Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

"Ideen" erfüllte die Köpfe, während die Phantasie, mit der Kunst wie der Na¬
tur gleich wenig vertraut, leer blieb, man wollte national und eigenthümlich sein
und wurde gespreizt dürftig und farblos. Die alte Welt mit ihren Göttern siel
in Trümmer, und nun ging der Künstler in die Spuren des Philosophen, um
der neuentstebenden Fleisch und Blut zu geben, vergaß aber seine Hand zu bil¬
den, die sie doch hätte gestalten müssen.

Daneben ging die conventionelle religiöse Malerei ihren Weg fort, nach¬
dem sich die erhitzte Empfindung des Nazarenerthums ausgelebt hatte, und ver¬
flachte ihrerseits die große Anschauung der Alten zu einer leblosen Formel.
Die Ausstellung hat daran ein Beispiel in den Bildern von Julius Hübner
auszuweisen; so ziemlich der einzige aus der ältern Schule, der sich dahin ver¬
irrt hat.

Ein Rückschlag gegen diese ganze Kunstweise, der die Münchener wie die
düsscldorfer Schule, voran die Akademiker und Historienmaler (vom Genre und
der Landschaft wird später die Rede sein) verfielen, konnte nicht ausbleiben.
Bald bildete sich eine Richtung, der es vor Allem auf die ideale künstlerische
Erscheinung ankam und die den großen Mustern nachzueifern suchte, indem
sie ihre Stoffe aus einer 'dem Künstler dankbaren Phantafiewelt nahm, ohne
nach ihrer Beziehung zur Gegenwart zu fragen. Es war die Schönheit des
menschlichen Körpers und das einfache unzersehte Leben in den Sagenkreisen
des Alterthums, woran sich einzelne bedeutende Talente begeisterten; schade
nur, daß von Naht und Gcnclli, die hier vor Allen zu nennen find, die Aus¬
stellung nichts aufzuweisen hatte. Beide wissen uns die antike Welt und ihre
unvergängliche Schönheit menschlich nahe zu bringen, der Eine, indem er sei¬
nen Göttern und. Helden durch die Wärme des Colorits, die Kraft der For¬
men und Bewegungen ein frisches unmittelbares Leben gibt, der Andere, in¬
dem er mit unerschöpflicher Phantasie die heitern Gestalten der Antike auch
für uns zurückruft und in den feinen Zug der Linien saßt. Daß beide es zu
der Durchbildung in der Form nicht brachten, welche die Allen erreicht haben,
ist weniger ihnen, als der vereinsamten Stellung Schuld zu geben, durch die
sie ohne Vorgänger und ohne Aufmunterung lediglich auf sich selber angewiesen
waren. Doch ist mit ihnen die Schönheit des menschlichen Körpers in der
idealen Anschauung, welche das Individuum über die zerrissene Wirklichkeit in
das Gebiet des rein Menschlichen erhebt, wieder zu Ehren gekommen, und die
Ausstellung zeigt, daß ein Theil der jüngeren Künstlerwelt die historischen
Kleidungsstücke ebenso satt hat wie den Formalismus und zu jenen Gestatte",
die der echten Kunst angehören, zurückgreift. Hier sind zunächst die Bilder von
I. Berdell6 zu erwähnen, namentlich die Bacchantin und die Badende im
Walde. Auf den ersten Blick erkennt man den Künstler, der bei den Alten in
die Schule gegangen ist und ihre Anschauungsweise in sich lebendig fühlt;


„Ideen" erfüllte die Köpfe, während die Phantasie, mit der Kunst wie der Na¬
tur gleich wenig vertraut, leer blieb, man wollte national und eigenthümlich sein
und wurde gespreizt dürftig und farblos. Die alte Welt mit ihren Göttern siel
in Trümmer, und nun ging der Künstler in die Spuren des Philosophen, um
der neuentstebenden Fleisch und Blut zu geben, vergaß aber seine Hand zu bil¬
den, die sie doch hätte gestalten müssen.

Daneben ging die conventionelle religiöse Malerei ihren Weg fort, nach¬
dem sich die erhitzte Empfindung des Nazarenerthums ausgelebt hatte, und ver¬
flachte ihrerseits die große Anschauung der Alten zu einer leblosen Formel.
Die Ausstellung hat daran ein Beispiel in den Bildern von Julius Hübner
auszuweisen; so ziemlich der einzige aus der ältern Schule, der sich dahin ver¬
irrt hat.

Ein Rückschlag gegen diese ganze Kunstweise, der die Münchener wie die
düsscldorfer Schule, voran die Akademiker und Historienmaler (vom Genre und
der Landschaft wird später die Rede sein) verfielen, konnte nicht ausbleiben.
Bald bildete sich eine Richtung, der es vor Allem auf die ideale künstlerische
Erscheinung ankam und die den großen Mustern nachzueifern suchte, indem
sie ihre Stoffe aus einer 'dem Künstler dankbaren Phantafiewelt nahm, ohne
nach ihrer Beziehung zur Gegenwart zu fragen. Es war die Schönheit des
menschlichen Körpers und das einfache unzersehte Leben in den Sagenkreisen
des Alterthums, woran sich einzelne bedeutende Talente begeisterten; schade
nur, daß von Naht und Gcnclli, die hier vor Allen zu nennen find, die Aus¬
stellung nichts aufzuweisen hatte. Beide wissen uns die antike Welt und ihre
unvergängliche Schönheit menschlich nahe zu bringen, der Eine, indem er sei¬
nen Göttern und. Helden durch die Wärme des Colorits, die Kraft der For¬
men und Bewegungen ein frisches unmittelbares Leben gibt, der Andere, in¬
dem er mit unerschöpflicher Phantasie die heitern Gestalten der Antike auch
für uns zurückruft und in den feinen Zug der Linien saßt. Daß beide es zu
der Durchbildung in der Form nicht brachten, welche die Allen erreicht haben,
ist weniger ihnen, als der vereinsamten Stellung Schuld zu geben, durch die
sie ohne Vorgänger und ohne Aufmunterung lediglich auf sich selber angewiesen
waren. Doch ist mit ihnen die Schönheit des menschlichen Körpers in der
idealen Anschauung, welche das Individuum über die zerrissene Wirklichkeit in
das Gebiet des rein Menschlichen erhebt, wieder zu Ehren gekommen, und die
Ausstellung zeigt, daß ein Theil der jüngeren Künstlerwelt die historischen
Kleidungsstücke ebenso satt hat wie den Formalismus und zu jenen Gestatte»,
die der echten Kunst angehören, zurückgreift. Hier sind zunächst die Bilder von
I. Berdell6 zu erwähnen, namentlich die Bacchantin und die Badende im
Walde. Auf den ersten Blick erkennt man den Künstler, der bei den Alten in
die Schule gegangen ist und ihre Anschauungsweise in sich lebendig fühlt;


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0214" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/116142"/>
          <p xml:id="ID_804" prev="#ID_803"> &#x201E;Ideen" erfüllte die Köpfe, während die Phantasie, mit der Kunst wie der Na¬<lb/>
tur gleich wenig vertraut, leer blieb, man wollte national und eigenthümlich sein<lb/>
und wurde gespreizt dürftig und farblos. Die alte Welt mit ihren Göttern siel<lb/>
in Trümmer, und nun ging der Künstler in die Spuren des Philosophen, um<lb/>
der neuentstebenden Fleisch und Blut zu geben, vergaß aber seine Hand zu bil¬<lb/>
den, die sie doch hätte gestalten müssen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_805"> Daneben ging die conventionelle religiöse Malerei ihren Weg fort, nach¬<lb/>
dem sich die erhitzte Empfindung des Nazarenerthums ausgelebt hatte, und ver¬<lb/>
flachte ihrerseits die große Anschauung der Alten zu einer leblosen Formel.<lb/>
Die Ausstellung hat daran ein Beispiel in den Bildern von Julius Hübner<lb/>
auszuweisen; so ziemlich der einzige aus der ältern Schule, der sich dahin ver¬<lb/>
irrt hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_806" next="#ID_807"> Ein Rückschlag gegen diese ganze Kunstweise, der die Münchener wie die<lb/>
düsscldorfer Schule, voran die Akademiker und Historienmaler (vom Genre und<lb/>
der Landschaft wird später die Rede sein) verfielen, konnte nicht ausbleiben.<lb/>
Bald bildete sich eine Richtung, der es vor Allem auf die ideale künstlerische<lb/>
Erscheinung ankam und die den großen Mustern nachzueifern suchte, indem<lb/>
sie ihre Stoffe aus einer 'dem Künstler dankbaren Phantafiewelt nahm, ohne<lb/>
nach ihrer Beziehung zur Gegenwart zu fragen. Es war die Schönheit des<lb/>
menschlichen Körpers und das einfache unzersehte Leben in den Sagenkreisen<lb/>
des Alterthums, woran sich einzelne bedeutende Talente begeisterten; schade<lb/>
nur, daß von Naht und Gcnclli, die hier vor Allen zu nennen find, die Aus¬<lb/>
stellung nichts aufzuweisen hatte. Beide wissen uns die antike Welt und ihre<lb/>
unvergängliche Schönheit menschlich nahe zu bringen, der Eine, indem er sei¬<lb/>
nen Göttern und. Helden durch die Wärme des Colorits, die Kraft der For¬<lb/>
men und Bewegungen ein frisches unmittelbares Leben gibt, der Andere, in¬<lb/>
dem er mit unerschöpflicher Phantasie die heitern Gestalten der Antike auch<lb/>
für uns zurückruft und in den feinen Zug der Linien saßt. Daß beide es zu<lb/>
der Durchbildung in der Form nicht brachten, welche die Allen erreicht haben,<lb/>
ist weniger ihnen, als der vereinsamten Stellung Schuld zu geben, durch die<lb/>
sie ohne Vorgänger und ohne Aufmunterung lediglich auf sich selber angewiesen<lb/>
waren. Doch ist mit ihnen die Schönheit des menschlichen Körpers in der<lb/>
idealen Anschauung, welche das Individuum über die zerrissene Wirklichkeit in<lb/>
das Gebiet des rein Menschlichen erhebt, wieder zu Ehren gekommen, und die<lb/>
Ausstellung zeigt, daß ein Theil der jüngeren Künstlerwelt die historischen<lb/>
Kleidungsstücke ebenso satt hat wie den Formalismus und zu jenen Gestatte»,<lb/>
die der echten Kunst angehören, zurückgreift. Hier sind zunächst die Bilder von<lb/>
I. Berdell6 zu erwähnen, namentlich die Bacchantin und die Badende im<lb/>
Walde. Auf den ersten Blick erkennt man den Künstler, der bei den Alten in<lb/>
die Schule gegangen ist und ihre Anschauungsweise in sich lebendig fühlt;</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0214] „Ideen" erfüllte die Köpfe, während die Phantasie, mit der Kunst wie der Na¬ tur gleich wenig vertraut, leer blieb, man wollte national und eigenthümlich sein und wurde gespreizt dürftig und farblos. Die alte Welt mit ihren Göttern siel in Trümmer, und nun ging der Künstler in die Spuren des Philosophen, um der neuentstebenden Fleisch und Blut zu geben, vergaß aber seine Hand zu bil¬ den, die sie doch hätte gestalten müssen. Daneben ging die conventionelle religiöse Malerei ihren Weg fort, nach¬ dem sich die erhitzte Empfindung des Nazarenerthums ausgelebt hatte, und ver¬ flachte ihrerseits die große Anschauung der Alten zu einer leblosen Formel. Die Ausstellung hat daran ein Beispiel in den Bildern von Julius Hübner auszuweisen; so ziemlich der einzige aus der ältern Schule, der sich dahin ver¬ irrt hat. Ein Rückschlag gegen diese ganze Kunstweise, der die Münchener wie die düsscldorfer Schule, voran die Akademiker und Historienmaler (vom Genre und der Landschaft wird später die Rede sein) verfielen, konnte nicht ausbleiben. Bald bildete sich eine Richtung, der es vor Allem auf die ideale künstlerische Erscheinung ankam und die den großen Mustern nachzueifern suchte, indem sie ihre Stoffe aus einer 'dem Künstler dankbaren Phantafiewelt nahm, ohne nach ihrer Beziehung zur Gegenwart zu fragen. Es war die Schönheit des menschlichen Körpers und das einfache unzersehte Leben in den Sagenkreisen des Alterthums, woran sich einzelne bedeutende Talente begeisterten; schade nur, daß von Naht und Gcnclli, die hier vor Allen zu nennen find, die Aus¬ stellung nichts aufzuweisen hatte. Beide wissen uns die antike Welt und ihre unvergängliche Schönheit menschlich nahe zu bringen, der Eine, indem er sei¬ nen Göttern und. Helden durch die Wärme des Colorits, die Kraft der For¬ men und Bewegungen ein frisches unmittelbares Leben gibt, der Andere, in¬ dem er mit unerschöpflicher Phantasie die heitern Gestalten der Antike auch für uns zurückruft und in den feinen Zug der Linien saßt. Daß beide es zu der Durchbildung in der Form nicht brachten, welche die Allen erreicht haben, ist weniger ihnen, als der vereinsamten Stellung Schuld zu geben, durch die sie ohne Vorgänger und ohne Aufmunterung lediglich auf sich selber angewiesen waren. Doch ist mit ihnen die Schönheit des menschlichen Körpers in der idealen Anschauung, welche das Individuum über die zerrissene Wirklichkeit in das Gebiet des rein Menschlichen erhebt, wieder zu Ehren gekommen, und die Ausstellung zeigt, daß ein Theil der jüngeren Künstlerwelt die historischen Kleidungsstücke ebenso satt hat wie den Formalismus und zu jenen Gestatte», die der echten Kunst angehören, zurückgreift. Hier sind zunächst die Bilder von I. Berdell6 zu erwähnen, namentlich die Bacchantin und die Badende im Walde. Auf den ersten Blick erkennt man den Künstler, der bei den Alten in die Schule gegangen ist und ihre Anschauungsweise in sich lebendig fühlt;

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/214
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/214>, abgerufen am 15.01.2025.