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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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Petition erschien, um zu erfahren, was ich wohl an Geld nach Ablauf des
Schuljahres zu erwarten habe, und um ihn zur Bewilligung einer gewissen
Summe zu bestimmen. Ich wollte wissen, woran ich sei; denn ich hatte im
Orte gar Manches gehört, was mir nicht gefiel, und das Entlaufen des Fran¬
zosen machte mich vollends bedenklich.

"Halten Sie mich für einen Betrüger?" schrie er mich an, indem er seine
gewaltige Faust dicht vor meiner Nase schwang.

Zum Glück war Sonntag; sonst hätte er wahrscheinlich gleich zugeschlagen.
Er war groß und stark, ich klein; auch wußte ich, daß er sich bereits früher
einmal mit einem deutschen Musiklehrer geprügelt hatte, wobei Stuhlbeine
keine ganz unbedeutende Rolle gespielt haben sollten. Ein ähnlicher Kampf
wäre ohne Zweifel zu meinem größten Nachtheil ausgefallen. Unter diesen
Umständen feste ich ihm die Ruhe des Weisen entgegen und brackte ihn aus
diesem Wege wenigstens dahin, daß er mir nach Ablauf des Schuljahres die
ärmliche Summe von 120 Dollars zu bezahlen versprach, während ich nach
seinen Reden in Philadelphia mindestens das Sechsfache zusammenzuschlagen
hoffen mußte.

Nun blühte der Weizen des Jtalieners, der eben erst dem Principal, seinen
Zöglingen und dem ganzen guten Macon gegenüber.in einer sehr bedenklichen
Lage gewesen war. Kurz'vor Neujahr wurde nämlich in der Militärhalle eine
Abendgesellschaft veranstaltet, an der sich das Lehrer- und Schülerpersonal
unsres Institutes betheiligen sollte. Es kostete blos fünf Dollars Eintrittsgeld,
und dafür hatte man den Genuß eines Orchesters, das aus einem Neger be¬
stand, welcher die Geige spielte; ferner hatte man zur Erfrischung heiße Bis¬
kuits, fetten Schinken, einige Orangen und Regenwasser. Der Italiener, der
sich in seinen Vorstellungen über die Tafel getäuscht fand, eilte in seinem ge¬
rechten Zorn in eine Schnapsschenke, um sich mit Whiskey zu beruhigen. Dies
gelang, und in seiner rosigen Laune forderte er bei seiner Rückkehr in die Halle
eine Negerin, die am Eingange stand, zum Tanz auf -- ein Äußerst bedenk¬
liches Unterfangen. Um weitern Unannehmlichkeiten vorzubeugen, wurde Signor
Oliva rasch ins Institut befördert. Der Morgen aber drohte Entsetzliches.
Stumm, bleich und mit vor Aufregung bebenden Lippen saß der Principal
beim Frühstück und beschied nach dessen Beendigung durch einen Wink den
Missethäter in seine Expedition. Denn Oliva stand bereits wie ein Geächteter
da; die Mädchen mieden ihn und wollten keine Stunden mehr bei ihm nehmen.

"Wenn es wahr ist/' hatte der Principal zum Italiener gesagt, "daß Sie
mit einer Sklavin haben tanzen wollen, so müssen Sie bei Nacht und Nebel
das Weite suchen. Das ist ein Frevel an der guten Sitte, den Niemand ver¬
zeiht."

Oliva legte sich aufs Läugnen und behauptete, daß man ihn mißverstanden


Petition erschien, um zu erfahren, was ich wohl an Geld nach Ablauf des
Schuljahres zu erwarten habe, und um ihn zur Bewilligung einer gewissen
Summe zu bestimmen. Ich wollte wissen, woran ich sei; denn ich hatte im
Orte gar Manches gehört, was mir nicht gefiel, und das Entlaufen des Fran¬
zosen machte mich vollends bedenklich.

„Halten Sie mich für einen Betrüger?" schrie er mich an, indem er seine
gewaltige Faust dicht vor meiner Nase schwang.

Zum Glück war Sonntag; sonst hätte er wahrscheinlich gleich zugeschlagen.
Er war groß und stark, ich klein; auch wußte ich, daß er sich bereits früher
einmal mit einem deutschen Musiklehrer geprügelt hatte, wobei Stuhlbeine
keine ganz unbedeutende Rolle gespielt haben sollten. Ein ähnlicher Kampf
wäre ohne Zweifel zu meinem größten Nachtheil ausgefallen. Unter diesen
Umständen feste ich ihm die Ruhe des Weisen entgegen und brackte ihn aus
diesem Wege wenigstens dahin, daß er mir nach Ablauf des Schuljahres die
ärmliche Summe von 120 Dollars zu bezahlen versprach, während ich nach
seinen Reden in Philadelphia mindestens das Sechsfache zusammenzuschlagen
hoffen mußte.

Nun blühte der Weizen des Jtalieners, der eben erst dem Principal, seinen
Zöglingen und dem ganzen guten Macon gegenüber.in einer sehr bedenklichen
Lage gewesen war. Kurz'vor Neujahr wurde nämlich in der Militärhalle eine
Abendgesellschaft veranstaltet, an der sich das Lehrer- und Schülerpersonal
unsres Institutes betheiligen sollte. Es kostete blos fünf Dollars Eintrittsgeld,
und dafür hatte man den Genuß eines Orchesters, das aus einem Neger be¬
stand, welcher die Geige spielte; ferner hatte man zur Erfrischung heiße Bis¬
kuits, fetten Schinken, einige Orangen und Regenwasser. Der Italiener, der
sich in seinen Vorstellungen über die Tafel getäuscht fand, eilte in seinem ge¬
rechten Zorn in eine Schnapsschenke, um sich mit Whiskey zu beruhigen. Dies
gelang, und in seiner rosigen Laune forderte er bei seiner Rückkehr in die Halle
eine Negerin, die am Eingange stand, zum Tanz auf — ein Äußerst bedenk¬
liches Unterfangen. Um weitern Unannehmlichkeiten vorzubeugen, wurde Signor
Oliva rasch ins Institut befördert. Der Morgen aber drohte Entsetzliches.
Stumm, bleich und mit vor Aufregung bebenden Lippen saß der Principal
beim Frühstück und beschied nach dessen Beendigung durch einen Wink den
Missethäter in seine Expedition. Denn Oliva stand bereits wie ein Geächteter
da; die Mädchen mieden ihn und wollten keine Stunden mehr bei ihm nehmen.

„Wenn es wahr ist/' hatte der Principal zum Italiener gesagt, „daß Sie
mit einer Sklavin haben tanzen wollen, so müssen Sie bei Nacht und Nebel
das Weite suchen. Das ist ein Frevel an der guten Sitte, den Niemand ver¬
zeiht."

Oliva legte sich aufs Läugnen und behauptete, daß man ihn mißverstanden


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[0205] Petition erschien, um zu erfahren, was ich wohl an Geld nach Ablauf des Schuljahres zu erwarten habe, und um ihn zur Bewilligung einer gewissen Summe zu bestimmen. Ich wollte wissen, woran ich sei; denn ich hatte im Orte gar Manches gehört, was mir nicht gefiel, und das Entlaufen des Fran¬ zosen machte mich vollends bedenklich. „Halten Sie mich für einen Betrüger?" schrie er mich an, indem er seine gewaltige Faust dicht vor meiner Nase schwang. Zum Glück war Sonntag; sonst hätte er wahrscheinlich gleich zugeschlagen. Er war groß und stark, ich klein; auch wußte ich, daß er sich bereits früher einmal mit einem deutschen Musiklehrer geprügelt hatte, wobei Stuhlbeine keine ganz unbedeutende Rolle gespielt haben sollten. Ein ähnlicher Kampf wäre ohne Zweifel zu meinem größten Nachtheil ausgefallen. Unter diesen Umständen feste ich ihm die Ruhe des Weisen entgegen und brackte ihn aus diesem Wege wenigstens dahin, daß er mir nach Ablauf des Schuljahres die ärmliche Summe von 120 Dollars zu bezahlen versprach, während ich nach seinen Reden in Philadelphia mindestens das Sechsfache zusammenzuschlagen hoffen mußte. Nun blühte der Weizen des Jtalieners, der eben erst dem Principal, seinen Zöglingen und dem ganzen guten Macon gegenüber.in einer sehr bedenklichen Lage gewesen war. Kurz'vor Neujahr wurde nämlich in der Militärhalle eine Abendgesellschaft veranstaltet, an der sich das Lehrer- und Schülerpersonal unsres Institutes betheiligen sollte. Es kostete blos fünf Dollars Eintrittsgeld, und dafür hatte man den Genuß eines Orchesters, das aus einem Neger be¬ stand, welcher die Geige spielte; ferner hatte man zur Erfrischung heiße Bis¬ kuits, fetten Schinken, einige Orangen und Regenwasser. Der Italiener, der sich in seinen Vorstellungen über die Tafel getäuscht fand, eilte in seinem ge¬ rechten Zorn in eine Schnapsschenke, um sich mit Whiskey zu beruhigen. Dies gelang, und in seiner rosigen Laune forderte er bei seiner Rückkehr in die Halle eine Negerin, die am Eingange stand, zum Tanz auf — ein Äußerst bedenk¬ liches Unterfangen. Um weitern Unannehmlichkeiten vorzubeugen, wurde Signor Oliva rasch ins Institut befördert. Der Morgen aber drohte Entsetzliches. Stumm, bleich und mit vor Aufregung bebenden Lippen saß der Principal beim Frühstück und beschied nach dessen Beendigung durch einen Wink den Missethäter in seine Expedition. Denn Oliva stand bereits wie ein Geächteter da; die Mädchen mieden ihn und wollten keine Stunden mehr bei ihm nehmen. „Wenn es wahr ist/' hatte der Principal zum Italiener gesagt, „daß Sie mit einer Sklavin haben tanzen wollen, so müssen Sie bei Nacht und Nebel das Weite suchen. Das ist ein Frevel an der guten Sitte, den Niemand ver¬ zeiht." Oliva legte sich aufs Läugnen und behauptete, daß man ihn mißverstanden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/205>, abgerufen am 15.01.2025.