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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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machen sucht, sprang, eine erwachsene Schülerin, von ihren Gefühlen überwältigt,
plötzlich in der Kirche empor, kreischte auf, warf sich dem Principale um den
Hals und rief, er sei der beste Mann in der Welt und solle ihr die Sünden
vergeben. Poindcxter machte ein Gesicht wie ein Heiliger, und die Gemeinde
war durch diesen Vorgang zu Thränen gerührt und glaubte, der heilige Geist
sei über das Mädchen gekommen; sie hatte aber, wie ich später hörte, dasselbe
Manöver schon viermal vorgenommen.

Unausstehlich und sehr wenig zu solchen Ungenirtheiten passend war da¬
gegen eine gewisse zur Schau getragene Prüderie. Man sollte den Damen
gegenüber das Wort "Bein" (leg) und eine Menge andre Wörter nicht ge¬
brauchen. Entfuhr mir bisweilen in den Stunden der Ausruf: "mein Gott!" --
so entsetzten sich die Mädchen und machten mir bittre Vorwürfe. Ja, als der
Italiener einmal einer Schülerin aus der Grammatik die Frage: "Was macht
Ihr Sohn?" vorlegte, war das Mädchen ganz außer sich, beschwerte sich beim
Principale und wollte keine Stunde mehr nehmen.


4. Wie meine Künstlerlaufbahn vor der Zeit ihre Endschaft erreichte.

Die Mädchen nahmen zwar Unterricht in den verschiedenartigsten Branchen
und mußten dafür schweres Geld zahlen; mit dem Italiener und mit mir wollte
es sich aber doch nicht machen. Ich hatte nur einige Schüler für Piano, er
nur einige im Gesang und im Italienischen. Unsre Aussichten waren daher
sehr trübe. Da schlug uns eines Tages zur Verbesserung unsrer Finanzen der
Franzose vor, mit ihm in Gemeinschaft eine pomphafte Ankündigung im ma-
coner Wochenblatt zu erlassen, worin wir uns zum Unterricht in allen erdenk¬
baren menschlichen Wissenschaften und Künsten, insbesondre auch auf allen mög¬
lichen Instrumenten erbieten sollten. Diese Ankündigung erschien, blieb aber
erfolglos. Nur Monsieur Le Maire erhielt einen Schüler für Flöte, obwohl
er dieses Instrument noch nie in seinem Leben angerührt hatte. Er gab auch
wirklich seinem Zöglinge zwei Stunden, als sich das Blättchen plötzlich wendete.

Um Weihnachten entlief nämlich dem Franzosen seine Frau, weil der
Arme bis über die Ohren in Schulden stak. Ihn hatte der Principal, um ihn
fest zu machen, zum Ankauf eines Hausgrundstückes bestimmt; denn er war für
Poindexter ein ganz vortrefflicher Lehrer. Ich habe Mädchen im Institute ge¬
sprochen, welche vier Jahre lang französischen Unterricht gehabt hatten und auf
französisch noch nicht "Wie befinden Sie sich?" sagen konnten. Leider wollte
eine Geldsendung von 6000 Dollars, die er täglich aus Frankreich erwartete,
noch immer nicht eingehen, und so hatte er auf die nicht unbeträchtlichen Kauf¬
gelder noch keinen Dollar bezahlen können. Auch sonst hing er überall in der
Stadt, und so war die Folge, daß gegen Neujahr hin auch er Plötzlich un¬
sichtbar wurde.

Noch tobte der Principal über diesen Vorfall, als ich schon in seiner Ex-


machen sucht, sprang, eine erwachsene Schülerin, von ihren Gefühlen überwältigt,
plötzlich in der Kirche empor, kreischte auf, warf sich dem Principale um den
Hals und rief, er sei der beste Mann in der Welt und solle ihr die Sünden
vergeben. Poindcxter machte ein Gesicht wie ein Heiliger, und die Gemeinde
war durch diesen Vorgang zu Thränen gerührt und glaubte, der heilige Geist
sei über das Mädchen gekommen; sie hatte aber, wie ich später hörte, dasselbe
Manöver schon viermal vorgenommen.

Unausstehlich und sehr wenig zu solchen Ungenirtheiten passend war da¬
gegen eine gewisse zur Schau getragene Prüderie. Man sollte den Damen
gegenüber das Wort „Bein" (leg) und eine Menge andre Wörter nicht ge¬
brauchen. Entfuhr mir bisweilen in den Stunden der Ausruf: „mein Gott!" —
so entsetzten sich die Mädchen und machten mir bittre Vorwürfe. Ja, als der
Italiener einmal einer Schülerin aus der Grammatik die Frage: „Was macht
Ihr Sohn?" vorlegte, war das Mädchen ganz außer sich, beschwerte sich beim
Principale und wollte keine Stunde mehr nehmen.


4. Wie meine Künstlerlaufbahn vor der Zeit ihre Endschaft erreichte.

Die Mädchen nahmen zwar Unterricht in den verschiedenartigsten Branchen
und mußten dafür schweres Geld zahlen; mit dem Italiener und mit mir wollte
es sich aber doch nicht machen. Ich hatte nur einige Schüler für Piano, er
nur einige im Gesang und im Italienischen. Unsre Aussichten waren daher
sehr trübe. Da schlug uns eines Tages zur Verbesserung unsrer Finanzen der
Franzose vor, mit ihm in Gemeinschaft eine pomphafte Ankündigung im ma-
coner Wochenblatt zu erlassen, worin wir uns zum Unterricht in allen erdenk¬
baren menschlichen Wissenschaften und Künsten, insbesondre auch auf allen mög¬
lichen Instrumenten erbieten sollten. Diese Ankündigung erschien, blieb aber
erfolglos. Nur Monsieur Le Maire erhielt einen Schüler für Flöte, obwohl
er dieses Instrument noch nie in seinem Leben angerührt hatte. Er gab auch
wirklich seinem Zöglinge zwei Stunden, als sich das Blättchen plötzlich wendete.

Um Weihnachten entlief nämlich dem Franzosen seine Frau, weil der
Arme bis über die Ohren in Schulden stak. Ihn hatte der Principal, um ihn
fest zu machen, zum Ankauf eines Hausgrundstückes bestimmt; denn er war für
Poindexter ein ganz vortrefflicher Lehrer. Ich habe Mädchen im Institute ge¬
sprochen, welche vier Jahre lang französischen Unterricht gehabt hatten und auf
französisch noch nicht „Wie befinden Sie sich?" sagen konnten. Leider wollte
eine Geldsendung von 6000 Dollars, die er täglich aus Frankreich erwartete,
noch immer nicht eingehen, und so hatte er auf die nicht unbeträchtlichen Kauf¬
gelder noch keinen Dollar bezahlen können. Auch sonst hing er überall in der
Stadt, und so war die Folge, daß gegen Neujahr hin auch er Plötzlich un¬
sichtbar wurde.

Noch tobte der Principal über diesen Vorfall, als ich schon in seiner Ex-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/204>, abgerufen am 15.01.2025.