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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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in diesen den Wunsch nach engerer Verbindung mit dem Hauptlande rege
machte. Was den ersten Punkt betrifft, so verdient ganz besonders hervor¬
gehoben zu werden, daß auf dem im Jahre 1832 eröffneten Operatenreichstage
von ungarischer Seite der Versuch einer Annäherung an die Erbländer aus¬
ging. Der Reichstag empfahl den Zusammentritt einer ungarischen Neichs-
dcputation, mit der Vollmacht, die Zollvcrhältnisse zu ordnen. Dieser Antrag
wurde abgelehnt, weil er einen Eingriff in die dem Kaiser in den Erbländern
zustehende absolute souveränes enthielt. Im Hinblick auf diese Thatsache
sind die Ungarn doch wohl berechtigt, die alte Klage der Oesteicher über ihre
spröde Exclusivität der östreichischen Negierung zum Theil zurückzugeben. Was
den zweiten Punkt betrifft, so tritt es besonders in Siebenbürgen klar hervor,
wie die willkürliche Nichtachtung der Landesrechte von Seiten der wiener Re¬
gierung das Land Ungarn in die Arme trieb. Der seit 1809 endlich wieder
im Jahre 1834 zusammcnbcrufcne Landtag drängte unter des leidenschaftlichen
Nikolaus Wcsselenyi Führung zu der Wiederherstellung der durch ein Diplom
Leopolds des Ersten vom Jahre 1691 aufgehobenen engeren Verbindung mit
Ungarn, und wohl nur die radicalen Extravaganzen der Actionspartei machten
es der Regierung möglich, diesem Verlangen damals mit Erfolg entgegen¬
zutreten. Im Jahre 1848 wurde die Vereinigung der Mi'tes aänexao mit
Ungarn auf verfassungsmäßigen Wege hergestellt, die Herrschaft des magya¬
rischen Elementes eingeführt, und damit war der östreichischen Monarchie, die
auch ihrerseits, durch die Gewalt der Begebenheiten aus der langbewahrten
Ruhe und der Versumpfung, in die sie versunken war, aufgerüttelt, alle Kräfte
anstrengte, um sich zu einem Einheitsstaats zu entwickeln, der Krieg erklärt.

Ueberblicken wir noch einmal den Verlauf der ungarischen Verfassungs¬
kämpfe von dem Regierungsantritt Leopolds des Zweiten an bis zum Jahre
1848, soMndcn wir die Bestrebungen der Ungarn in erster Linie darauf gerichtet,
ihre Verfassung unversehrt aufrecht zu erhalten. In diesem Bestreben haben sie
eine Kraft, eine Ausdauer, einen Patriotismus und eine Freiheitsliebe bewährt,
die ihnen, was politische Tüchtigkeit betrifft, eine der ersten Stellen unter den
Völkern Europas sicher". Erst spät, sehr allmälig und unter zähem Widerstand
der altconservativen Partei, macht sich die Tendenz geltend, die Verfassung so
weit umzugestalten, daß sie den modernen Verhältnissen entspreche und die Mög¬
lichkeit eines socialen und politischen Fortschritts gewähre. Auch in diesen
Bemühungen wird die Nation, inmitten der leidenschaftlichsten Aufregung, lange
Zeit hindurch von einer Besonnenheit, einem traditionellen Takte geleitet, der
um so größere Bewunderung verdient, wenn man bedenkt, daß bei der feind¬
lichen Stellung, welche die Regierungsgewalt dem ganzen Lande gegenüber ein¬
nahm, der in der Nation lebendige politische Sinn der einzige Regulator der
populären Leidenschaften war. Erst infolge der Aufregung, die im Jahre 1847


in diesen den Wunsch nach engerer Verbindung mit dem Hauptlande rege
machte. Was den ersten Punkt betrifft, so verdient ganz besonders hervor¬
gehoben zu werden, daß auf dem im Jahre 1832 eröffneten Operatenreichstage
von ungarischer Seite der Versuch einer Annäherung an die Erbländer aus¬
ging. Der Reichstag empfahl den Zusammentritt einer ungarischen Neichs-
dcputation, mit der Vollmacht, die Zollvcrhältnisse zu ordnen. Dieser Antrag
wurde abgelehnt, weil er einen Eingriff in die dem Kaiser in den Erbländern
zustehende absolute souveränes enthielt. Im Hinblick auf diese Thatsache
sind die Ungarn doch wohl berechtigt, die alte Klage der Oesteicher über ihre
spröde Exclusivität der östreichischen Negierung zum Theil zurückzugeben. Was
den zweiten Punkt betrifft, so tritt es besonders in Siebenbürgen klar hervor,
wie die willkürliche Nichtachtung der Landesrechte von Seiten der wiener Re¬
gierung das Land Ungarn in die Arme trieb. Der seit 1809 endlich wieder
im Jahre 1834 zusammcnbcrufcne Landtag drängte unter des leidenschaftlichen
Nikolaus Wcsselenyi Führung zu der Wiederherstellung der durch ein Diplom
Leopolds des Ersten vom Jahre 1691 aufgehobenen engeren Verbindung mit
Ungarn, und wohl nur die radicalen Extravaganzen der Actionspartei machten
es der Regierung möglich, diesem Verlangen damals mit Erfolg entgegen¬
zutreten. Im Jahre 1848 wurde die Vereinigung der Mi'tes aänexao mit
Ungarn auf verfassungsmäßigen Wege hergestellt, die Herrschaft des magya¬
rischen Elementes eingeführt, und damit war der östreichischen Monarchie, die
auch ihrerseits, durch die Gewalt der Begebenheiten aus der langbewahrten
Ruhe und der Versumpfung, in die sie versunken war, aufgerüttelt, alle Kräfte
anstrengte, um sich zu einem Einheitsstaats zu entwickeln, der Krieg erklärt.

Ueberblicken wir noch einmal den Verlauf der ungarischen Verfassungs¬
kämpfe von dem Regierungsantritt Leopolds des Zweiten an bis zum Jahre
1848, soMndcn wir die Bestrebungen der Ungarn in erster Linie darauf gerichtet,
ihre Verfassung unversehrt aufrecht zu erhalten. In diesem Bestreben haben sie
eine Kraft, eine Ausdauer, einen Patriotismus und eine Freiheitsliebe bewährt,
die ihnen, was politische Tüchtigkeit betrifft, eine der ersten Stellen unter den
Völkern Europas sicher». Erst spät, sehr allmälig und unter zähem Widerstand
der altconservativen Partei, macht sich die Tendenz geltend, die Verfassung so
weit umzugestalten, daß sie den modernen Verhältnissen entspreche und die Mög¬
lichkeit eines socialen und politischen Fortschritts gewähre. Auch in diesen
Bemühungen wird die Nation, inmitten der leidenschaftlichsten Aufregung, lange
Zeit hindurch von einer Besonnenheit, einem traditionellen Takte geleitet, der
um so größere Bewunderung verdient, wenn man bedenkt, daß bei der feind¬
lichen Stellung, welche die Regierungsgewalt dem ganzen Lande gegenüber ein¬
nahm, der in der Nation lebendige politische Sinn der einzige Regulator der
populären Leidenschaften war. Erst infolge der Aufregung, die im Jahre 1847


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/18>, abgerufen am 15.01.2025.