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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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.eine solche Wichtigkeit beigelegt wird, ist es lediglich auf den überraschenden
Schein abgesehen, mit dem die Malerei das Aeußere der Dinge auf die Lein¬
wand wirft, und dann nimmt es mit der wahren Kunst, der Welt des idealen
und erfüllten Scheins, ein rasches Ende. Ob daher Piloty und seine Schule,
wie jeder derartige Realismus eine Zukunft haben, ist mehr als zweifelhaft.
Sie haben mitgeholfen, uns von der älteren konventionellen Kunstweise zu
befreien, indem sie alles Gewicht auf die Erscheinung legten; aber indem sie
in dieser nichts sahen, als die materielle Hülle der Dinge, haben sie die
Malerei zum bloßen Abdruck der Natur und zur Sache der Geschicklichl'eit
herabgesetzt. Eine solche Richtung kann, wenn die Kunst bestehen soll, nur
Durchgangspunkt sein. Auch ist nun eine Anzahl namhafter Talente aufge¬
treten, die ebensosehr zu dieser wie wiederum zu jener älteren Kunst im Gegensatz
stehen. Diese legen ebenfalls auf die malerische Erscheinung das größte, ja
das einzige Gewicht, aber sie sehen in dieser zugleich den Ausdruck innern
Lebens und einer seelenvollen Stimmung- Von ihnen, die berufen scheinen,
in der Malerei der Gegenwart eine Rolle zu spielen, im nächsten Artikel.




Nach dem Befmungskmilpse.

Neun volle Tage brauchte es, bis die Kunde von dem Sieg bei Leipzig
in das Herz des Schwabenlands .gelangte. Am 25. October kam zuerst aus
französischen Quellen die Nachricht von "mehren blutigen Gefechten, die vom
14. bis 19. in der Gegend von Leipzig sich ereignet haben". Der Kaiser,
hieß es weiter, habe den Feind vollständig geschlagen und befinde sich bei außer¬
ordentlich guter Gesundheit. Erst zwei Tage später erfuhr man durch ein Extra¬
blatt der baireuther Zeitung, daß die Schlacht mit dem vollständigsten Sieg
der Verbündeten und der Flucht Napoleons geendet habe. Aber keine Aeußerung
der Freude durfte diese Meldung in den Zeitungen begleiten. Es war schon
viel, daß man neben dem französischen Schlachtbericht auch den der Verbün¬
deten "im Wesentlichen" abdrucken durfte. Noch lastete ein eiserner Druck aus
den Gemüthern; selbst über die nächsten die eigene Heimath betreffenden Dinge
dauerte die Ungewißheit fort. Keine Silbe durfte über die Haltung des Generals


.eine solche Wichtigkeit beigelegt wird, ist es lediglich auf den überraschenden
Schein abgesehen, mit dem die Malerei das Aeußere der Dinge auf die Lein¬
wand wirft, und dann nimmt es mit der wahren Kunst, der Welt des idealen
und erfüllten Scheins, ein rasches Ende. Ob daher Piloty und seine Schule,
wie jeder derartige Realismus eine Zukunft haben, ist mehr als zweifelhaft.
Sie haben mitgeholfen, uns von der älteren konventionellen Kunstweise zu
befreien, indem sie alles Gewicht auf die Erscheinung legten; aber indem sie
in dieser nichts sahen, als die materielle Hülle der Dinge, haben sie die
Malerei zum bloßen Abdruck der Natur und zur Sache der Geschicklichl'eit
herabgesetzt. Eine solche Richtung kann, wenn die Kunst bestehen soll, nur
Durchgangspunkt sein. Auch ist nun eine Anzahl namhafter Talente aufge¬
treten, die ebensosehr zu dieser wie wiederum zu jener älteren Kunst im Gegensatz
stehen. Diese legen ebenfalls auf die malerische Erscheinung das größte, ja
das einzige Gewicht, aber sie sehen in dieser zugleich den Ausdruck innern
Lebens und einer seelenvollen Stimmung- Von ihnen, die berufen scheinen,
in der Malerei der Gegenwart eine Rolle zu spielen, im nächsten Artikel.




Nach dem Befmungskmilpse.

Neun volle Tage brauchte es, bis die Kunde von dem Sieg bei Leipzig
in das Herz des Schwabenlands .gelangte. Am 25. October kam zuerst aus
französischen Quellen die Nachricht von „mehren blutigen Gefechten, die vom
14. bis 19. in der Gegend von Leipzig sich ereignet haben". Der Kaiser,
hieß es weiter, habe den Feind vollständig geschlagen und befinde sich bei außer¬
ordentlich guter Gesundheit. Erst zwei Tage später erfuhr man durch ein Extra¬
blatt der baireuther Zeitung, daß die Schlacht mit dem vollständigsten Sieg
der Verbündeten und der Flucht Napoleons geendet habe. Aber keine Aeußerung
der Freude durfte diese Meldung in den Zeitungen begleiten. Es war schon
viel, daß man neben dem französischen Schlachtbericht auch den der Verbün¬
deten „im Wesentlichen" abdrucken durfte. Noch lastete ein eiserner Druck aus
den Gemüthern; selbst über die nächsten die eigene Heimath betreffenden Dinge
dauerte die Ungewißheit fort. Keine Silbe durfte über die Haltung des Generals


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/221>, abgerufen am 15.01.2025.