Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band."Man kann nicht durch echte Yankee-Ansiedelungen reisen, ohne zu fühlen, Aber je höher die Höhe, desto tiefer der Fall, und so ist der Uankee, Diese Erscheinung erklärt sich nicht genügend damit, daß Extreme leicht in Grenzboten IV. 18L3. 29
„Man kann nicht durch echte Yankee-Ansiedelungen reisen, ohne zu fühlen, Aber je höher die Höhe, desto tiefer der Fall, und so ist der Uankee, Diese Erscheinung erklärt sich nicht genügend damit, daß Extreme leicht in Grenzboten IV. 18L3. 29
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0233" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/116161"/> <p xml:id="ID_850"> „Man kann nicht durch echte Yankee-Ansiedelungen reisen, ohne zu fühlen,<lb/> wie das Herz sich erweitert," sagt der Verfasser. „Wenn man diese Hundert¬<lb/> tausende netter Land- und Farmhäuser mit prächtigen Gärten, diese gleich¬<lb/> mäßige Verkeilung des Wohlstandes und der nöthigsten Lebensbedürfnisse,<lb/> diese zufriedner, offnen und verständigen Gesichter, diese wohlgeformten Ge¬<lb/> stalten und die oft reizend schönen Züge der Frauen sieht, nirgends aber Bett¬<lb/> ler, nirgends Lumpen, nirgends verthierte Antlitze; wenn die schönsten und<lb/> größten Gebäude sich in der Regel als Schulhäuser ausweisen; wenn man je¬<lb/> den Augenblick den unermeßlichen Menschen- und Waarenverkehr längs der<lb/> großen Handelsstraßen, die wohlbestellten Aecker, das schöne Vieh, die freund¬<lb/> lichen Kirchen, die zahlreichen Eisenbahnen — wenn man das Alles auf große<lb/> Strecken hin sich gleich bleiben sieht, dann ruft man unwillkürlich aus: hier<lb/> ist mehr Menschenglück und Menschenwürde zu finden, als unter jeder andern<lb/> gleich zahlreichen Bevölkerung der Welt!"</p><lb/> <p xml:id="ID_851"> Aber je höher die Höhe, desto tiefer der Fall, und so ist der Uankee,<lb/> wenn er ausartet, auch ein größerer Schurke als jeder andere Amerikaner.<lb/> Der Sklaven haltende Neuengländer gilt für den rücksichtlosesten unter seines<lb/> Gleichen, und die Partei, welche im Yankcelande für die Sklavenhalter ist,<lb/> entwickelt den widerwärtigsten Eifer unter allen Politikern dieser Richtung.<lb/> Die Kapitäne, welche den Sklaven-Import von Afrika betrieben, waren meist<lb/> Ucnikees. Die Seeoffiziere der mit dem Süden handelnden Schiffe Neuenglands<lb/> sind fast ausnahmslos fanatische Prosklaverei-Demokraten. Dasselbe gilt großen-<lb/> theils von den Fischern, welche den Stocksischsang auf den Neufoundlands-<lb/> bänlen betreiben, ferner von den großen Kaufleuten in Boston, Newhaven.<lb/> Portland, Ncwbedford und andern reichen Städten, welche entweder einen<lb/> Vortheil haften Handel mit dem Süden trieben, oder Geld auf Unterpfand von<lb/> Pflanzungen und Sklavenbesitz vorgeschossen hatten oder selbst Sklavenplantagen<lb/> besaßen und durch Bevollmächtigte verwalten ließen. Endlich gilt dies auch<lb/> von-Politikern und Journalisten, die sich der Partei der Rohheit verkauft ha¬<lb/> ben. Webster, ein Menschenalter hindurch der vergötterte Bekämpfer der Skla¬<lb/> verei, ward für siebzigtausend Dollars zum Fürsprecher derselben, James Brooks,<lb/> Redacteur des „Newyork Expreß", früher Jahrzehnte hindurch Freesoiler, ist<lb/> jetzt der giftigste Feind seiner einstigen Parteigenossen; andere Beispiele sind<lb/> nicht selten, und kaum eines läßt sich namhaft machen, wo der Renegat nicht<lb/> ein Uankce wäre.</p><lb/> <p xml:id="ID_852" next="#ID_853"> Diese Erscheinung erklärt sich nicht genügend damit, daß Extreme leicht in<lb/> einander umschlagen; die Schuld liegt vielmehr daran, daß es der Erziehung<lb/> der Amerikaner an Grundsatztrcue, dem Nationalcharakter an moralischem Muthe<lb/> gebricht. Der Neuengländer hat in höherem Grade wie andere Amerikaner<lb/> den edlen Zorn über das Böse, aber er hat dessen in Wahrheit doch nicht ge-</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 18L3. 29</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0233]
„Man kann nicht durch echte Yankee-Ansiedelungen reisen, ohne zu fühlen,
wie das Herz sich erweitert," sagt der Verfasser. „Wenn man diese Hundert¬
tausende netter Land- und Farmhäuser mit prächtigen Gärten, diese gleich¬
mäßige Verkeilung des Wohlstandes und der nöthigsten Lebensbedürfnisse,
diese zufriedner, offnen und verständigen Gesichter, diese wohlgeformten Ge¬
stalten und die oft reizend schönen Züge der Frauen sieht, nirgends aber Bett¬
ler, nirgends Lumpen, nirgends verthierte Antlitze; wenn die schönsten und
größten Gebäude sich in der Regel als Schulhäuser ausweisen; wenn man je¬
den Augenblick den unermeßlichen Menschen- und Waarenverkehr längs der
großen Handelsstraßen, die wohlbestellten Aecker, das schöne Vieh, die freund¬
lichen Kirchen, die zahlreichen Eisenbahnen — wenn man das Alles auf große
Strecken hin sich gleich bleiben sieht, dann ruft man unwillkürlich aus: hier
ist mehr Menschenglück und Menschenwürde zu finden, als unter jeder andern
gleich zahlreichen Bevölkerung der Welt!"
Aber je höher die Höhe, desto tiefer der Fall, und so ist der Uankee,
wenn er ausartet, auch ein größerer Schurke als jeder andere Amerikaner.
Der Sklaven haltende Neuengländer gilt für den rücksichtlosesten unter seines
Gleichen, und die Partei, welche im Yankcelande für die Sklavenhalter ist,
entwickelt den widerwärtigsten Eifer unter allen Politikern dieser Richtung.
Die Kapitäne, welche den Sklaven-Import von Afrika betrieben, waren meist
Ucnikees. Die Seeoffiziere der mit dem Süden handelnden Schiffe Neuenglands
sind fast ausnahmslos fanatische Prosklaverei-Demokraten. Dasselbe gilt großen-
theils von den Fischern, welche den Stocksischsang auf den Neufoundlands-
bänlen betreiben, ferner von den großen Kaufleuten in Boston, Newhaven.
Portland, Ncwbedford und andern reichen Städten, welche entweder einen
Vortheil haften Handel mit dem Süden trieben, oder Geld auf Unterpfand von
Pflanzungen und Sklavenbesitz vorgeschossen hatten oder selbst Sklavenplantagen
besaßen und durch Bevollmächtigte verwalten ließen. Endlich gilt dies auch
von-Politikern und Journalisten, die sich der Partei der Rohheit verkauft ha¬
ben. Webster, ein Menschenalter hindurch der vergötterte Bekämpfer der Skla¬
verei, ward für siebzigtausend Dollars zum Fürsprecher derselben, James Brooks,
Redacteur des „Newyork Expreß", früher Jahrzehnte hindurch Freesoiler, ist
jetzt der giftigste Feind seiner einstigen Parteigenossen; andere Beispiele sind
nicht selten, und kaum eines läßt sich namhaft machen, wo der Renegat nicht
ein Uankce wäre.
Diese Erscheinung erklärt sich nicht genügend damit, daß Extreme leicht in
einander umschlagen; die Schuld liegt vielmehr daran, daß es der Erziehung
der Amerikaner an Grundsatztrcue, dem Nationalcharakter an moralischem Muthe
gebricht. Der Neuengländer hat in höherem Grade wie andere Amerikaner
den edlen Zorn über das Böse, aber er hat dessen in Wahrheit doch nicht ge-
Grenzboten IV. 18L3. 29
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