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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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habe. Einige Bekannte in der Stadt, die durch das Verschwinden des Jta¬
lieners ihre Forderungen eingebüßt hätten, traten als Zeugen zu seinen Gunsten
auf, und so wurde endlich die Sache durch die Erklärung des Principales an
die Zöglinge, daß blos ein Mißverständniß vorliege, beigelegt.

Als der Italiener dieser Verlegenheit entgangen war, wußte er mich bei
Seite und sich in des Franzosen Stelle einzuschieben. Er war auch geeigneter,
in dessen Fußtapfen zu treten, als ick. Er hatte überhaupt schon das System
des Franzosen im Italienischen eingeführt. Er lehrte nach Ollendorfs Gram¬
matik, mit der bekanntlich ein Schlüssel (Kez?) verbunden ist. in welchem die
Aufgaben der Grammatik übersetzt sind. Sollte nun ein Mädchen eine Aus¬
gabe hersagen, so las sie dieselbe einfach aus dem Schlüssel ab. So ging die
Sache ganz gut. Auch nahm er es mit dem Schulbesuch nicht sehr genau.
Kam blos ein Schüler, so lehrte er blos einen; kamen deren zwei, so lehrte
er zwei u. s. w. Auf diese Weise hatte er es in sechs Monaten so weit ge¬
bracht, daß die Mädchen noch nicht einmal die italienische Aussprache kannten
und ihn baten, noch einmal von vorn anzufangen. Nur in einem Punkte war
er empfindlich, wenn ihm nämlich die Singschülerinnen unbemerkt Papierstreifen
aufleckten. Darüber gerieth er in die größte Wuth und wollte mehrmals keine
Stunden mehr geben.

Nunmehr war er allerdings besser gestellt; denn bei mir war es noch
immer nicht zum Zeichnen und Malen gekommen. Dagegen erschien zwischen
Weihnachten und Ostern eine junge Amerikanerin, um Unterricht in der Oel-
malerei zu geben. Sie verstand ihr Fach freilich ganz anders, als ich, d. h.
sie brachte eine Menge halbfertige Oelgemälde mit, die mit ihrer Beihilfe von
den Zöglingen rasch vollendet wurden. Es waren freilich elende Pinseleien;
indessen konnten doch die Mädchen etwas aufzeigen.

Plötzlich erhielt das einförmige sehnlicher einen gewissen Aufschwung.
Ende März begannen bereits die Vorbereitungen für das große Examen, das
Ende Juni stattfinden sollte. Der Prinzipal wollte die diesjährige Prüfung
äußerst großartig machen. Die Musik hatte die Hauptrolle. Es sollten Musik¬
stücke gleichzeitig auf drei Instrumenten unter Begleitung der großen und
kleinen Trommel aufgeführt werden. - Die Ladies sollten deutsche, französische,
italienische und spanische Lieder theils declamiren, theils singen; denn es mußte
dem Publicum der Beweis geliefert werden, daß Poindexters junge Damen
aller dieser Sprachen mächtig seien, Ueberdies sollten mehre Redner von nah
und fern verschrieben werden, um dem Ganzen die rechte Weihe zu geben.
Thalberg war daher den ganzen Tag eifrig beschäftigt, Tact zu stampfen, um
die großen Musikstücke einzuüben. Ich mußte natürlich auch das Meinige
thun, stieß aber unverhofft auf eine Klippe. Ich hatte ein hübsches Schwestern¬
paar zu Schülerinnen bekommen und wollte mit ihnen ein vierhändiges Stück für


habe. Einige Bekannte in der Stadt, die durch das Verschwinden des Jta¬
lieners ihre Forderungen eingebüßt hätten, traten als Zeugen zu seinen Gunsten
auf, und so wurde endlich die Sache durch die Erklärung des Principales an
die Zöglinge, daß blos ein Mißverständniß vorliege, beigelegt.

Als der Italiener dieser Verlegenheit entgangen war, wußte er mich bei
Seite und sich in des Franzosen Stelle einzuschieben. Er war auch geeigneter,
in dessen Fußtapfen zu treten, als ick. Er hatte überhaupt schon das System
des Franzosen im Italienischen eingeführt. Er lehrte nach Ollendorfs Gram¬
matik, mit der bekanntlich ein Schlüssel (Kez?) verbunden ist. in welchem die
Aufgaben der Grammatik übersetzt sind. Sollte nun ein Mädchen eine Aus¬
gabe hersagen, so las sie dieselbe einfach aus dem Schlüssel ab. So ging die
Sache ganz gut. Auch nahm er es mit dem Schulbesuch nicht sehr genau.
Kam blos ein Schüler, so lehrte er blos einen; kamen deren zwei, so lehrte
er zwei u. s. w. Auf diese Weise hatte er es in sechs Monaten so weit ge¬
bracht, daß die Mädchen noch nicht einmal die italienische Aussprache kannten
und ihn baten, noch einmal von vorn anzufangen. Nur in einem Punkte war
er empfindlich, wenn ihm nämlich die Singschülerinnen unbemerkt Papierstreifen
aufleckten. Darüber gerieth er in die größte Wuth und wollte mehrmals keine
Stunden mehr geben.

Nunmehr war er allerdings besser gestellt; denn bei mir war es noch
immer nicht zum Zeichnen und Malen gekommen. Dagegen erschien zwischen
Weihnachten und Ostern eine junge Amerikanerin, um Unterricht in der Oel-
malerei zu geben. Sie verstand ihr Fach freilich ganz anders, als ich, d. h.
sie brachte eine Menge halbfertige Oelgemälde mit, die mit ihrer Beihilfe von
den Zöglingen rasch vollendet wurden. Es waren freilich elende Pinseleien;
indessen konnten doch die Mädchen etwas aufzeigen.

Plötzlich erhielt das einförmige sehnlicher einen gewissen Aufschwung.
Ende März begannen bereits die Vorbereitungen für das große Examen, das
Ende Juni stattfinden sollte. Der Prinzipal wollte die diesjährige Prüfung
äußerst großartig machen. Die Musik hatte die Hauptrolle. Es sollten Musik¬
stücke gleichzeitig auf drei Instrumenten unter Begleitung der großen und
kleinen Trommel aufgeführt werden. - Die Ladies sollten deutsche, französische,
italienische und spanische Lieder theils declamiren, theils singen; denn es mußte
dem Publicum der Beweis geliefert werden, daß Poindexters junge Damen
aller dieser Sprachen mächtig seien, Ueberdies sollten mehre Redner von nah
und fern verschrieben werden, um dem Ganzen die rechte Weihe zu geben.
Thalberg war daher den ganzen Tag eifrig beschäftigt, Tact zu stampfen, um
die großen Musikstücke einzuüben. Ich mußte natürlich auch das Meinige
thun, stieß aber unverhofft auf eine Klippe. Ich hatte ein hübsches Schwestern¬
paar zu Schülerinnen bekommen und wollte mit ihnen ein vierhändiges Stück für


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/206>, abgerufen am 15.01.2025.