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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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broclnier Sessel, dessen Polster abgerissen war. Ich setzte mich an dieses Musik¬
gerüst und merkte bei den ersten Griffen, daß eine Menge Tasten nicht an¬
schlugen, weil die Saiten gesprungen waren. Der Italiener begann. Er hatte
sich die schwierige Aufgabe gestellt, mit Schülerinnen, welche die Noten nicht kann¬
ten, einen Chor einzuüben. Das war harte Arbeit! Er wollte erst die Stim¬
men einzeln vornehme"; aber das eine Mädchen weigerte sich durchaus zu sin¬
gen, das andre stieß wahrhaft markerschütternde Töne aus, und die übrigen
jagten einander inzwischen jubelnd und lächelnd in der Stube und auf dem
Gange umher. So sehr ich auch die schwachen Kräfte des Pianos in Anspruch
nahm, und so nachdrücklich Oliva seine Geige bearbeitete, es wollte kein Ge¬
schick in die Sache kommen. Ich stand daher auf, trat vor die jungen Damen
hin und bemühte mich, ihnen einige Vorstellungen vom Tacte beizubringen.
Sie nahmen meine wohlgemeinten Aeußerungen mit so herzlichem Kichern auf,
daß ich betroffen zu meinem Piano zurückkehren mußte. Jetzt gab der Italiener
dem ganzen Chor das Zeichen zum Beginn. Geige und Piano thaten ihr
Möglichstes; aber welches Schreien, Kreischen und Quieken! Ich dankte Gott,
als dieser Strudel von Mißtönen in ein Gelächter umsetzte, mit dem die ganze
Damengesellschaft schließlich davonlief.

"Aber das ist ja entsetzlich !" sagte ich zum Italiener. "Wie können Sie
denn solchen Unfug dulden?"

"Ja, das ist einmal nicht anders." antwortete er, indem er etwas betreten
seine Geige einpackte.

Ich merkte recht wohl, wie die Sache stand. Der Principal hatte uns
keinen festen Gehalt, sondern zwei Drittel der Stundengelder von unsern Schü¬
lerinnen zugesichert, indem er das letzte Drittel für Kost und Logis selbst behalten
wollte. Hätte man daher sein Ansetzn als Lehrer geltend zu machen versucht,
so wären die Schülerinnen weggeblieben, und der Lehrer hätte den Hauptverlust
gehabt.


3. Wie es sonst im Institute zuging.

Der Italiener übergab mir seine Geige, um sie in unsre Stube zu tragen,
weil er erst noch etwas besorgen wollte. Ich glaubte, er wolle auf die
"Suche" gehen; denn er hatte sich stark auf das "Finden" gelegt. Er hatte
nämlich Augen wie ein Luchs und durchstöberte nach Beendigung der Stunden alle
Schullocale und Wege, auf denen die Ladies gegangen waren, um aufzulesen,
was sie etwa verloren hatten. Auf diese Weise trug er ein wie ein Hamster
-- Schleier, Taschentücher, Fächer, kurz alles nahm er an sich. Einmal
brachte er sogar eine prächtige goldne Broche, die ein sehr reiches Mädchen
verloren hatte. Während diese sich noch die Augen müde suchte, war die
Broche längst in einem aufgestülpten Handschuh des Jtalieners geborgen. Da¬
mals war"er jedoch beim Principale gewesen, um mit ihm Rücksprache zu meh-


broclnier Sessel, dessen Polster abgerissen war. Ich setzte mich an dieses Musik¬
gerüst und merkte bei den ersten Griffen, daß eine Menge Tasten nicht an¬
schlugen, weil die Saiten gesprungen waren. Der Italiener begann. Er hatte
sich die schwierige Aufgabe gestellt, mit Schülerinnen, welche die Noten nicht kann¬
ten, einen Chor einzuüben. Das war harte Arbeit! Er wollte erst die Stim¬
men einzeln vornehme»; aber das eine Mädchen weigerte sich durchaus zu sin¬
gen, das andre stieß wahrhaft markerschütternde Töne aus, und die übrigen
jagten einander inzwischen jubelnd und lächelnd in der Stube und auf dem
Gange umher. So sehr ich auch die schwachen Kräfte des Pianos in Anspruch
nahm, und so nachdrücklich Oliva seine Geige bearbeitete, es wollte kein Ge¬
schick in die Sache kommen. Ich stand daher auf, trat vor die jungen Damen
hin und bemühte mich, ihnen einige Vorstellungen vom Tacte beizubringen.
Sie nahmen meine wohlgemeinten Aeußerungen mit so herzlichem Kichern auf,
daß ich betroffen zu meinem Piano zurückkehren mußte. Jetzt gab der Italiener
dem ganzen Chor das Zeichen zum Beginn. Geige und Piano thaten ihr
Möglichstes; aber welches Schreien, Kreischen und Quieken! Ich dankte Gott,
als dieser Strudel von Mißtönen in ein Gelächter umsetzte, mit dem die ganze
Damengesellschaft schließlich davonlief.

„Aber das ist ja entsetzlich !" sagte ich zum Italiener. „Wie können Sie
denn solchen Unfug dulden?"

„Ja, das ist einmal nicht anders." antwortete er, indem er etwas betreten
seine Geige einpackte.

Ich merkte recht wohl, wie die Sache stand. Der Principal hatte uns
keinen festen Gehalt, sondern zwei Drittel der Stundengelder von unsern Schü¬
lerinnen zugesichert, indem er das letzte Drittel für Kost und Logis selbst behalten
wollte. Hätte man daher sein Ansetzn als Lehrer geltend zu machen versucht,
so wären die Schülerinnen weggeblieben, und der Lehrer hätte den Hauptverlust
gehabt.


3. Wie es sonst im Institute zuging.

Der Italiener übergab mir seine Geige, um sie in unsre Stube zu tragen,
weil er erst noch etwas besorgen wollte. Ich glaubte, er wolle auf die
„Suche" gehen; denn er hatte sich stark auf das „Finden" gelegt. Er hatte
nämlich Augen wie ein Luchs und durchstöberte nach Beendigung der Stunden alle
Schullocale und Wege, auf denen die Ladies gegangen waren, um aufzulesen,
was sie etwa verloren hatten. Auf diese Weise trug er ein wie ein Hamster
— Schleier, Taschentücher, Fächer, kurz alles nahm er an sich. Einmal
brachte er sogar eine prächtige goldne Broche, die ein sehr reiches Mädchen
verloren hatte. Während diese sich noch die Augen müde suchte, war die
Broche längst in einem aufgestülpten Handschuh des Jtalieners geborgen. Da¬
mals war"er jedoch beim Principale gewesen, um mit ihm Rücksprache zu meh-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/200>, abgerufen am 15.01.2025.