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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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bar ein Opfer jener schmachvollen Verstümmelung ist, durch welche die sixtinische
Kapelle lange Zeit gebrandmarkt war; die übrigen Sänger folgen, theils Kna¬
ben, theils reife Männer, die mit rauher Baßstimme und thierischer Ausdrucks-
losigkeit die Noten abbrüllcn, wie man denn in Bezug auf die päpstliche Kapelle
überhaupt manche Täuschung erlebt. Hinter den Sängern kommen die Cardi¬
näle und lassen sich auf ihren Platz nieder, bis das Tedeum zu Ende ist.
Dann beeilt sich ein päpstlicher, in schwarze spanische Tracht gekleideter <Ü3.me-
riere sei-varie mit silbernem Stäbe, die neucreirten Rothhüte an dem Aus¬
gang der innern Schranken der Kapelle auszustellen, um Gratulation und
Bruderkuß von den hinausgehenden Cardinälen zu empfangen. Nachdem den
Eminenzen von ihren Dienern die Schleppe in einen Scvrpivnenschwanz zu¬
sammengedreht worden, tritt einer nach dem andern heran und umarmt die
neuen Collegen. Unendlich graciös sind ihre Handbewegungen, von schmelzen¬
der Freundlichkeit ihr Lächeln, während sie die glückwünschenden Worte flüstern,
man sollte kaum glauben, daß so viel Haß, so viel giftige Bekämpfung, so
viel schleichende Intrigue bei dieser liebenswürdigen Herzlichkeit möglich
Wäre.

Der höhere römische Priester zeigt sich hier im vollen Glänze. Was ihm
sonst auch fehlen mag, sein Benehmen ist stets von hinreißender Anmuth,
geistliche Salbung und weltmännische Gewandtheit mischen sich in ihm zu
einem Etwas, welches auf die Meisten geradezu bezaubernd wirken muß.

Alle haben die Reihe passirt, ein jeder hat seinen Kuß, gewiß mit wider¬
sprechenden Empfindungen empfangen und ertheilt. Die Ceremonie ist zu Ende.
Sie steigen in ihre Wagen, und über den kolossalen Platz vor Se. Peter rollen
die rothen goldverzierten Karossen von mächtigen schwarzen Hengsten gezogen,
den öden Palästen zu. Der Abend aber bringt den feierlichen Act erst zum
Abschluß, dann empfangen die Cardinäle die Glückwünsche des römischen
Adels und der Gesandten. Bereits werden vor den Palästen einiger Nobili
Pechpfannen aufgestellt, an den Kirchen, den öffentlichen Gebäuden, den Iesu-
itencollegien, dem Hause der ?roxaMuäg. ückei Vorbereitungen zu umfassender
Illumination getroffen. Eine Stunde nach Ave Maria leuchten die Lampen
und Pechpfannen in voller Pracht.

Von den vier Cardinälen empfingen drei in den Räumen des Domini¬
kanerklosters von Maria sopra Minerva. Cardinal Pentini allein, der die
glänzendste und zahlreichste Gesellschaft bei sich zu erwarten hatte, im Palazzo
Pacca, unweit des Capitals. Dem Fremden, der einen anständigen Namen
führt, einen Titel hat, vor allen Dingen aber sich des Besitzes einer Visiten¬
toilette erfreut, ist es erlaubt, an diesem Abend ohne weitere Anmeldung dem
neucreirten Cardinal mit den Uebrigen seine Aufwartung zu machen, und kein
Wißbegieriger versäumt diese Gelegenheit, die ganze vornehme römische Gesell-


Grenzboten IV. 1863. 30

bar ein Opfer jener schmachvollen Verstümmelung ist, durch welche die sixtinische
Kapelle lange Zeit gebrandmarkt war; die übrigen Sänger folgen, theils Kna¬
ben, theils reife Männer, die mit rauher Baßstimme und thierischer Ausdrucks-
losigkeit die Noten abbrüllcn, wie man denn in Bezug auf die päpstliche Kapelle
überhaupt manche Täuschung erlebt. Hinter den Sängern kommen die Cardi¬
näle und lassen sich auf ihren Platz nieder, bis das Tedeum zu Ende ist.
Dann beeilt sich ein päpstlicher, in schwarze spanische Tracht gekleideter <Ü3.me-
riere sei-varie mit silbernem Stäbe, die neucreirten Rothhüte an dem Aus¬
gang der innern Schranken der Kapelle auszustellen, um Gratulation und
Bruderkuß von den hinausgehenden Cardinälen zu empfangen. Nachdem den
Eminenzen von ihren Dienern die Schleppe in einen Scvrpivnenschwanz zu¬
sammengedreht worden, tritt einer nach dem andern heran und umarmt die
neuen Collegen. Unendlich graciös sind ihre Handbewegungen, von schmelzen¬
der Freundlichkeit ihr Lächeln, während sie die glückwünschenden Worte flüstern,
man sollte kaum glauben, daß so viel Haß, so viel giftige Bekämpfung, so
viel schleichende Intrigue bei dieser liebenswürdigen Herzlichkeit möglich
Wäre.

Der höhere römische Priester zeigt sich hier im vollen Glänze. Was ihm
sonst auch fehlen mag, sein Benehmen ist stets von hinreißender Anmuth,
geistliche Salbung und weltmännische Gewandtheit mischen sich in ihm zu
einem Etwas, welches auf die Meisten geradezu bezaubernd wirken muß.

Alle haben die Reihe passirt, ein jeder hat seinen Kuß, gewiß mit wider¬
sprechenden Empfindungen empfangen und ertheilt. Die Ceremonie ist zu Ende.
Sie steigen in ihre Wagen, und über den kolossalen Platz vor Se. Peter rollen
die rothen goldverzierten Karossen von mächtigen schwarzen Hengsten gezogen,
den öden Palästen zu. Der Abend aber bringt den feierlichen Act erst zum
Abschluß, dann empfangen die Cardinäle die Glückwünsche des römischen
Adels und der Gesandten. Bereits werden vor den Palästen einiger Nobili
Pechpfannen aufgestellt, an den Kirchen, den öffentlichen Gebäuden, den Iesu-
itencollegien, dem Hause der ?roxaMuäg. ückei Vorbereitungen zu umfassender
Illumination getroffen. Eine Stunde nach Ave Maria leuchten die Lampen
und Pechpfannen in voller Pracht.

Von den vier Cardinälen empfingen drei in den Räumen des Domini¬
kanerklosters von Maria sopra Minerva. Cardinal Pentini allein, der die
glänzendste und zahlreichste Gesellschaft bei sich zu erwarten hatte, im Palazzo
Pacca, unweit des Capitals. Dem Fremden, der einen anständigen Namen
führt, einen Titel hat, vor allen Dingen aber sich des Besitzes einer Visiten¬
toilette erfreut, ist es erlaubt, an diesem Abend ohne weitere Anmeldung dem
neucreirten Cardinal mit den Uebrigen seine Aufwartung zu machen, und kein
Wißbegieriger versäumt diese Gelegenheit, die ganze vornehme römische Gesell-


Grenzboten IV. 1863. 30
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[0241] bar ein Opfer jener schmachvollen Verstümmelung ist, durch welche die sixtinische Kapelle lange Zeit gebrandmarkt war; die übrigen Sänger folgen, theils Kna¬ ben, theils reife Männer, die mit rauher Baßstimme und thierischer Ausdrucks- losigkeit die Noten abbrüllcn, wie man denn in Bezug auf die päpstliche Kapelle überhaupt manche Täuschung erlebt. Hinter den Sängern kommen die Cardi¬ näle und lassen sich auf ihren Platz nieder, bis das Tedeum zu Ende ist. Dann beeilt sich ein päpstlicher, in schwarze spanische Tracht gekleideter <Ü3.me- riere sei-varie mit silbernem Stäbe, die neucreirten Rothhüte an dem Aus¬ gang der innern Schranken der Kapelle auszustellen, um Gratulation und Bruderkuß von den hinausgehenden Cardinälen zu empfangen. Nachdem den Eminenzen von ihren Dienern die Schleppe in einen Scvrpivnenschwanz zu¬ sammengedreht worden, tritt einer nach dem andern heran und umarmt die neuen Collegen. Unendlich graciös sind ihre Handbewegungen, von schmelzen¬ der Freundlichkeit ihr Lächeln, während sie die glückwünschenden Worte flüstern, man sollte kaum glauben, daß so viel Haß, so viel giftige Bekämpfung, so viel schleichende Intrigue bei dieser liebenswürdigen Herzlichkeit möglich Wäre. Der höhere römische Priester zeigt sich hier im vollen Glänze. Was ihm sonst auch fehlen mag, sein Benehmen ist stets von hinreißender Anmuth, geistliche Salbung und weltmännische Gewandtheit mischen sich in ihm zu einem Etwas, welches auf die Meisten geradezu bezaubernd wirken muß. Alle haben die Reihe passirt, ein jeder hat seinen Kuß, gewiß mit wider¬ sprechenden Empfindungen empfangen und ertheilt. Die Ceremonie ist zu Ende. Sie steigen in ihre Wagen, und über den kolossalen Platz vor Se. Peter rollen die rothen goldverzierten Karossen von mächtigen schwarzen Hengsten gezogen, den öden Palästen zu. Der Abend aber bringt den feierlichen Act erst zum Abschluß, dann empfangen die Cardinäle die Glückwünsche des römischen Adels und der Gesandten. Bereits werden vor den Palästen einiger Nobili Pechpfannen aufgestellt, an den Kirchen, den öffentlichen Gebäuden, den Iesu- itencollegien, dem Hause der ?roxaMuäg. ückei Vorbereitungen zu umfassender Illumination getroffen. Eine Stunde nach Ave Maria leuchten die Lampen und Pechpfannen in voller Pracht. Von den vier Cardinälen empfingen drei in den Räumen des Domini¬ kanerklosters von Maria sopra Minerva. Cardinal Pentini allein, der die glänzendste und zahlreichste Gesellschaft bei sich zu erwarten hatte, im Palazzo Pacca, unweit des Capitals. Dem Fremden, der einen anständigen Namen führt, einen Titel hat, vor allen Dingen aber sich des Besitzes einer Visiten¬ toilette erfreut, ist es erlaubt, an diesem Abend ohne weitere Anmeldung dem neucreirten Cardinal mit den Uebrigen seine Aufwartung zu machen, und kein Wißbegieriger versäumt diese Gelegenheit, die ganze vornehme römische Gesell- Grenzboten IV. 1863. 30

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/241>, abgerufen am 15.01.2025.