Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Kenntniß des Körpers ist, und so oft er über das richtige Maß der Darstellung
Hinaushieb, dennoch ist bei ihm die Erscheinung immer lebendig ausgeprägt,
die Kraft der Bewegung wie die Empfindung in die Gestalt wirksam hinaus¬
gelegt. Er war ein geborner Künstler, und so hatte er von Haus aus ein
Gestaltungsvermögen, ein Gefühl der Form und des Ausdrucks, das auch
über die verzeichnete Figur einen Hauch des Lebens verbreitete, den die an¬
gelernte Correctheit der Akademiker nimmer zu erreichen vermag. Freilich kann
es nur dem genialen Geiste gelingen, die natürliche Wahrheit zu verletzen und
doch die künstlerische zu erreichen, und darin eben steht ja Cornelius den Alten
nach, daß er beides so selten zu vereinigen wußte. Auch ist es bei ihm nicht
sowohl die einzelne Gestalt, welche wirkt, als der Zug des Ganzen; daß er
das reiche Gebilde seiner Phantasie im Flusse der Composition, in der Be¬
wegung der Gruppen und in der malerisch hinaustretenden Beziehung der
Figuren wiederzugeben vermochte, das machte ihn zum Meister. Und diese
echt künstlerische Fähigkeit ist es, welche die Neuen, die mit der ganzen nach-
cornelianischen Kunst so gut wie brechen, an Cornelius selber noch festhält.

Eine Kluft dagegen ist zwischen beiden , sobald es sich nicht um die Ge¬
walt der unmittelbaren Erscheinung, sondern um den Inhalt handelt, den der
Künstler in seinem Werke aussprechen soll. Die Jüngern sehen im "Gedanken"
den bösen Geist, der es der modernen Kunst angethan und aus der blühenden
ahnungsvoll verschlossenen Prinzessin ein altes schwatzhaftes Weib gemacht hat.
Wenn sie auch die tiefsinnigen Ideen eines Cornelius um so mehr achten
müssen, als sie sich in seiner aufs Monumentale angelegten Phantasie sofort
zu einem ganzen Kreis von Bildern verkörperten, so fühlen sie doch von dieser
Tiefe und Fülle, welche die sinnliche Form zu zersprengen droht, sich abgestoßen.
Sie sehen nicht, daß es eine Eigenthümlichkeit dieser echten Künstlernatur ist,
eine ganze innere Welt zur Erscheinung heraufzuführen, und daß der grandiose
Zug seiner Compositionen nur aus einem so erfüllten Geiste kommen konnte;
aber darin empfinden sie doch wohl richtig, daß der Meister leicht auf den
Abweg des Jdeenhaften und symbolischen gerieth, dann seine Figuren in mehr
als einem Sinne übermenschlich bildete und so die deutsche Kunst zuerst dazu
verleitete, die Erscheinung gering und den Inhalt über Alles zu schätzen.
So erklärt sich schon aus dem Verhältniß zu Cornelius die Stellung, welche
die Neuen zu der Kunst der verflossenen Jahrzehnte einnehmen: sie erklären
dieser den Krieg, weil sie die Erscheinung vernachlässigt und vorab durch den
Inhalt wirken will.

Durch den Inhalt, nicht blos durch den Stoff: denn allerdings, das war
der Münchener, wie der düsseldorfer Schule eigenthümlich, daß sie nach Stoffen
suchten, die durch ihren bedeutenden oder doch interessanten Inhalt auf den
Beschauer wirken sollten. Mochten die Einen geschichtliche Ereignisse von


Kenntniß des Körpers ist, und so oft er über das richtige Maß der Darstellung
Hinaushieb, dennoch ist bei ihm die Erscheinung immer lebendig ausgeprägt,
die Kraft der Bewegung wie die Empfindung in die Gestalt wirksam hinaus¬
gelegt. Er war ein geborner Künstler, und so hatte er von Haus aus ein
Gestaltungsvermögen, ein Gefühl der Form und des Ausdrucks, das auch
über die verzeichnete Figur einen Hauch des Lebens verbreitete, den die an¬
gelernte Correctheit der Akademiker nimmer zu erreichen vermag. Freilich kann
es nur dem genialen Geiste gelingen, die natürliche Wahrheit zu verletzen und
doch die künstlerische zu erreichen, und darin eben steht ja Cornelius den Alten
nach, daß er beides so selten zu vereinigen wußte. Auch ist es bei ihm nicht
sowohl die einzelne Gestalt, welche wirkt, als der Zug des Ganzen; daß er
das reiche Gebilde seiner Phantasie im Flusse der Composition, in der Be¬
wegung der Gruppen und in der malerisch hinaustretenden Beziehung der
Figuren wiederzugeben vermochte, das machte ihn zum Meister. Und diese
echt künstlerische Fähigkeit ist es, welche die Neuen, die mit der ganzen nach-
cornelianischen Kunst so gut wie brechen, an Cornelius selber noch festhält.

Eine Kluft dagegen ist zwischen beiden , sobald es sich nicht um die Ge¬
walt der unmittelbaren Erscheinung, sondern um den Inhalt handelt, den der
Künstler in seinem Werke aussprechen soll. Die Jüngern sehen im „Gedanken"
den bösen Geist, der es der modernen Kunst angethan und aus der blühenden
ahnungsvoll verschlossenen Prinzessin ein altes schwatzhaftes Weib gemacht hat.
Wenn sie auch die tiefsinnigen Ideen eines Cornelius um so mehr achten
müssen, als sie sich in seiner aufs Monumentale angelegten Phantasie sofort
zu einem ganzen Kreis von Bildern verkörperten, so fühlen sie doch von dieser
Tiefe und Fülle, welche die sinnliche Form zu zersprengen droht, sich abgestoßen.
Sie sehen nicht, daß es eine Eigenthümlichkeit dieser echten Künstlernatur ist,
eine ganze innere Welt zur Erscheinung heraufzuführen, und daß der grandiose
Zug seiner Compositionen nur aus einem so erfüllten Geiste kommen konnte;
aber darin empfinden sie doch wohl richtig, daß der Meister leicht auf den
Abweg des Jdeenhaften und symbolischen gerieth, dann seine Figuren in mehr
als einem Sinne übermenschlich bildete und so die deutsche Kunst zuerst dazu
verleitete, die Erscheinung gering und den Inhalt über Alles zu schätzen.
So erklärt sich schon aus dem Verhältniß zu Cornelius die Stellung, welche
die Neuen zu der Kunst der verflossenen Jahrzehnte einnehmen: sie erklären
dieser den Krieg, weil sie die Erscheinung vernachlässigt und vorab durch den
Inhalt wirken will.

Durch den Inhalt, nicht blos durch den Stoff: denn allerdings, das war
der Münchener, wie der düsseldorfer Schule eigenthümlich, daß sie nach Stoffen
suchten, die durch ihren bedeutenden oder doch interessanten Inhalt auf den
Beschauer wirken sollten. Mochten die Einen geschichtliche Ereignisse von


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0212" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/116140"/>
          <p xml:id="ID_799" prev="#ID_798"> Kenntniß des Körpers ist, und so oft er über das richtige Maß der Darstellung<lb/>
Hinaushieb, dennoch ist bei ihm die Erscheinung immer lebendig ausgeprägt,<lb/>
die Kraft der Bewegung wie die Empfindung in die Gestalt wirksam hinaus¬<lb/>
gelegt. Er war ein geborner Künstler, und so hatte er von Haus aus ein<lb/>
Gestaltungsvermögen, ein Gefühl der Form und des Ausdrucks, das auch<lb/>
über die verzeichnete Figur einen Hauch des Lebens verbreitete, den die an¬<lb/>
gelernte Correctheit der Akademiker nimmer zu erreichen vermag. Freilich kann<lb/>
es nur dem genialen Geiste gelingen, die natürliche Wahrheit zu verletzen und<lb/>
doch die künstlerische zu erreichen, und darin eben steht ja Cornelius den Alten<lb/>
nach, daß er beides so selten zu vereinigen wußte. Auch ist es bei ihm nicht<lb/>
sowohl die einzelne Gestalt, welche wirkt, als der Zug des Ganzen; daß er<lb/>
das reiche Gebilde seiner Phantasie im Flusse der Composition, in der Be¬<lb/>
wegung der Gruppen und in der malerisch hinaustretenden Beziehung der<lb/>
Figuren wiederzugeben vermochte, das machte ihn zum Meister. Und diese<lb/>
echt künstlerische Fähigkeit ist es, welche die Neuen, die mit der ganzen nach-<lb/>
cornelianischen Kunst so gut wie brechen, an Cornelius selber noch festhält.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_800"> Eine Kluft dagegen ist zwischen beiden , sobald es sich nicht um die Ge¬<lb/>
walt der unmittelbaren Erscheinung, sondern um den Inhalt handelt, den der<lb/>
Künstler in seinem Werke aussprechen soll. Die Jüngern sehen im &#x201E;Gedanken"<lb/>
den bösen Geist, der es der modernen Kunst angethan und aus der blühenden<lb/>
ahnungsvoll verschlossenen Prinzessin ein altes schwatzhaftes Weib gemacht hat.<lb/>
Wenn sie auch die tiefsinnigen Ideen eines Cornelius um so mehr achten<lb/>
müssen, als sie sich in seiner aufs Monumentale angelegten Phantasie sofort<lb/>
zu einem ganzen Kreis von Bildern verkörperten, so fühlen sie doch von dieser<lb/>
Tiefe und Fülle, welche die sinnliche Form zu zersprengen droht, sich abgestoßen.<lb/>
Sie sehen nicht, daß es eine Eigenthümlichkeit dieser echten Künstlernatur ist,<lb/>
eine ganze innere Welt zur Erscheinung heraufzuführen, und daß der grandiose<lb/>
Zug seiner Compositionen nur aus einem so erfüllten Geiste kommen konnte;<lb/>
aber darin empfinden sie doch wohl richtig, daß der Meister leicht auf den<lb/>
Abweg des Jdeenhaften und symbolischen gerieth, dann seine Figuren in mehr<lb/>
als einem Sinne übermenschlich bildete und so die deutsche Kunst zuerst dazu<lb/>
verleitete, die Erscheinung gering und den Inhalt über Alles zu schätzen.<lb/>
So erklärt sich schon aus dem Verhältniß zu Cornelius die Stellung, welche<lb/>
die Neuen zu der Kunst der verflossenen Jahrzehnte einnehmen: sie erklären<lb/>
dieser den Krieg, weil sie die Erscheinung vernachlässigt und vorab durch den<lb/>
Inhalt wirken will.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_801" next="#ID_802"> Durch den Inhalt, nicht blos durch den Stoff: denn allerdings, das war<lb/>
der Münchener, wie der düsseldorfer Schule eigenthümlich, daß sie nach Stoffen<lb/>
suchten, die durch ihren bedeutenden oder doch interessanten Inhalt auf den<lb/>
Beschauer wirken sollten.  Mochten die Einen geschichtliche Ereignisse von</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0212] Kenntniß des Körpers ist, und so oft er über das richtige Maß der Darstellung Hinaushieb, dennoch ist bei ihm die Erscheinung immer lebendig ausgeprägt, die Kraft der Bewegung wie die Empfindung in die Gestalt wirksam hinaus¬ gelegt. Er war ein geborner Künstler, und so hatte er von Haus aus ein Gestaltungsvermögen, ein Gefühl der Form und des Ausdrucks, das auch über die verzeichnete Figur einen Hauch des Lebens verbreitete, den die an¬ gelernte Correctheit der Akademiker nimmer zu erreichen vermag. Freilich kann es nur dem genialen Geiste gelingen, die natürliche Wahrheit zu verletzen und doch die künstlerische zu erreichen, und darin eben steht ja Cornelius den Alten nach, daß er beides so selten zu vereinigen wußte. Auch ist es bei ihm nicht sowohl die einzelne Gestalt, welche wirkt, als der Zug des Ganzen; daß er das reiche Gebilde seiner Phantasie im Flusse der Composition, in der Be¬ wegung der Gruppen und in der malerisch hinaustretenden Beziehung der Figuren wiederzugeben vermochte, das machte ihn zum Meister. Und diese echt künstlerische Fähigkeit ist es, welche die Neuen, die mit der ganzen nach- cornelianischen Kunst so gut wie brechen, an Cornelius selber noch festhält. Eine Kluft dagegen ist zwischen beiden , sobald es sich nicht um die Ge¬ walt der unmittelbaren Erscheinung, sondern um den Inhalt handelt, den der Künstler in seinem Werke aussprechen soll. Die Jüngern sehen im „Gedanken" den bösen Geist, der es der modernen Kunst angethan und aus der blühenden ahnungsvoll verschlossenen Prinzessin ein altes schwatzhaftes Weib gemacht hat. Wenn sie auch die tiefsinnigen Ideen eines Cornelius um so mehr achten müssen, als sie sich in seiner aufs Monumentale angelegten Phantasie sofort zu einem ganzen Kreis von Bildern verkörperten, so fühlen sie doch von dieser Tiefe und Fülle, welche die sinnliche Form zu zersprengen droht, sich abgestoßen. Sie sehen nicht, daß es eine Eigenthümlichkeit dieser echten Künstlernatur ist, eine ganze innere Welt zur Erscheinung heraufzuführen, und daß der grandiose Zug seiner Compositionen nur aus einem so erfüllten Geiste kommen konnte; aber darin empfinden sie doch wohl richtig, daß der Meister leicht auf den Abweg des Jdeenhaften und symbolischen gerieth, dann seine Figuren in mehr als einem Sinne übermenschlich bildete und so die deutsche Kunst zuerst dazu verleitete, die Erscheinung gering und den Inhalt über Alles zu schätzen. So erklärt sich schon aus dem Verhältniß zu Cornelius die Stellung, welche die Neuen zu der Kunst der verflossenen Jahrzehnte einnehmen: sie erklären dieser den Krieg, weil sie die Erscheinung vernachlässigt und vorab durch den Inhalt wirken will. Durch den Inhalt, nicht blos durch den Stoff: denn allerdings, das war der Münchener, wie der düsseldorfer Schule eigenthümlich, daß sie nach Stoffen suchten, die durch ihren bedeutenden oder doch interessanten Inhalt auf den Beschauer wirken sollten. Mochten die Einen geschichtliche Ereignisse von

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/212
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/212>, abgerufen am 15.01.2025.