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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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Kaum hatte ich etwas freier zu athmen angefangen, so erschien eine andre
Schülerin. Sie war etwa vierzehn Jahre alt und hatte noch nicht viel ge¬
spielt. Mit ihr wollte ich also ganz gründlich deutsch verfahren und legte ihr
Tonleitern vor. Sie schnitt mir ein bitterböses Gesicht und sagte: "Ehe ich
Tonleitern spiele, gebe ich die Stunden lieber ganz auf." Ich mußte ihr na¬
türlich willfahren und sie Stückchen, die ihr gefielen, spielen lassen.

Nach ihr trat eine andere Schülerin ein. Sie war groß und von Ansehn
hübsch, nur floß ihr bisweilen an den Mundwinkeln eine zähe, gelbliche Flüssig¬
keit herab. Sie kaute nämlich, wie ich fand, ein wohlriechendes Harz. Uebri-
gens kannte sie die Noten noch nicht, wollte aber gleich mit ^imköö vooctlL
anfangen. Obwohl ich mich nach Kräften gegen dieses Ansinnen sträubte,
mußte ich ihr doch den Willen thun; denn sie wollte das Stück ihren Eltern
vortragen. Das war um so zweifelhafter, als sie nur einen Termin von drei
Monaten im Institute bleiben wollte und überdies die Stunden sehr häufig
"schwärzte".

"Meinetwegen!" erwiderte der Principal, als ich mich darüber beschwerte.
"Wollen Sie's nicht leiden, auch gut. Dann aber sehen Sie zu, wo Sie
Ihre Schülerinnen auftreiben."

Sie lernte daher trotz meiner eifrigsten Bemühungen gar nichts und ver¬
mochte am Ende des Termines das Stück ebensowenig zu spielen, als am
Anfang, was ihr selbst über die Begriffe zu gehen schien.

Mit diesen drei Lectionen war meine Arbeit für den ersten Tag zu Ende;
denn für Zeichnen und Malerei wollten sich keine Schüler finden. Ich verfügte
mich daher in meine Höhle. Als ich ein paar Tage später desgleichen that,
höre ich, kaum dort angelangt, einen wüsten Lärm. Bald darauf stürmt mit
wildem Geschrei eine Schaar von elf Ladies die Treppe herauf. Das Kreischen
der Geige des Jtalieners ließ auch nicht lange auf sich warten, und ich merkte,
daß er seine Singestunden eröffnete. Er schien mir ein ganz eigenthümliches
System anzuwenden; denn statt Gesanges hörte ich blos wirres Geschrei,
Quieken. Gekicher und Getrampel. Endlich kam er schwitzend und triefend in
Meine Stube hereingestürzt.

"Herr Külbel," rief er, "leisten Sie mir Beistand in meiner Stunde!
Spielen Sie auf dem Piano, damit Tact in die Sache kommt."

Ich folgte ihm sofort in.sein Local. Er hatte seine "Akademie", wie er
das Ding nannte, in einer alten Stube aufgeschlagen, deren Zustand schrecklich
war, mich aber nicht sehr mehr befremdete. Ein Theil der Decke war herab¬
gestürzt und lag in Trümmern auf dem Boden. Zerbrvchnc Fensterscheiben
gab es nicht, weil die ganzen Fenster in den Garten hinabgefallen waren.
An der Wand befand sich ein uraltes Clavier, das man wegen des übermäßi¬
gen Staubes, der es bedeckte, anzugreifen sich ekelte. Davor stand ein zer-


Kaum hatte ich etwas freier zu athmen angefangen, so erschien eine andre
Schülerin. Sie war etwa vierzehn Jahre alt und hatte noch nicht viel ge¬
spielt. Mit ihr wollte ich also ganz gründlich deutsch verfahren und legte ihr
Tonleitern vor. Sie schnitt mir ein bitterböses Gesicht und sagte: „Ehe ich
Tonleitern spiele, gebe ich die Stunden lieber ganz auf." Ich mußte ihr na¬
türlich willfahren und sie Stückchen, die ihr gefielen, spielen lassen.

Nach ihr trat eine andere Schülerin ein. Sie war groß und von Ansehn
hübsch, nur floß ihr bisweilen an den Mundwinkeln eine zähe, gelbliche Flüssig¬
keit herab. Sie kaute nämlich, wie ich fand, ein wohlriechendes Harz. Uebri-
gens kannte sie die Noten noch nicht, wollte aber gleich mit ^imköö vooctlL
anfangen. Obwohl ich mich nach Kräften gegen dieses Ansinnen sträubte,
mußte ich ihr doch den Willen thun; denn sie wollte das Stück ihren Eltern
vortragen. Das war um so zweifelhafter, als sie nur einen Termin von drei
Monaten im Institute bleiben wollte und überdies die Stunden sehr häufig
„schwärzte".

„Meinetwegen!" erwiderte der Principal, als ich mich darüber beschwerte.
„Wollen Sie's nicht leiden, auch gut. Dann aber sehen Sie zu, wo Sie
Ihre Schülerinnen auftreiben."

Sie lernte daher trotz meiner eifrigsten Bemühungen gar nichts und ver¬
mochte am Ende des Termines das Stück ebensowenig zu spielen, als am
Anfang, was ihr selbst über die Begriffe zu gehen schien.

Mit diesen drei Lectionen war meine Arbeit für den ersten Tag zu Ende;
denn für Zeichnen und Malerei wollten sich keine Schüler finden. Ich verfügte
mich daher in meine Höhle. Als ich ein paar Tage später desgleichen that,
höre ich, kaum dort angelangt, einen wüsten Lärm. Bald darauf stürmt mit
wildem Geschrei eine Schaar von elf Ladies die Treppe herauf. Das Kreischen
der Geige des Jtalieners ließ auch nicht lange auf sich warten, und ich merkte,
daß er seine Singestunden eröffnete. Er schien mir ein ganz eigenthümliches
System anzuwenden; denn statt Gesanges hörte ich blos wirres Geschrei,
Quieken. Gekicher und Getrampel. Endlich kam er schwitzend und triefend in
Meine Stube hereingestürzt.

»Herr Külbel," rief er, „leisten Sie mir Beistand in meiner Stunde!
Spielen Sie auf dem Piano, damit Tact in die Sache kommt."

Ich folgte ihm sofort in.sein Local. Er hatte seine „Akademie", wie er
das Ding nannte, in einer alten Stube aufgeschlagen, deren Zustand schrecklich
war, mich aber nicht sehr mehr befremdete. Ein Theil der Decke war herab¬
gestürzt und lag in Trümmern auf dem Boden. Zerbrvchnc Fensterscheiben
gab es nicht, weil die ganzen Fenster in den Garten hinabgefallen waren.
An der Wand befand sich ein uraltes Clavier, das man wegen des übermäßi¬
gen Staubes, der es bedeckte, anzugreifen sich ekelte. Davor stand ein zer-


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[0199] Kaum hatte ich etwas freier zu athmen angefangen, so erschien eine andre Schülerin. Sie war etwa vierzehn Jahre alt und hatte noch nicht viel ge¬ spielt. Mit ihr wollte ich also ganz gründlich deutsch verfahren und legte ihr Tonleitern vor. Sie schnitt mir ein bitterböses Gesicht und sagte: „Ehe ich Tonleitern spiele, gebe ich die Stunden lieber ganz auf." Ich mußte ihr na¬ türlich willfahren und sie Stückchen, die ihr gefielen, spielen lassen. Nach ihr trat eine andere Schülerin ein. Sie war groß und von Ansehn hübsch, nur floß ihr bisweilen an den Mundwinkeln eine zähe, gelbliche Flüssig¬ keit herab. Sie kaute nämlich, wie ich fand, ein wohlriechendes Harz. Uebri- gens kannte sie die Noten noch nicht, wollte aber gleich mit ^imköö vooctlL anfangen. Obwohl ich mich nach Kräften gegen dieses Ansinnen sträubte, mußte ich ihr doch den Willen thun; denn sie wollte das Stück ihren Eltern vortragen. Das war um so zweifelhafter, als sie nur einen Termin von drei Monaten im Institute bleiben wollte und überdies die Stunden sehr häufig „schwärzte". „Meinetwegen!" erwiderte der Principal, als ich mich darüber beschwerte. „Wollen Sie's nicht leiden, auch gut. Dann aber sehen Sie zu, wo Sie Ihre Schülerinnen auftreiben." Sie lernte daher trotz meiner eifrigsten Bemühungen gar nichts und ver¬ mochte am Ende des Termines das Stück ebensowenig zu spielen, als am Anfang, was ihr selbst über die Begriffe zu gehen schien. Mit diesen drei Lectionen war meine Arbeit für den ersten Tag zu Ende; denn für Zeichnen und Malerei wollten sich keine Schüler finden. Ich verfügte mich daher in meine Höhle. Als ich ein paar Tage später desgleichen that, höre ich, kaum dort angelangt, einen wüsten Lärm. Bald darauf stürmt mit wildem Geschrei eine Schaar von elf Ladies die Treppe herauf. Das Kreischen der Geige des Jtalieners ließ auch nicht lange auf sich warten, und ich merkte, daß er seine Singestunden eröffnete. Er schien mir ein ganz eigenthümliches System anzuwenden; denn statt Gesanges hörte ich blos wirres Geschrei, Quieken. Gekicher und Getrampel. Endlich kam er schwitzend und triefend in Meine Stube hereingestürzt. »Herr Külbel," rief er, „leisten Sie mir Beistand in meiner Stunde! Spielen Sie auf dem Piano, damit Tact in die Sache kommt." Ich folgte ihm sofort in.sein Local. Er hatte seine „Akademie", wie er das Ding nannte, in einer alten Stube aufgeschlagen, deren Zustand schrecklich war, mich aber nicht sehr mehr befremdete. Ein Theil der Decke war herab¬ gestürzt und lag in Trümmern auf dem Boden. Zerbrvchnc Fensterscheiben gab es nicht, weil die ganzen Fenster in den Garten hinabgefallen waren. An der Wand befand sich ein uraltes Clavier, das man wegen des übermäßi¬ gen Staubes, der es bedeckte, anzugreifen sich ekelte. Davor stand ein zer-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/199>, abgerufen am 15.01.2025.