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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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Nachdem der Vorschlag des Comite eine Anzahl namhaft gemachter größerer
Städte mit den Vorbereitungen zu beauftragen, abgelehnt und beschlossen wor¬
den war, diese Vorarbeiten dem Bürgermeister Koch zu überweisen, der sich nach
seinem Gutfinden Beistände wählen möge, bediente sich dieser der ihm ertheil¬
ten Vollmacht in der Weise, daß er -- beiläufig unter allgemeinem Beifall --
sofort die Vertreter eben jener Städte sich zu Gehilfen berief.

Die "Hermannsschlacht" versammelte im Theater an 700 Veteranen und etwa
280 Städtevertreter. Studenten und Turner dienten diesen Ehrengästen als
Führer zu ihren Plätzen. Die Sperrsitze des ersten und zweiten Ranges waren
für geladene Damen, das Amphitheater für besonders hervorragende Persön¬
lichkeiten reservirt. Alle übrigen Plätze waren gleich. Das Spiel der Dar¬
steller soll im Ganzen nicht übel gewesen sein.

Den Schluß des ersten Festtags bildete ein Fackelzug, der gegen neun Uhr
durch die Straßen und über den Markt passirte, während draußen auf den Bo¬
denerhebungen um die Stadt, um welche in der Schlacht vorzüglich gestritten
wurde, mächtige Siegesfeuer emporflammten.

In Betreff des Fackelzugs hatten vor dem Feste lebhafte Meinungsver¬
schiedenheiten sich nicht ohne Geräusch und Bitterkeit geltend gemacht. Eine
Partei hatte "nur Fackeln" auf ihr Panier geschrieben und dabei sich auf das alt¬
ehrwürdige Herkommen berufen, eine andere, darunter die Festordner, hatte auch
Windlichter und bunte Ballons beimischen wollen. Der Zug gab, namentlich aus
der Ferne und von hohen Etagen gesehen, den letzteren ganz entschieden Recht.
Es waren, die zahlreichen Musikchöre ungerechnet, über siebentausend Theil-
nehmer, und länger als eine halbe Stunde dauerte es, ehe die gewaltige feu¬
rige Schlange der Procession sich über den Markt hingewunden hatte, wo ich
sie betrachtete. Zuerst ein dunkelrother züngelnder Kopf von etwa vierzig Fackeln,
umwallt von einer Mähne aus Rauchwolken, dann ein weißslimmerndes Mittel¬
stück von Windlichtern, dann weniger hell, aber bunter ein ferneres Rückenstück
von Papierballons, zuletzt der Schweif, wieder gebildet von Fackelträgern, unter
denen Turner und schlägerrassclnde Studenten die Hauptrolle spielten. Alles
wohlgelungen, stattlich und geschmackvoll. Und was nicht die kleinste Ursache
zu Wohlgefallen und Behagen: nirgendwo eine Störung des Schauspiels
von Seiten der Menge, die in einer Zahl, wie kaum je zuvor, und durch
Massen von Landvolk verstärkt, in den Straßen Posto gefaßt hatte. Wir haben
in andern Beziehungen hier zu Lande keine Ursache zu pharisäischen Betrach¬
tungen, aber es darf wohl verzeichnet werden, was Berliner und Wiener vom
Verlauf dieser großen nächtlichen Procession äußerten: in Berlin wäre eine
solche Ruhe und Ordnung nicht zu erreichen gewesen und in Wien ebensowenig.
Es scheint, Leipzig hat keinen Pöbel, oder wenn es ihn hat, so ists wenigstens
ein raisonnabler. Im Allgemeinen aber gilt, was man schon beim Turnersest


Nachdem der Vorschlag des Comite eine Anzahl namhaft gemachter größerer
Städte mit den Vorbereitungen zu beauftragen, abgelehnt und beschlossen wor¬
den war, diese Vorarbeiten dem Bürgermeister Koch zu überweisen, der sich nach
seinem Gutfinden Beistände wählen möge, bediente sich dieser der ihm ertheil¬
ten Vollmacht in der Weise, daß er — beiläufig unter allgemeinem Beifall —
sofort die Vertreter eben jener Städte sich zu Gehilfen berief.

Die „Hermannsschlacht" versammelte im Theater an 700 Veteranen und etwa
280 Städtevertreter. Studenten und Turner dienten diesen Ehrengästen als
Führer zu ihren Plätzen. Die Sperrsitze des ersten und zweiten Ranges waren
für geladene Damen, das Amphitheater für besonders hervorragende Persön¬
lichkeiten reservirt. Alle übrigen Plätze waren gleich. Das Spiel der Dar¬
steller soll im Ganzen nicht übel gewesen sein.

Den Schluß des ersten Festtags bildete ein Fackelzug, der gegen neun Uhr
durch die Straßen und über den Markt passirte, während draußen auf den Bo¬
denerhebungen um die Stadt, um welche in der Schlacht vorzüglich gestritten
wurde, mächtige Siegesfeuer emporflammten.

In Betreff des Fackelzugs hatten vor dem Feste lebhafte Meinungsver¬
schiedenheiten sich nicht ohne Geräusch und Bitterkeit geltend gemacht. Eine
Partei hatte „nur Fackeln" auf ihr Panier geschrieben und dabei sich auf das alt¬
ehrwürdige Herkommen berufen, eine andere, darunter die Festordner, hatte auch
Windlichter und bunte Ballons beimischen wollen. Der Zug gab, namentlich aus
der Ferne und von hohen Etagen gesehen, den letzteren ganz entschieden Recht.
Es waren, die zahlreichen Musikchöre ungerechnet, über siebentausend Theil-
nehmer, und länger als eine halbe Stunde dauerte es, ehe die gewaltige feu¬
rige Schlange der Procession sich über den Markt hingewunden hatte, wo ich
sie betrachtete. Zuerst ein dunkelrother züngelnder Kopf von etwa vierzig Fackeln,
umwallt von einer Mähne aus Rauchwolken, dann ein weißslimmerndes Mittel¬
stück von Windlichtern, dann weniger hell, aber bunter ein ferneres Rückenstück
von Papierballons, zuletzt der Schweif, wieder gebildet von Fackelträgern, unter
denen Turner und schlägerrassclnde Studenten die Hauptrolle spielten. Alles
wohlgelungen, stattlich und geschmackvoll. Und was nicht die kleinste Ursache
zu Wohlgefallen und Behagen: nirgendwo eine Störung des Schauspiels
von Seiten der Menge, die in einer Zahl, wie kaum je zuvor, und durch
Massen von Landvolk verstärkt, in den Straßen Posto gefaßt hatte. Wir haben
in andern Beziehungen hier zu Lande keine Ursache zu pharisäischen Betrach¬
tungen, aber es darf wohl verzeichnet werden, was Berliner und Wiener vom
Verlauf dieser großen nächtlichen Procession äußerten: in Berlin wäre eine
solche Ruhe und Ordnung nicht zu erreichen gewesen und in Wien ebensowenig.
Es scheint, Leipzig hat keinen Pöbel, oder wenn es ihn hat, so ists wenigstens
ein raisonnabler. Im Allgemeinen aber gilt, was man schon beim Turnersest


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[0174] Nachdem der Vorschlag des Comite eine Anzahl namhaft gemachter größerer Städte mit den Vorbereitungen zu beauftragen, abgelehnt und beschlossen wor¬ den war, diese Vorarbeiten dem Bürgermeister Koch zu überweisen, der sich nach seinem Gutfinden Beistände wählen möge, bediente sich dieser der ihm ertheil¬ ten Vollmacht in der Weise, daß er — beiläufig unter allgemeinem Beifall — sofort die Vertreter eben jener Städte sich zu Gehilfen berief. Die „Hermannsschlacht" versammelte im Theater an 700 Veteranen und etwa 280 Städtevertreter. Studenten und Turner dienten diesen Ehrengästen als Führer zu ihren Plätzen. Die Sperrsitze des ersten und zweiten Ranges waren für geladene Damen, das Amphitheater für besonders hervorragende Persön¬ lichkeiten reservirt. Alle übrigen Plätze waren gleich. Das Spiel der Dar¬ steller soll im Ganzen nicht übel gewesen sein. Den Schluß des ersten Festtags bildete ein Fackelzug, der gegen neun Uhr durch die Straßen und über den Markt passirte, während draußen auf den Bo¬ denerhebungen um die Stadt, um welche in der Schlacht vorzüglich gestritten wurde, mächtige Siegesfeuer emporflammten. In Betreff des Fackelzugs hatten vor dem Feste lebhafte Meinungsver¬ schiedenheiten sich nicht ohne Geräusch und Bitterkeit geltend gemacht. Eine Partei hatte „nur Fackeln" auf ihr Panier geschrieben und dabei sich auf das alt¬ ehrwürdige Herkommen berufen, eine andere, darunter die Festordner, hatte auch Windlichter und bunte Ballons beimischen wollen. Der Zug gab, namentlich aus der Ferne und von hohen Etagen gesehen, den letzteren ganz entschieden Recht. Es waren, die zahlreichen Musikchöre ungerechnet, über siebentausend Theil- nehmer, und länger als eine halbe Stunde dauerte es, ehe die gewaltige feu¬ rige Schlange der Procession sich über den Markt hingewunden hatte, wo ich sie betrachtete. Zuerst ein dunkelrother züngelnder Kopf von etwa vierzig Fackeln, umwallt von einer Mähne aus Rauchwolken, dann ein weißslimmerndes Mittel¬ stück von Windlichtern, dann weniger hell, aber bunter ein ferneres Rückenstück von Papierballons, zuletzt der Schweif, wieder gebildet von Fackelträgern, unter denen Turner und schlägerrassclnde Studenten die Hauptrolle spielten. Alles wohlgelungen, stattlich und geschmackvoll. Und was nicht die kleinste Ursache zu Wohlgefallen und Behagen: nirgendwo eine Störung des Schauspiels von Seiten der Menge, die in einer Zahl, wie kaum je zuvor, und durch Massen von Landvolk verstärkt, in den Straßen Posto gefaßt hatte. Wir haben in andern Beziehungen hier zu Lande keine Ursache zu pharisäischen Betrach¬ tungen, aber es darf wohl verzeichnet werden, was Berliner und Wiener vom Verlauf dieser großen nächtlichen Procession äußerten: in Berlin wäre eine solche Ruhe und Ordnung nicht zu erreichen gewesen und in Wien ebensowenig. Es scheint, Leipzig hat keinen Pöbel, oder wenn es ihn hat, so ists wenigstens ein raisonnabler. Im Allgemeinen aber gilt, was man schon beim Turnersest

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/174>, abgerufen am 15.01.2025.