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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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um; denn dieser hatte ihm kurz vorher mitgetheilt, er werde wahrscheinlich
auch im Spanischen Unterricht geben müssen, obwohl er davon keine Silbe
verstand.

Als ich mit meiner Geige unsre Stube betrat, fand ich zu meinem Er¬
staunen Tom darin, der sich in meinem Frack ganz wohlgefällig beguckte. Tom
war pechschwarz, aber sehr eitel und besonders stolz darauf, daß ihn der Prin¬
cipal nicht unter 1S00 Dollars verkaufen wollte. Bisher schien ihm sein blauer
Frack genügt zu haben, den er für alle Jahreszeiten einzurichten wußte. Denn
im Sommer schlitzte er der Kühlung wegen die Aermel auf, im Winter flickte
er sie wieder zu. Er nahm sich daher ganz sonderbar aus, wenn er bisweilen
im Garten ein Schwein, das Unheil stiftete, verfolgte und dabei die auf¬
geschlitztem Aermel wie Flügel hinter ihm flatterten. Aber der Anblick unsrer
schwarzen Fracks schien seinem Geschmacke eine andere Richtung gegeben zu ha¬
ben, und er wollte uns durchaus einen abkaufen; wir konnten jedoch nicht
handelseinig werden. Uebrigens stahl er wie ein Rabe. Streichhölzchen,
Lichte, Tabak. Pfeifen und was ihm sonst erreichbar war, ging in seine Hände
über. Dabei log er mit einer Ruhe, die wirklich imponiren konnte, wobei
ihm freilich der Vortheil zu statten kam, daß er nicht roth werden konnte.
Mir hatte er längere Zeit seine besondre Achtung zugewendet; denn ich hatte
ihm einmal von den geretteten zwei Dollars einen Vierteldollar gegeben, und
er schien zu glauben, daß er mich nunmehr als ebenbürtigen Gentleman an¬
sehen müsse. Sonntags, wenn er sich gehörig angeputzt und sein Wollhaar
in Zöpfchen geflochten hatte, bat er mich daher bisweilen, ihm zu gestatten,
sich in unsrem zerbrochnen Spiegel zu besehen. Als er jedoch merkte, daß wir
kein Geld mehr Kalten -- denn Poindexter gab 'uns niemals auch nur einen
Eene, und wir mußten uns zehn Monate behelfen, ohne einen Cent in der
Tasche zu haben -- kurz, als er dies merkte, betrachtete er uns als Lumpe
und wurde störrig. Gab ich ihm Kleider oder Wäsche, so nahm er sie gering¬
schätzig und gewissermaßen gnadenweise an und schien nur eine noch geringere
Meinung von mir zu bekommen. Jetzt machte er uns die Betten nicht mehr,
brachte kein Wasser, wichste die Stiefeln nicht und kehrte auch nicht mehr aus.
Das Letztere war mir ganz besonders unangenehm. Die Schulstube der kleinen
Mädchen war nämlich blos durch einen Gang von unsrer Stube getrennt und
wurde niemals ausgekehrt. Die kleinen Tagesschülerinnen brachten sich ihr Mittags¬
essen in Blechbüchsen mit und warfen die Ueberbleibsel auf den Boden. Da¬
durch erzeugte sich ein sehr garstiger Schmutz in der Stube, der durch die Abfälle
von den oft unsaubern Schuhen der Mädchen noch vermehrt wurde. Infolge
dessen entstanden schrecklich viel Flöhe, und diese machten sehr bald Ausflüge
in unsre Stube. Ich eilte daher in die Stadt, kaufte auf Borg einen Besen und
kehrte beide Vocale alle Sonnabende einmal gehörig aus. Tom. der mich einst


Grenzboten IV. 1863. > 25

um; denn dieser hatte ihm kurz vorher mitgetheilt, er werde wahrscheinlich
auch im Spanischen Unterricht geben müssen, obwohl er davon keine Silbe
verstand.

Als ich mit meiner Geige unsre Stube betrat, fand ich zu meinem Er¬
staunen Tom darin, der sich in meinem Frack ganz wohlgefällig beguckte. Tom
war pechschwarz, aber sehr eitel und besonders stolz darauf, daß ihn der Prin¬
cipal nicht unter 1S00 Dollars verkaufen wollte. Bisher schien ihm sein blauer
Frack genügt zu haben, den er für alle Jahreszeiten einzurichten wußte. Denn
im Sommer schlitzte er der Kühlung wegen die Aermel auf, im Winter flickte
er sie wieder zu. Er nahm sich daher ganz sonderbar aus, wenn er bisweilen
im Garten ein Schwein, das Unheil stiftete, verfolgte und dabei die auf¬
geschlitztem Aermel wie Flügel hinter ihm flatterten. Aber der Anblick unsrer
schwarzen Fracks schien seinem Geschmacke eine andere Richtung gegeben zu ha¬
ben, und er wollte uns durchaus einen abkaufen; wir konnten jedoch nicht
handelseinig werden. Uebrigens stahl er wie ein Rabe. Streichhölzchen,
Lichte, Tabak. Pfeifen und was ihm sonst erreichbar war, ging in seine Hände
über. Dabei log er mit einer Ruhe, die wirklich imponiren konnte, wobei
ihm freilich der Vortheil zu statten kam, daß er nicht roth werden konnte.
Mir hatte er längere Zeit seine besondre Achtung zugewendet; denn ich hatte
ihm einmal von den geretteten zwei Dollars einen Vierteldollar gegeben, und
er schien zu glauben, daß er mich nunmehr als ebenbürtigen Gentleman an¬
sehen müsse. Sonntags, wenn er sich gehörig angeputzt und sein Wollhaar
in Zöpfchen geflochten hatte, bat er mich daher bisweilen, ihm zu gestatten,
sich in unsrem zerbrochnen Spiegel zu besehen. Als er jedoch merkte, daß wir
kein Geld mehr Kalten — denn Poindexter gab 'uns niemals auch nur einen
Eene, und wir mußten uns zehn Monate behelfen, ohne einen Cent in der
Tasche zu haben — kurz, als er dies merkte, betrachtete er uns als Lumpe
und wurde störrig. Gab ich ihm Kleider oder Wäsche, so nahm er sie gering¬
schätzig und gewissermaßen gnadenweise an und schien nur eine noch geringere
Meinung von mir zu bekommen. Jetzt machte er uns die Betten nicht mehr,
brachte kein Wasser, wichste die Stiefeln nicht und kehrte auch nicht mehr aus.
Das Letztere war mir ganz besonders unangenehm. Die Schulstube der kleinen
Mädchen war nämlich blos durch einen Gang von unsrer Stube getrennt und
wurde niemals ausgekehrt. Die kleinen Tagesschülerinnen brachten sich ihr Mittags¬
essen in Blechbüchsen mit und warfen die Ueberbleibsel auf den Boden. Da¬
durch erzeugte sich ein sehr garstiger Schmutz in der Stube, der durch die Abfälle
von den oft unsaubern Schuhen der Mädchen noch vermehrt wurde. Infolge
dessen entstanden schrecklich viel Flöhe, und diese machten sehr bald Ausflüge
in unsre Stube. Ich eilte daher in die Stadt, kaufte auf Borg einen Besen und
kehrte beide Vocale alle Sonnabende einmal gehörig aus. Tom. der mich einst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/201>, abgerufen am 15.01.2025.