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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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den besten Anstalten der Art in Europa. Boston hat zwei große Bibliotheken,
die eine von 700,000, die andere von 130,000 Bänden, deren Auswahl wenig
zu wünschen übrig läßt und deren Benutzung jedermann freisteht. Es gibt in
den Neuenglandstaaten Hunderte andrer öffentlicher Büchersammlungen, beinahcjin
jedem Township eine, die zusammen mehre Millionen gutausgewähltcr Bände
zahlen. Von Massachusetts gingen ferner die ersten Anregungen zur Verbesserung
des Schulwesens aus und in Boston entstanden auch die ersten amerikanischen
Kindergärten. Die übrigen fünf Uankeestaaten (Connecticut, Rhode-Island,
Ncwhcimpshire, Vermont und Maine) folgen dem von Massachusetts gegebnen
Beispiele, da dieses für sie nicht blos der Mutter-, sondern auch der Muster¬
staat ist.

Zweierlei Einrichtungen sind der gesammten Aankeebevölkerung gemeinsam:
die öffentlichen Vorlesungen und die Debattir-Clubs. Die ersteren erstrecken sich
über alle Gebiete des Wissens und werden von berühmten Fachgelehrten, Phil
lanthrvpen, Aufklärern oder Schöngeistern gehalten, an welche zu diesem Behuf
Einladungen ergehen. Das Honorar, auf dem Wege der Subscription zusam¬
mengebracht, beträgt für einen Vortrag von 20 bis zu 100 Dollars. Die
meisten "Lecturer".leben von ihren Vorlesungen. In den Debattir-Clubs finden
sich die jüngern Männer des Ortes zusammen und verhandeln über einen all¬
gemein verständlichen Gegenstand in geregelter Disputation, um sich in der
Kunst der freien Rede zu üben, wobei allerdings nicht selten leeres Stroh ge¬
droschen wird, immer aber in ziemlich beredter Form.

In die Kirche geht der Uankee nicht sowohl um Erbauung, als um für
seinen rastlos thätigen Verstand Beschäftigung zu suchen. Sein Prediger muß
ein Mann von Bildung, ein gewandter Dialektiker, gedankenreich und formge¬
recht sein. Bloße Salbung thut es nicht. Die Frauen schwärmen dann für
ihn und überbieten sich in Aufmerksamkeiten und Geschenken für ihn. Die Ge¬
halte der Geistlichen sind sehr ansehnlich, die Kosten der Mitgiiel schaft bei einer
Kirchengemeinde überhaupt beträchtlich. Die Kirchen, meist klein, durchschnittlich
aus etwa vierhundert Zuhörer berechnet, nicht selten Eigenthum des Predigers,
sind immer freundlich und bequem eingerichtet, im Winter geheizt und mit
Teppichen belegt. Orgel und Organist sind gut, ein vierstimmiger Chor von
bezahlten oder freiwilligen Sängern stets vorhanden. Der Aufwand wird in
der Regel durch Versteigerung der Sitzplätze aufgebracht, die bei beliebten Pre¬
digern oft tausend Dollars und mehr jährlich für eine Familie kosten. Dem
Danke? gilt allerdings die Betheiligung bei,einer kirchlichen Gemeinde als Zeichen
eines anständigen Mannes, doch macht es keinen wesentlichen Unterschied, ob
dieselbe einer freisinnigen Richtung angehört oder einer strenggläubigen, ja die
freisinnigern "Denominationen", wie Unitarier, Universalisten, "Freunde" (Quäker)
vom Hicksschen Bekenntniß, Herrnhuter wachsen fortwährend und umfassen viel-


den besten Anstalten der Art in Europa. Boston hat zwei große Bibliotheken,
die eine von 700,000, die andere von 130,000 Bänden, deren Auswahl wenig
zu wünschen übrig läßt und deren Benutzung jedermann freisteht. Es gibt in
den Neuenglandstaaten Hunderte andrer öffentlicher Büchersammlungen, beinahcjin
jedem Township eine, die zusammen mehre Millionen gutausgewähltcr Bände
zahlen. Von Massachusetts gingen ferner die ersten Anregungen zur Verbesserung
des Schulwesens aus und in Boston entstanden auch die ersten amerikanischen
Kindergärten. Die übrigen fünf Uankeestaaten (Connecticut, Rhode-Island,
Ncwhcimpshire, Vermont und Maine) folgen dem von Massachusetts gegebnen
Beispiele, da dieses für sie nicht blos der Mutter-, sondern auch der Muster¬
staat ist.

Zweierlei Einrichtungen sind der gesammten Aankeebevölkerung gemeinsam:
die öffentlichen Vorlesungen und die Debattir-Clubs. Die ersteren erstrecken sich
über alle Gebiete des Wissens und werden von berühmten Fachgelehrten, Phil
lanthrvpen, Aufklärern oder Schöngeistern gehalten, an welche zu diesem Behuf
Einladungen ergehen. Das Honorar, auf dem Wege der Subscription zusam¬
mengebracht, beträgt für einen Vortrag von 20 bis zu 100 Dollars. Die
meisten „Lecturer".leben von ihren Vorlesungen. In den Debattir-Clubs finden
sich die jüngern Männer des Ortes zusammen und verhandeln über einen all¬
gemein verständlichen Gegenstand in geregelter Disputation, um sich in der
Kunst der freien Rede zu üben, wobei allerdings nicht selten leeres Stroh ge¬
droschen wird, immer aber in ziemlich beredter Form.

In die Kirche geht der Uankee nicht sowohl um Erbauung, als um für
seinen rastlos thätigen Verstand Beschäftigung zu suchen. Sein Prediger muß
ein Mann von Bildung, ein gewandter Dialektiker, gedankenreich und formge¬
recht sein. Bloße Salbung thut es nicht. Die Frauen schwärmen dann für
ihn und überbieten sich in Aufmerksamkeiten und Geschenken für ihn. Die Ge¬
halte der Geistlichen sind sehr ansehnlich, die Kosten der Mitgiiel schaft bei einer
Kirchengemeinde überhaupt beträchtlich. Die Kirchen, meist klein, durchschnittlich
aus etwa vierhundert Zuhörer berechnet, nicht selten Eigenthum des Predigers,
sind immer freundlich und bequem eingerichtet, im Winter geheizt und mit
Teppichen belegt. Orgel und Organist sind gut, ein vierstimmiger Chor von
bezahlten oder freiwilligen Sängern stets vorhanden. Der Aufwand wird in
der Regel durch Versteigerung der Sitzplätze aufgebracht, die bei beliebten Pre¬
digern oft tausend Dollars und mehr jährlich für eine Familie kosten. Dem
Danke? gilt allerdings die Betheiligung bei,einer kirchlichen Gemeinde als Zeichen
eines anständigen Mannes, doch macht es keinen wesentlichen Unterschied, ob
dieselbe einer freisinnigen Richtung angehört oder einer strenggläubigen, ja die
freisinnigern „Denominationen", wie Unitarier, Universalisten, „Freunde" (Quäker)
vom Hicksschen Bekenntniß, Herrnhuter wachsen fortwährend und umfassen viel-


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[0228] den besten Anstalten der Art in Europa. Boston hat zwei große Bibliotheken, die eine von 700,000, die andere von 130,000 Bänden, deren Auswahl wenig zu wünschen übrig läßt und deren Benutzung jedermann freisteht. Es gibt in den Neuenglandstaaten Hunderte andrer öffentlicher Büchersammlungen, beinahcjin jedem Township eine, die zusammen mehre Millionen gutausgewähltcr Bände zahlen. Von Massachusetts gingen ferner die ersten Anregungen zur Verbesserung des Schulwesens aus und in Boston entstanden auch die ersten amerikanischen Kindergärten. Die übrigen fünf Uankeestaaten (Connecticut, Rhode-Island, Ncwhcimpshire, Vermont und Maine) folgen dem von Massachusetts gegebnen Beispiele, da dieses für sie nicht blos der Mutter-, sondern auch der Muster¬ staat ist. Zweierlei Einrichtungen sind der gesammten Aankeebevölkerung gemeinsam: die öffentlichen Vorlesungen und die Debattir-Clubs. Die ersteren erstrecken sich über alle Gebiete des Wissens und werden von berühmten Fachgelehrten, Phil lanthrvpen, Aufklärern oder Schöngeistern gehalten, an welche zu diesem Behuf Einladungen ergehen. Das Honorar, auf dem Wege der Subscription zusam¬ mengebracht, beträgt für einen Vortrag von 20 bis zu 100 Dollars. Die meisten „Lecturer".leben von ihren Vorlesungen. In den Debattir-Clubs finden sich die jüngern Männer des Ortes zusammen und verhandeln über einen all¬ gemein verständlichen Gegenstand in geregelter Disputation, um sich in der Kunst der freien Rede zu üben, wobei allerdings nicht selten leeres Stroh ge¬ droschen wird, immer aber in ziemlich beredter Form. In die Kirche geht der Uankee nicht sowohl um Erbauung, als um für seinen rastlos thätigen Verstand Beschäftigung zu suchen. Sein Prediger muß ein Mann von Bildung, ein gewandter Dialektiker, gedankenreich und formge¬ recht sein. Bloße Salbung thut es nicht. Die Frauen schwärmen dann für ihn und überbieten sich in Aufmerksamkeiten und Geschenken für ihn. Die Ge¬ halte der Geistlichen sind sehr ansehnlich, die Kosten der Mitgiiel schaft bei einer Kirchengemeinde überhaupt beträchtlich. Die Kirchen, meist klein, durchschnittlich aus etwa vierhundert Zuhörer berechnet, nicht selten Eigenthum des Predigers, sind immer freundlich und bequem eingerichtet, im Winter geheizt und mit Teppichen belegt. Orgel und Organist sind gut, ein vierstimmiger Chor von bezahlten oder freiwilligen Sängern stets vorhanden. Der Aufwand wird in der Regel durch Versteigerung der Sitzplätze aufgebracht, die bei beliebten Pre¬ digern oft tausend Dollars und mehr jährlich für eine Familie kosten. Dem Danke? gilt allerdings die Betheiligung bei,einer kirchlichen Gemeinde als Zeichen eines anständigen Mannes, doch macht es keinen wesentlichen Unterschied, ob dieselbe einer freisinnigen Richtung angehört oder einer strenggläubigen, ja die freisinnigern „Denominationen", wie Unitarier, Universalisten, „Freunde" (Quäker) vom Hicksschen Bekenntniß, Herrnhuter wachsen fortwährend und umfassen viel-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/228>, abgerufen am 15.01.2025.