Eigenheit der Sitte zu finden, die sich in die Erscheinung fassen ließ. Aber da doch der Künstler jener Vergangenheit wie diesen Kreisen der Gegenwart fremd gegenüberstand und weder die tiefere Beobachtung noch den Humor mitbrachte, welche zum Beispiel die Holländer befähigten, Bürger und Bauern in ihrer Häuslichkeit oder in ihrem geselligen Treiben zu belauschen und in den engen Rahmen dieses kleinen Daseins ein erfülltes ungebrochenes Leben, eine ganze Welt zu legen; so fand er bald die einfachen Situationen leer und geistlos und ging darauf aus, in sein Bild durch eine besondere, pikante oder witzige Beziehung der Personen einen reicheren Inhalt zu bringen. So entstand, was die Vergangenheit anlangt, neben dem gewöhnlichen das historische Sittenbild; in die Darstellung der gegenwärtigen Welt trat neben der harmlosen Auffassung das Rührende und Lächerliche der menschlichen Verhältnisse, selbst das Unglück der socialen Widersprüche, kurz die reiche Mannigfaltigkeit der kleinern Conflicte ein. Auch hier also drängte sich die Frage nach der Bedeutung des Inhaltes wieder in den Vordergrund, und so findet auch hier von Seiten der jüngeren Talente ein Rückschlag statt, dem ähnlich, den wir oben beobachtet haben, indem sie ihr Augenmerk mehr auf die Wirkung der malerischen Erscheinung für sich richten. Doch ist die dem Gegen¬ stand entnommene Theilung des Sittenbildes in verschiedene feste Zweige auch nun noch durchgreifend, da auch die Neueren in dem einen oder andern Fach sich bleibend eingebürgert haben. Nur ist durch sie, wie wir sehen werden, ein neuer Zweig hinzugekommen: das ausländische Sittenbild. Wie das Geschichtsbild, war auch das historische Sittenbild nur schwach vertreten; im Ganzen erlahmt doch allmälig das Interesse des Publi- cums für diese Gattung und die bestellten, für öffentliche Gebäude bestimmten Werke der Art kamen ja nicht in die Ausstellung. Das bemerkenswertheste Bild war wohl Nikutowskys „Nach der Schlacht bei Leipzig", der letzte verzweifelte Kampf in den Straßen der Stadt. Das. Bild kam zur guten Stunde und war von um so größerer Wirkung, als es nicht die Prosa der modernen Schlacht gibt, deren Seele nicht sowohl im Aufeinanderstoß der Individuen, als im Gehirn des Feldherrn und der geschulten Tapferkeit der Massen liegt, sondern den malerischen Moment, in dem die Leidenschaften der Einzelnen hervortreten, der Besiegte dem nahen Untergange auf eigene Faust zu entrinnen sucht, der Sieger begeistert den letzten Schlag führt und Alles in der furchtbaren Anstrengung des letzten Augenblicks sich aufrafft, .in Gruppen der mannigfaltigsten Art sich löst und fügt. Diese Bewegtheit des Vorgangs Grenzboten IV. 1863. 32

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/257>, abgerufen am 15.01.2025.