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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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dem er durch die Verhaftung seines tü^vKIiei-e Servante, Fausti, -- dem jetzt der
Hochverrathsprvceß gemacht worden ist, -- eine so tödtliche Beleidigung zufügte,
daß der Staatssecretär darauf und daran war. seinen Posten aufzugeben.

Doch da kommt er selbst, ein Flüstern geht durch die Versammlung, als
Cardinal Antvnelli eintritt, alle Fremden drängen sich, den merkwürdigen
Mann zu sehen. Mag man mit ihm sympathisiren, oder nicht, er interessirt
doch, und wäre es nur durch die wilde, trotzige Energie, mit der er das faul
und leck gewordene Schiff Petri durch die Strudel der staatlichen Umwälzungen
zu lenken unternommen hat. Sein Gesicht trägt ein seltsam Gemisch von
geistiger Kraft und materieller Rohheit, aus den tiefliegenden, dunkeln Augen
spricht ein reiches Innere, ja wir möchten sogar sagen,, ein Anflug von
Melancholie; aber auf den dicken wulstigen Lippen, dem starkknochigen vor¬
geschobenen Unterkiefer liegt eine so wüste, brutale Sinnlichkeit, daß man aus
dem Zwiespalt, was für einen Charakter man ihm eigentlich geben soll, nicht
herauskommt. Der "Räubersohn von Soninv" geizt sehr vornehm mit
der Ehre seiner Gegenwart, kaum daß er den Wirth und einige der Haupt-
Persönlichkeiten der Gesellschaft begrüßt hat. entfernt er sich wieder und kehrt
zurück in die Räume des Vatikan, wo er mit dem Papste unter einem Dach
wohnt, obschon ihn Pius der Neunte von ganzem Herzen haßt. Wiederholt
schon warf sich der heilige Vater der Partei M6rotes in die Arme, und nur
um Antvnelli loszuwerden. Immer wieder mußte er dann die Versöhnung
mit dem gewichtigen Manne suchen; denn keiner ist fähig, mit gleichem Geschick
die auseinanderbröckelnden Bestandtheile des päpstlichen Staates zusammen¬
zuhalten.

Neben Antvnelli fesseln uns noch zwei andere Cardinalsgestalten, die erste,
eine starke untersetzte Figur, ein kluges, aber hochmüthiges Gesicht, auf dem
schwarzen Taffetüberwurf ein blitzender Brillantstem, schleicht schweigend herum,
während sie mit den kleinen stechenden Augen aufmerksam beobachtet. Es ist
der Cardinal von Se. Andrea, ein Neapolitaner, bekannt als einer der frei¬
sinnigsten des Collegiums. Der andre, ein hoher, blühendschöncr, noch junger
Mann, umringt von einer Schaar von Engländerinnen, deren andächtige Ohren er
mit allerlei Artigkeiten füllt, i.se ein Neffe des Papstes, Cardinal Milefi. Das
alte Lied: "Denn wer den Papst" u. s. w. hat sich an diesem Herrn buch¬
stäblich erfüllt.

Dort unterhält sich eben der östreichische Botschafter Baron Bach mit
einem magern, verkommen aussehenden Herrn in schmutzigem weißen Frack,
welcher mit schwarzem Sammt und Goldstickerei verziert ist und die Uniform
eines Ritters vom heiligen Grabe vorstellt. Der Urheber des Concordats mit
seinen schlauen, forschenden Zügen ist der liebenswürdigste Mann der Welt
und bei seinen kleinen Diners einer der geistvollsten Gesellschafter, die man


dem er durch die Verhaftung seines tü^vKIiei-e Servante, Fausti, — dem jetzt der
Hochverrathsprvceß gemacht worden ist, — eine so tödtliche Beleidigung zufügte,
daß der Staatssecretär darauf und daran war. seinen Posten aufzugeben.

Doch da kommt er selbst, ein Flüstern geht durch die Versammlung, als
Cardinal Antvnelli eintritt, alle Fremden drängen sich, den merkwürdigen
Mann zu sehen. Mag man mit ihm sympathisiren, oder nicht, er interessirt
doch, und wäre es nur durch die wilde, trotzige Energie, mit der er das faul
und leck gewordene Schiff Petri durch die Strudel der staatlichen Umwälzungen
zu lenken unternommen hat. Sein Gesicht trägt ein seltsam Gemisch von
geistiger Kraft und materieller Rohheit, aus den tiefliegenden, dunkeln Augen
spricht ein reiches Innere, ja wir möchten sogar sagen,, ein Anflug von
Melancholie; aber auf den dicken wulstigen Lippen, dem starkknochigen vor¬
geschobenen Unterkiefer liegt eine so wüste, brutale Sinnlichkeit, daß man aus
dem Zwiespalt, was für einen Charakter man ihm eigentlich geben soll, nicht
herauskommt. Der „Räubersohn von Soninv" geizt sehr vornehm mit
der Ehre seiner Gegenwart, kaum daß er den Wirth und einige der Haupt-
Persönlichkeiten der Gesellschaft begrüßt hat. entfernt er sich wieder und kehrt
zurück in die Räume des Vatikan, wo er mit dem Papste unter einem Dach
wohnt, obschon ihn Pius der Neunte von ganzem Herzen haßt. Wiederholt
schon warf sich der heilige Vater der Partei M6rotes in die Arme, und nur
um Antvnelli loszuwerden. Immer wieder mußte er dann die Versöhnung
mit dem gewichtigen Manne suchen; denn keiner ist fähig, mit gleichem Geschick
die auseinanderbröckelnden Bestandtheile des päpstlichen Staates zusammen¬
zuhalten.

Neben Antvnelli fesseln uns noch zwei andere Cardinalsgestalten, die erste,
eine starke untersetzte Figur, ein kluges, aber hochmüthiges Gesicht, auf dem
schwarzen Taffetüberwurf ein blitzender Brillantstem, schleicht schweigend herum,
während sie mit den kleinen stechenden Augen aufmerksam beobachtet. Es ist
der Cardinal von Se. Andrea, ein Neapolitaner, bekannt als einer der frei¬
sinnigsten des Collegiums. Der andre, ein hoher, blühendschöncr, noch junger
Mann, umringt von einer Schaar von Engländerinnen, deren andächtige Ohren er
mit allerlei Artigkeiten füllt, i.se ein Neffe des Papstes, Cardinal Milefi. Das
alte Lied: „Denn wer den Papst" u. s. w. hat sich an diesem Herrn buch¬
stäblich erfüllt.

Dort unterhält sich eben der östreichische Botschafter Baron Bach mit
einem magern, verkommen aussehenden Herrn in schmutzigem weißen Frack,
welcher mit schwarzem Sammt und Goldstickerei verziert ist und die Uniform
eines Ritters vom heiligen Grabe vorstellt. Der Urheber des Concordats mit
seinen schlauen, forschenden Zügen ist der liebenswürdigste Mann der Welt
und bei seinen kleinen Diners einer der geistvollsten Gesellschafter, die man


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/245>, abgerufen am 15.01.2025.