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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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Normann veröffentlicht werden. Erst durch die kriegsrechtlichen Urtheile, welche
erfolgten, erfuhr man den Uebertritt der Würtenberger. Die Regimenter wur¬
den aufgelöst, den Offizieren die Ordenszeichen abgefordert, und als die Garde
nach Stuttgart zurückkehrte, mußte sie vor der Stadt, von den Pferden steigen
und zu Fuß durch das ludwigsburger Thor einziehen. Noch veröffentlichten
die Zeitungen Steckbriefe wegen "niederträchtiger Entfernung vom Regiment
und Uebertritts zum Feind", und Executionen. die in eoutumkrcig-in in den
Garnisonen vorgenommen wurden. Selbst das königliche Manifest, das am
14. November erschien, änderte wenigstens an der äußeren Physiognomie wenig.
Es war in schwungloser, kühlen Worten abgefaßt und meldete dem "biedern
Würtenberger" einfach, daß Seine Majestät sich Ihrer aus der Rbeinbundacte
entstandenen Verpflichtungen vollkommen entledigt betrachten und am 2. Nov.
einen Allianztractat mit sämmtlichen kaiserl, und königl. verbündeten Höfen abge¬
schlossen haben. Vom gemeinsamen Vaterlande und seiner Zukunft, von dem Recht
der Völker und dem Kampf für die Befreiung, der nunmehr zu Ende zu führen
war, enthielt es kein Wort. Der kriegerische Aufschwung und seine Zwecke
waren dem Freund Napoleons ein Greuel; selbst seiner Verpflichtung, ein Cor°
tingere zu den verbündeten Heeren zu stellen, kam er in höchst lässiger Weise
nach. Freiwilligencorps durften keine errichtet werden, noch weniger durfte ein
Würtenberger in fremde Corps eintreten. Wer kampflustig sich freiwillig mel¬
dete, durfte sicher sein, in Regimenter gesteckt zu werden, die zu Hause in Gar¬
nison blieben. Mit gutem Gewissen konnte König Friedrich noch im December
an Napoleon schreiben, daß er nur gezwungen dem Bunde gegen ihn beige-
treten sei und der Zeit entgegensehe, wo er sich wieder zu seinen Fahnen werde
sammeln können.

Gleichwohl war auch in Schwaben die Schlacht bei Leipzig schnell als der
Wendepunkt der vaterländischen Geschicke empfunden worden. Durfte man seinen
Gefühlen auch nicht öffentlich Luft machen, so ward doch Alles von begeisterter
Hoffnung erfüllt, und die patriotische Gesinnung schärfte sich unter dem Druck,
den mehr noch als die Fremdherrschaft, das despotische Regiment des Landes-
fürsten übte. Sehnsüchtig schlugen die Herzen dem deutsch und volkstümlich
gesinnten Kronprinzen entgegen, der, unähnlich seinem Vater, mit diesem in
offenkundigem Zerwürfnis; lebte. Bald durfte man vom heiligen Rettungsstreit
nicht mehr blos "träumen", wie Uhland in einem geselligen Liede im Sommer
1813 gesungen hatte. Jetzt entstanden seine Lieder, die anstatt von Lenz und
Liebe, von Krieg und Freiheit sangen und den verbündeten Heeren das "Vor¬
wärts" zuriefen. Und doch standen diese Gesänge nicht auf der vollen Höhe
der Begeisterung, die damals auch in Schwaben wenigstens einzelne Kreise er¬
griffen hatte.

Wenn selbst einem Uhland die Befreiung des Vaterlands im Sommer 1813


Normann veröffentlicht werden. Erst durch die kriegsrechtlichen Urtheile, welche
erfolgten, erfuhr man den Uebertritt der Würtenberger. Die Regimenter wur¬
den aufgelöst, den Offizieren die Ordenszeichen abgefordert, und als die Garde
nach Stuttgart zurückkehrte, mußte sie vor der Stadt, von den Pferden steigen
und zu Fuß durch das ludwigsburger Thor einziehen. Noch veröffentlichten
die Zeitungen Steckbriefe wegen „niederträchtiger Entfernung vom Regiment
und Uebertritts zum Feind", und Executionen. die in eoutumkrcig-in in den
Garnisonen vorgenommen wurden. Selbst das königliche Manifest, das am
14. November erschien, änderte wenigstens an der äußeren Physiognomie wenig.
Es war in schwungloser, kühlen Worten abgefaßt und meldete dem „biedern
Würtenberger" einfach, daß Seine Majestät sich Ihrer aus der Rbeinbundacte
entstandenen Verpflichtungen vollkommen entledigt betrachten und am 2. Nov.
einen Allianztractat mit sämmtlichen kaiserl, und königl. verbündeten Höfen abge¬
schlossen haben. Vom gemeinsamen Vaterlande und seiner Zukunft, von dem Recht
der Völker und dem Kampf für die Befreiung, der nunmehr zu Ende zu führen
war, enthielt es kein Wort. Der kriegerische Aufschwung und seine Zwecke
waren dem Freund Napoleons ein Greuel; selbst seiner Verpflichtung, ein Cor°
tingere zu den verbündeten Heeren zu stellen, kam er in höchst lässiger Weise
nach. Freiwilligencorps durften keine errichtet werden, noch weniger durfte ein
Würtenberger in fremde Corps eintreten. Wer kampflustig sich freiwillig mel¬
dete, durfte sicher sein, in Regimenter gesteckt zu werden, die zu Hause in Gar¬
nison blieben. Mit gutem Gewissen konnte König Friedrich noch im December
an Napoleon schreiben, daß er nur gezwungen dem Bunde gegen ihn beige-
treten sei und der Zeit entgegensehe, wo er sich wieder zu seinen Fahnen werde
sammeln können.

Gleichwohl war auch in Schwaben die Schlacht bei Leipzig schnell als der
Wendepunkt der vaterländischen Geschicke empfunden worden. Durfte man seinen
Gefühlen auch nicht öffentlich Luft machen, so ward doch Alles von begeisterter
Hoffnung erfüllt, und die patriotische Gesinnung schärfte sich unter dem Druck,
den mehr noch als die Fremdherrschaft, das despotische Regiment des Landes-
fürsten übte. Sehnsüchtig schlugen die Herzen dem deutsch und volkstümlich
gesinnten Kronprinzen entgegen, der, unähnlich seinem Vater, mit diesem in
offenkundigem Zerwürfnis; lebte. Bald durfte man vom heiligen Rettungsstreit
nicht mehr blos „träumen", wie Uhland in einem geselligen Liede im Sommer
1813 gesungen hatte. Jetzt entstanden seine Lieder, die anstatt von Lenz und
Liebe, von Krieg und Freiheit sangen und den verbündeten Heeren das „Vor¬
wärts" zuriefen. Und doch standen diese Gesänge nicht auf der vollen Höhe
der Begeisterung, die damals auch in Schwaben wenigstens einzelne Kreise er¬
griffen hatte.

Wenn selbst einem Uhland die Befreiung des Vaterlands im Sommer 1813


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[0222] Normann veröffentlicht werden. Erst durch die kriegsrechtlichen Urtheile, welche erfolgten, erfuhr man den Uebertritt der Würtenberger. Die Regimenter wur¬ den aufgelöst, den Offizieren die Ordenszeichen abgefordert, und als die Garde nach Stuttgart zurückkehrte, mußte sie vor der Stadt, von den Pferden steigen und zu Fuß durch das ludwigsburger Thor einziehen. Noch veröffentlichten die Zeitungen Steckbriefe wegen „niederträchtiger Entfernung vom Regiment und Uebertritts zum Feind", und Executionen. die in eoutumkrcig-in in den Garnisonen vorgenommen wurden. Selbst das königliche Manifest, das am 14. November erschien, änderte wenigstens an der äußeren Physiognomie wenig. Es war in schwungloser, kühlen Worten abgefaßt und meldete dem „biedern Würtenberger" einfach, daß Seine Majestät sich Ihrer aus der Rbeinbundacte entstandenen Verpflichtungen vollkommen entledigt betrachten und am 2. Nov. einen Allianztractat mit sämmtlichen kaiserl, und königl. verbündeten Höfen abge¬ schlossen haben. Vom gemeinsamen Vaterlande und seiner Zukunft, von dem Recht der Völker und dem Kampf für die Befreiung, der nunmehr zu Ende zu führen war, enthielt es kein Wort. Der kriegerische Aufschwung und seine Zwecke waren dem Freund Napoleons ein Greuel; selbst seiner Verpflichtung, ein Cor° tingere zu den verbündeten Heeren zu stellen, kam er in höchst lässiger Weise nach. Freiwilligencorps durften keine errichtet werden, noch weniger durfte ein Würtenberger in fremde Corps eintreten. Wer kampflustig sich freiwillig mel¬ dete, durfte sicher sein, in Regimenter gesteckt zu werden, die zu Hause in Gar¬ nison blieben. Mit gutem Gewissen konnte König Friedrich noch im December an Napoleon schreiben, daß er nur gezwungen dem Bunde gegen ihn beige- treten sei und der Zeit entgegensehe, wo er sich wieder zu seinen Fahnen werde sammeln können. Gleichwohl war auch in Schwaben die Schlacht bei Leipzig schnell als der Wendepunkt der vaterländischen Geschicke empfunden worden. Durfte man seinen Gefühlen auch nicht öffentlich Luft machen, so ward doch Alles von begeisterter Hoffnung erfüllt, und die patriotische Gesinnung schärfte sich unter dem Druck, den mehr noch als die Fremdherrschaft, das despotische Regiment des Landes- fürsten übte. Sehnsüchtig schlugen die Herzen dem deutsch und volkstümlich gesinnten Kronprinzen entgegen, der, unähnlich seinem Vater, mit diesem in offenkundigem Zerwürfnis; lebte. Bald durfte man vom heiligen Rettungsstreit nicht mehr blos „träumen", wie Uhland in einem geselligen Liede im Sommer 1813 gesungen hatte. Jetzt entstanden seine Lieder, die anstatt von Lenz und Liebe, von Krieg und Freiheit sangen und den verbündeten Heeren das „Vor¬ wärts" zuriefen. Und doch standen diese Gesänge nicht auf der vollen Höhe der Begeisterung, die damals auch in Schwaben wenigstens einzelne Kreise er¬ griffen hatte. Wenn selbst einem Uhland die Befreiung des Vaterlands im Sommer 1813

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/222>, abgerufen am 15.01.2025.