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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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mitunter seine Seele aus, und dann muß man in ihm den trauernden Patrio¬
ten verehren; denn tief und ungeheuchelt ist sein Schmerz über die Verkommen¬
heit der römischen Verhältnisse und des römischen Volkes. Zu Thaten aber, oder auch
nur zu energischer Rede, erbebt er sich so wenig wie die andern. Jener hochauf¬
geschossene, vornehm aussehende junge Mann, mit dem feingeformten Gesicht, ist
sein Sohn erster Ehe, Don Onorato Caetani, seit seiner Mündigkeit Prinz von
Teano^ Ein merkwürdiges Naturspiel: in seinem dunkelblonden Haar schlängelt
sich von der Stirn aus eine einzige weiße Locke. Sie ist sein größter Stolz;
denn er ist der dreizehnte aus der alten Familie, der von Kind auf diese weiße
Locke hat, sie ist ihm ein Zeugniß seines uralten Adels; so unvermischt und
unverändert erhält sich diese Aristokratie! Man wird sich sagen müssen, daß
unsre preußischen Junkergeschlechter gegen diese Familientraditionen und
Familienerbstücke nichts aufzubringen vermögen.

Nicht weit von den Caetanis steht eine junge geistreich aussehende Frau,
um ^die sich die Geistlichkeit und die Offiziere sehr angelegentlich bemühen, die
letzteren ziehn sehr bedeutend den Kürzern; denn in gesellschaftlicher Liebens¬
würdigkeit sucht, wie schon angedeutet, der römische Priester seinen Meister.
Die Dame ist die Tochter des Herzogs von Sermoneta, die junge Gräfin Lo-
vatelli, deren Schwiegervater von der Nevolutionspartei vor einigen Jahren
ermordet wurde, als er auf die päpstliche Amnestie hin es wagte, aus der Ver¬
bannung nach Rom zurückzukehren. Sie ist für eine Italienerin hochgebildet,
versteht sogar Deutsch, hat den Faust und Heines Dichtungen gelesen, besucht
mit Fleiß und Eifer die Sitzungen des archäologischen Instituts, für dessen Ver¬
handlungen sie sich sehr interessirt, und hat mit dem scharfen Verstände auch die
witzige Zunge ihres Vaters geerbt. Dort stehen zwei Herrn miteinander im
Gespräche, der eine ein Cardinal, mit rothem lächelnden Gesicht, weiches seine
Fülle reichlich genossenem bayrischen Biere zu verdanken scheint. Er ist der Car¬
dinal Graf Reisach, der frühere Erzbischof von München, ein lebenslustiger, aber
gelehrter Herr, ein gründlicher Kenner der christlichen Alterthümer, und
nächst dem geistreichen Cavaliere de Rossi- der unermüdlichste Forscher in den
Tiefen der Katakomben, der scharfsinnigste Erklärer ihrer Malereien und In¬
schriften. Der andre ist eine hagre Schulmeistergestalt in violetter Tracht, der
verblichene Taffetmantel hängt wie eine alte Schürze um seine Schultern, sein
schickender Blick forscht unsicher über seine lange gebogene Nase hin und her,
man möchte sich vor ihm fürchten; denn es ist die ausgeprägteste Gaunerphy-
sivgnomie. Unruhig und ungeschickt sind seine Bewegungen, mit anstoßender
Zunge unterhält er sich in näselndem Französisch. Wir haben niemand ge¬
ringeres als den Kriegsminister Sr. Heiligkeit, Monsignore M6rode- vor uns,
den Mann, dem General Goyon einst seine entgegengesetzte Ansicht in so schla¬
gender Art bewerfen wollte, den mächtigen Rivalen und Todfeind Antonellis,


mitunter seine Seele aus, und dann muß man in ihm den trauernden Patrio¬
ten verehren; denn tief und ungeheuchelt ist sein Schmerz über die Verkommen¬
heit der römischen Verhältnisse und des römischen Volkes. Zu Thaten aber, oder auch
nur zu energischer Rede, erbebt er sich so wenig wie die andern. Jener hochauf¬
geschossene, vornehm aussehende junge Mann, mit dem feingeformten Gesicht, ist
sein Sohn erster Ehe, Don Onorato Caetani, seit seiner Mündigkeit Prinz von
Teano^ Ein merkwürdiges Naturspiel: in seinem dunkelblonden Haar schlängelt
sich von der Stirn aus eine einzige weiße Locke. Sie ist sein größter Stolz;
denn er ist der dreizehnte aus der alten Familie, der von Kind auf diese weiße
Locke hat, sie ist ihm ein Zeugniß seines uralten Adels; so unvermischt und
unverändert erhält sich diese Aristokratie! Man wird sich sagen müssen, daß
unsre preußischen Junkergeschlechter gegen diese Familientraditionen und
Familienerbstücke nichts aufzubringen vermögen.

Nicht weit von den Caetanis steht eine junge geistreich aussehende Frau,
um ^die sich die Geistlichkeit und die Offiziere sehr angelegentlich bemühen, die
letzteren ziehn sehr bedeutend den Kürzern; denn in gesellschaftlicher Liebens¬
würdigkeit sucht, wie schon angedeutet, der römische Priester seinen Meister.
Die Dame ist die Tochter des Herzogs von Sermoneta, die junge Gräfin Lo-
vatelli, deren Schwiegervater von der Nevolutionspartei vor einigen Jahren
ermordet wurde, als er auf die päpstliche Amnestie hin es wagte, aus der Ver¬
bannung nach Rom zurückzukehren. Sie ist für eine Italienerin hochgebildet,
versteht sogar Deutsch, hat den Faust und Heines Dichtungen gelesen, besucht
mit Fleiß und Eifer die Sitzungen des archäologischen Instituts, für dessen Ver¬
handlungen sie sich sehr interessirt, und hat mit dem scharfen Verstände auch die
witzige Zunge ihres Vaters geerbt. Dort stehen zwei Herrn miteinander im
Gespräche, der eine ein Cardinal, mit rothem lächelnden Gesicht, weiches seine
Fülle reichlich genossenem bayrischen Biere zu verdanken scheint. Er ist der Car¬
dinal Graf Reisach, der frühere Erzbischof von München, ein lebenslustiger, aber
gelehrter Herr, ein gründlicher Kenner der christlichen Alterthümer, und
nächst dem geistreichen Cavaliere de Rossi- der unermüdlichste Forscher in den
Tiefen der Katakomben, der scharfsinnigste Erklärer ihrer Malereien und In¬
schriften. Der andre ist eine hagre Schulmeistergestalt in violetter Tracht, der
verblichene Taffetmantel hängt wie eine alte Schürze um seine Schultern, sein
schickender Blick forscht unsicher über seine lange gebogene Nase hin und her,
man möchte sich vor ihm fürchten; denn es ist die ausgeprägteste Gaunerphy-
sivgnomie. Unruhig und ungeschickt sind seine Bewegungen, mit anstoßender
Zunge unterhält er sich in näselndem Französisch. Wir haben niemand ge¬
ringeres als den Kriegsminister Sr. Heiligkeit, Monsignore M6rode- vor uns,
den Mann, dem General Goyon einst seine entgegengesetzte Ansicht in so schla¬
gender Art bewerfen wollte, den mächtigen Rivalen und Todfeind Antonellis,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/244>, abgerufen am 15.01.2025.