Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.das Examen einüben. Die jüngste .Schwester, die etwa elf Jahre alt war. "Wer Sie müssen!" sagte ich. "Und ich will nicht!" erwiderte sie. "So muß ich es dem Prinzipal sagen." "Das ist mir ganz gleich; ich mache mir gar nichts aus dem Prinzipale!" das Examen einüben. Die jüngste .Schwester, die etwa elf Jahre alt war. „Wer Sie müssen!" sagte ich. „Und ich will nicht!" erwiderte sie. „So muß ich es dem Prinzipal sagen." „Das ist mir ganz gleich; ich mache mir gar nichts aus dem Prinzipale!" <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0207" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/116135"/> <p xml:id="ID_782" prev="#ID_781"> das Examen einüben. Die jüngste .Schwester, die etwa elf Jahre alt war.<lb/> weigerte sich jedoch, mit ihrer Schwester im Examen vierbändig zu spielen.</p><lb/> <p xml:id="ID_783"> „Wer Sie müssen!" sagte ich.</p><lb/> <p xml:id="ID_784"> „Und ich will nicht!" erwiderte sie.</p><lb/> <p xml:id="ID_785"> „So muß ich es dem Prinzipal sagen."</p><lb/> <p xml:id="ID_786"> „Das ist mir ganz gleich; ich mache mir gar nichts aus dem Prinzipale!"<lb/> Ihre Weigerung blieb jedoch ohne weitere Folgen; denn es trat plötzlich<lb/> im sehnlicher eine neue Phase ein-, Ende Mai starben unerwartet-zwei Kost¬<lb/> gängerinnen ganz rasch nach einander. Die übrigen wurden ängstlich, fürch¬<lb/> teten den Ausbruch einer ansteckenden Krankheit im Institute und singen<lb/> an. nach Hause zu reisen. Poiudcxter machte verzweifelte Anstrengungen, um<lb/> die Mädchen zu halten, denn ihm war es um sein Examen zu thun; aber<lb/> die Ladies gingen, und bald waren nur noch einige der entfernter wohnenden<lb/> da. An das Examen war nun nicht mehr zu denken, und der Unterricht wurde<lb/> eingestellt. Wir packten unsere Koffer, um jederzeit reisefertig zu sein; aber<lb/> die Abreise verzögerte sich volle vierzehn Tage. Nun. wo ich die Bücher ein¬<lb/> gepackt hatte und nicht mehr studiren konnte, fühlte ich erst, was es zu be¬<lb/> deuten hatte, zehn Monate in diesem Institute auszuhalten, wenn man sich<lb/> nicht zu beschäftigen wußte. Jetzt konnte ich es dem Italiener nicht mehr ver¬<lb/> denken, daß er sich bisweilen wegen der schrecklichen Langeweile allen Ernstes<lb/> hatte entleihen wollen; denn man hatte auch nicht die geringste Unterhaltung.<lb/> Spazieren gehen konnte man nicht, weil die Gegend zu trostlos und die Wege<lb/> zu sandig und staubig waren. Die Stadt war keines Besuches werth, und<lb/> überdies waren die Menschen in der derselben sowie in der ganzen Umgegend<lb/> äußerst ungesellig. Es waren meist Leute, die sich mit nichts als Glück em¬<lb/> porgearbeitet und dabei ein unangenehm dünkelhaftes Wesen angenommen<lb/> hatten. So gingen wir denn früh zu dem unerquicklichen Frühstück, legten<lb/> uns dann aufs Bett und rauchten Tabak. Dasselbe geschah, wenn wir von<lb/> dem kläglichen Mittagsessen oder von dem elenden Abendbrote kamen. Einige<lb/> Unterhaltung boten mir jetzt noch die Schulbücher, über welche ich eine<lb/> genaue Mustrung hielt. Da fielen mir freilich absonderliche Sachen in die<lb/> Hände. Die Mädchen trieben stark Lateinisch und machten sich fast ohne alle<lb/> Vorkenntniß gleich an den Virgil und an Ciceros Reden. Aber ich fand einen<lb/> Virgil, der in völlig regelrechte Prosa ungeschrieben und so eingerichtet war,<lb/> daß auf eine Zeile lateinischen Text stets eine Zeile englische Uebersetzung folgte.<lb/> Die catilinarischen Reden waren mit Anmerkungen so gespickt, daß sie jede<lb/> deutsche Eselsbrücke meilenweit hinter sich ließen. Die „philosophischen" Werke,<lb/> 5- B. Naturphilosophie, Moralphilosophie, die Geschichtsbücher u. tgi. waren<lb/> an den Rändern mit den Fragen versehen, die der Lehrer stellen sollte. Man<lb/> sieht, alles war höchst praktisch eingerichtet.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0207]
das Examen einüben. Die jüngste .Schwester, die etwa elf Jahre alt war.
weigerte sich jedoch, mit ihrer Schwester im Examen vierbändig zu spielen.
„Wer Sie müssen!" sagte ich.
„Und ich will nicht!" erwiderte sie.
„So muß ich es dem Prinzipal sagen."
„Das ist mir ganz gleich; ich mache mir gar nichts aus dem Prinzipale!"
Ihre Weigerung blieb jedoch ohne weitere Folgen; denn es trat plötzlich
im sehnlicher eine neue Phase ein-, Ende Mai starben unerwartet-zwei Kost¬
gängerinnen ganz rasch nach einander. Die übrigen wurden ängstlich, fürch¬
teten den Ausbruch einer ansteckenden Krankheit im Institute und singen
an. nach Hause zu reisen. Poiudcxter machte verzweifelte Anstrengungen, um
die Mädchen zu halten, denn ihm war es um sein Examen zu thun; aber
die Ladies gingen, und bald waren nur noch einige der entfernter wohnenden
da. An das Examen war nun nicht mehr zu denken, und der Unterricht wurde
eingestellt. Wir packten unsere Koffer, um jederzeit reisefertig zu sein; aber
die Abreise verzögerte sich volle vierzehn Tage. Nun. wo ich die Bücher ein¬
gepackt hatte und nicht mehr studiren konnte, fühlte ich erst, was es zu be¬
deuten hatte, zehn Monate in diesem Institute auszuhalten, wenn man sich
nicht zu beschäftigen wußte. Jetzt konnte ich es dem Italiener nicht mehr ver¬
denken, daß er sich bisweilen wegen der schrecklichen Langeweile allen Ernstes
hatte entleihen wollen; denn man hatte auch nicht die geringste Unterhaltung.
Spazieren gehen konnte man nicht, weil die Gegend zu trostlos und die Wege
zu sandig und staubig waren. Die Stadt war keines Besuches werth, und
überdies waren die Menschen in der derselben sowie in der ganzen Umgegend
äußerst ungesellig. Es waren meist Leute, die sich mit nichts als Glück em¬
porgearbeitet und dabei ein unangenehm dünkelhaftes Wesen angenommen
hatten. So gingen wir denn früh zu dem unerquicklichen Frühstück, legten
uns dann aufs Bett und rauchten Tabak. Dasselbe geschah, wenn wir von
dem kläglichen Mittagsessen oder von dem elenden Abendbrote kamen. Einige
Unterhaltung boten mir jetzt noch die Schulbücher, über welche ich eine
genaue Mustrung hielt. Da fielen mir freilich absonderliche Sachen in die
Hände. Die Mädchen trieben stark Lateinisch und machten sich fast ohne alle
Vorkenntniß gleich an den Virgil und an Ciceros Reden. Aber ich fand einen
Virgil, der in völlig regelrechte Prosa ungeschrieben und so eingerichtet war,
daß auf eine Zeile lateinischen Text stets eine Zeile englische Uebersetzung folgte.
Die catilinarischen Reden waren mit Anmerkungen so gespickt, daß sie jede
deutsche Eselsbrücke meilenweit hinter sich ließen. Die „philosophischen" Werke,
5- B. Naturphilosophie, Moralphilosophie, die Geschichtsbücher u. tgi. waren
an den Rändern mit den Fragen versehen, die der Lehrer stellen sollte. Man
sieht, alles war höchst praktisch eingerichtet.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |