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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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Und hier liegt ohne Zweifel zugleich die schwache Seite des Bildes. Es fehlt
den Formen und dem Ausdruck an Bestimmtheit und Energie, der Komposition
an Geschlossenheit; die drei Frauen, so wirksam die stille Wehmuth in den
anziehenden Köpfen, den einfachen Geberden ist, ziehen als eine Gruppe für
sich die Phantasie von den Hauptgestalten ab und bringen in die Stimmung
des Ganzen etwas Weiches und Zerflossenes, während die Gewandfiguren,
vorab die Maria, Entschiedenheit der Bewegung und den Bau des Körpers
vermissen lassen. Auch ist in den Köpfen der Weiber bei allem Liebreiz eine
gewisse moderne Flausen, und in ihrem Ausdruck wiegt der Zug mädchenhafter,
liebenswürdiger Milde zu sehr vor: sie sind im Grunde weit eher betende
Römerinnen in der Kirche, als Frauen, die den gekreuzigten Messias be¬
weinen. Aehnlich verhält es sich mit dem Colorit, durch das doch namentlich
das Bild seine Wirkung thut. Der dunkle warme Abendton hüllt den Vor¬
gang in eine eigenthümliche Stimmung, hat aber die ohnedies weich gehaltenen
und durch Reflexe in einander spielenden Localfarben wie mit einem feinen
Nebel überzogen, durch den die ganze Färbung etwas Trübes und Unentschie¬
denes erhält. Allerdings klingt in dieser die tiefe Schwermuth wieder, um
deren Ausdruck es dem Maler zu thun war; aber es ist in ihr etwas Krank¬
haftes, eine drückende Wirkung, die den Beschauer beschleicht und sich auf ihn
legt. Diesen an der Empfindung zu packen, lag ohne Zweifel in der Absicht
des Künstlers, und daß er das wirklich erreicht hat, zeugt von einem nicht ge¬
wöhnlichen Talent; doch erhält man zugleich den Eindruck, daß Feuerbach seinen
großen Gegenstand etwas ins Kleine und Sentimentale herabgezogen hat, wie
er auch in seiner Formengebung zu einer großen Anschauung und festen Be¬
handlung noch nicht durchgedrungen ist.

Ein vielleicht noch entschiedeneres Talent, das den Ausdruck des innern
Lebens in die malerische Erscheinung mit größerer Energie hinauszulegen sucht,
lernen wir in Franz Lenbach kennen. Sein Hirtenknabe, auf einem Gras¬
hügel im vollen Sonnenlichte ausgestreckt, so daß die Silhouette des Liegenden
vom blauen Himmel und dem grünen Boden sich abhebt, datirt noch aus der
Zeit, da er eifriger Schüler Pilotys war; ganz in der Art der Schule drängen
sich die Nebendinge in anspruchsvoller Behandlung vor. doch ist hier wenigstens
mit dem Realismus insofern Ernst gemacht, als das dem gewöhnlichen Leben
entnommene Motiv, der schmutzige und zerlumpte Bauernjunge rein äußerlich,
wie er eben von der Sonne beschienen aussieht, wiedergegeben ist. Man
braucht dagegen nur einen Bettelknaben von Murillo zu halten, um zu sehen,
wie die echte Kunst auch einem solchen Stoffe ein unendliches Leben abzuge¬
winnen weiß. Indessen Lenbach hat die realistische Manier aufgegeben und
zeigt sich in seinen drei Männerbildnissen auf einem ganz andern Wege. Zweien
freilich merkt man bei allem Talent die Währung eines noch unklaren Strebens


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Und hier liegt ohne Zweifel zugleich die schwache Seite des Bildes. Es fehlt
den Formen und dem Ausdruck an Bestimmtheit und Energie, der Komposition
an Geschlossenheit; die drei Frauen, so wirksam die stille Wehmuth in den
anziehenden Köpfen, den einfachen Geberden ist, ziehen als eine Gruppe für
sich die Phantasie von den Hauptgestalten ab und bringen in die Stimmung
des Ganzen etwas Weiches und Zerflossenes, während die Gewandfiguren,
vorab die Maria, Entschiedenheit der Bewegung und den Bau des Körpers
vermissen lassen. Auch ist in den Köpfen der Weiber bei allem Liebreiz eine
gewisse moderne Flausen, und in ihrem Ausdruck wiegt der Zug mädchenhafter,
liebenswürdiger Milde zu sehr vor: sie sind im Grunde weit eher betende
Römerinnen in der Kirche, als Frauen, die den gekreuzigten Messias be¬
weinen. Aehnlich verhält es sich mit dem Colorit, durch das doch namentlich
das Bild seine Wirkung thut. Der dunkle warme Abendton hüllt den Vor¬
gang in eine eigenthümliche Stimmung, hat aber die ohnedies weich gehaltenen
und durch Reflexe in einander spielenden Localfarben wie mit einem feinen
Nebel überzogen, durch den die ganze Färbung etwas Trübes und Unentschie¬
denes erhält. Allerdings klingt in dieser die tiefe Schwermuth wieder, um
deren Ausdruck es dem Maler zu thun war; aber es ist in ihr etwas Krank¬
haftes, eine drückende Wirkung, die den Beschauer beschleicht und sich auf ihn
legt. Diesen an der Empfindung zu packen, lag ohne Zweifel in der Absicht
des Künstlers, und daß er das wirklich erreicht hat, zeugt von einem nicht ge¬
wöhnlichen Talent; doch erhält man zugleich den Eindruck, daß Feuerbach seinen
großen Gegenstand etwas ins Kleine und Sentimentale herabgezogen hat, wie
er auch in seiner Formengebung zu einer großen Anschauung und festen Be¬
handlung noch nicht durchgedrungen ist.

Ein vielleicht noch entschiedeneres Talent, das den Ausdruck des innern
Lebens in die malerische Erscheinung mit größerer Energie hinauszulegen sucht,
lernen wir in Franz Lenbach kennen. Sein Hirtenknabe, auf einem Gras¬
hügel im vollen Sonnenlichte ausgestreckt, so daß die Silhouette des Liegenden
vom blauen Himmel und dem grünen Boden sich abhebt, datirt noch aus der
Zeit, da er eifriger Schüler Pilotys war; ganz in der Art der Schule drängen
sich die Nebendinge in anspruchsvoller Behandlung vor. doch ist hier wenigstens
mit dem Realismus insofern Ernst gemacht, als das dem gewöhnlichen Leben
entnommene Motiv, der schmutzige und zerlumpte Bauernjunge rein äußerlich,
wie er eben von der Sonne beschienen aussieht, wiedergegeben ist. Man
braucht dagegen nur einen Bettelknaben von Murillo zu halten, um zu sehen,
wie die echte Kunst auch einem solchen Stoffe ein unendliches Leben abzuge¬
winnen weiß. Indessen Lenbach hat die realistische Manier aufgegeben und
zeigt sich in seinen drei Männerbildnissen auf einem ganz andern Wege. Zweien
freilich merkt man bei allem Talent die Währung eines noch unklaren Strebens


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[0251] Und hier liegt ohne Zweifel zugleich die schwache Seite des Bildes. Es fehlt den Formen und dem Ausdruck an Bestimmtheit und Energie, der Komposition an Geschlossenheit; die drei Frauen, so wirksam die stille Wehmuth in den anziehenden Köpfen, den einfachen Geberden ist, ziehen als eine Gruppe für sich die Phantasie von den Hauptgestalten ab und bringen in die Stimmung des Ganzen etwas Weiches und Zerflossenes, während die Gewandfiguren, vorab die Maria, Entschiedenheit der Bewegung und den Bau des Körpers vermissen lassen. Auch ist in den Köpfen der Weiber bei allem Liebreiz eine gewisse moderne Flausen, und in ihrem Ausdruck wiegt der Zug mädchenhafter, liebenswürdiger Milde zu sehr vor: sie sind im Grunde weit eher betende Römerinnen in der Kirche, als Frauen, die den gekreuzigten Messias be¬ weinen. Aehnlich verhält es sich mit dem Colorit, durch das doch namentlich das Bild seine Wirkung thut. Der dunkle warme Abendton hüllt den Vor¬ gang in eine eigenthümliche Stimmung, hat aber die ohnedies weich gehaltenen und durch Reflexe in einander spielenden Localfarben wie mit einem feinen Nebel überzogen, durch den die ganze Färbung etwas Trübes und Unentschie¬ denes erhält. Allerdings klingt in dieser die tiefe Schwermuth wieder, um deren Ausdruck es dem Maler zu thun war; aber es ist in ihr etwas Krank¬ haftes, eine drückende Wirkung, die den Beschauer beschleicht und sich auf ihn legt. Diesen an der Empfindung zu packen, lag ohne Zweifel in der Absicht des Künstlers, und daß er das wirklich erreicht hat, zeugt von einem nicht ge¬ wöhnlichen Talent; doch erhält man zugleich den Eindruck, daß Feuerbach seinen großen Gegenstand etwas ins Kleine und Sentimentale herabgezogen hat, wie er auch in seiner Formengebung zu einer großen Anschauung und festen Be¬ handlung noch nicht durchgedrungen ist. Ein vielleicht noch entschiedeneres Talent, das den Ausdruck des innern Lebens in die malerische Erscheinung mit größerer Energie hinauszulegen sucht, lernen wir in Franz Lenbach kennen. Sein Hirtenknabe, auf einem Gras¬ hügel im vollen Sonnenlichte ausgestreckt, so daß die Silhouette des Liegenden vom blauen Himmel und dem grünen Boden sich abhebt, datirt noch aus der Zeit, da er eifriger Schüler Pilotys war; ganz in der Art der Schule drängen sich die Nebendinge in anspruchsvoller Behandlung vor. doch ist hier wenigstens mit dem Realismus insofern Ernst gemacht, als das dem gewöhnlichen Leben entnommene Motiv, der schmutzige und zerlumpte Bauernjunge rein äußerlich, wie er eben von der Sonne beschienen aussieht, wiedergegeben ist. Man braucht dagegen nur einen Bettelknaben von Murillo zu halten, um zu sehen, wie die echte Kunst auch einem solchen Stoffe ein unendliches Leben abzuge¬ winnen weiß. Indessen Lenbach hat die realistische Manier aufgegeben und zeigt sich in seinen drei Männerbildnissen auf einem ganz andern Wege. Zweien freilich merkt man bei allem Talent die Währung eines noch unklaren Strebens 31*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/251>, abgerufen am 15.01.2025.