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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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zur ungarischen Krone gehörigen Landestheilen zwar keine Sympathien finden,
aber doch auf keine entschiedenen Antipathien stoßen würden. Anders wurde
es, als die Frage und zwar durch die Schuld der Ungarn selbst zur Nationali-
tätensrage umschlug. So lange das Latein die officielle Landessprache war,
war in dem wichtigsten, wenigstens augenfälligsten Punkte die Gleichberechtigung
der auf ungarischen Boden wohnenden Nationalitäten gewahrt. Es war da¬
her, wenn auch sehr erklärlich und in vielen Hinsichten gerechtfertigt, doch
andrerseits sehr bedenklich für die Ansprüche des Königreiches Ungarn, daß auf
den Reichstagen, anfangs gemäßigt, bald mit stets gesteigertem Nachdruck, die
Forderung auf Einführung der ungarischen Sprache als officielle Landessprache
gestellt wurde. Noch im Jahre 1807 wies ein Deputirter den Antrag auf
theilweise Einführung' der ungarischen Sprache mit den Worten zurück: Ungarn
gehört nicht einem einzigen Stamm an, sondern es ist ein Reich, in welchem
alle christlichen Nationen ein Asyl und eine Heimath finden. Gewiß waren
die Triumphe Ungarns in der Sprachcnfrage ebensoviele Stöße gegen die
alte Verfassung und die Integrität des ungarischen Königreichs, und es ist keine
Frage, daß Ungarn nicht minder als Oestreich alle Ursache hatte, die Nationa-
litätcnfrage so lange als möglich von der Tagesordnung fern zu halten. Als
im Jahre 1847 der König zum ersten Male den Reichstag in magyarischer
Sprache anredete, brauste das Land in Jubel und Freude auf; man bedachte
nicht, daß der Sieg der Magyaren in der Nationalitätenfrage Oestreich die
schärfste Waffe gegen Ungarn in die Hand gab, eine Waffe, die es mit gewohnter
diplomatischer Geschicklichkeit benutzt hat. So lange die Krone des heiligen
Stephan den Polyglotten Bau des ungarischen Reiches als lebendiges Sinnbild
überragte, so lange nicht nur alle christlichen Bekenntnisse, sondern auch die ver¬
schiedensten Nationalitäten unter ihrem Schatten sicher wohnten, konnten die Ver¬
suche Oestreichs, Ungarn durch Loslösung der heterogenen Theile zu schwächen
und durch Aufreizung der Nationalitäten gegen einander die stärkste der¬
selben, die magyarische, zu demüthigen, keinen entscheidenden Erfolg haben.
Nach Abtretung der Landestheile, aus welchen das Königreich Jllyrien von
Napoleon gebildet wurde, bittet das agramer Comitat, dieselben^ falls sie
wieder an Oestreich kämen, abermals Ungarn einzuverleiben. Auf dem Reichs¬
tage von 1823 dagegen finden wir die Ablegaten Croatiens und die Vertreter
slavischer Bezirke bereits in Opposition gegen die Ansprüche Ungarns in der
Sprachenfrage. Dennoch war vor 1848, trotz des immer schroffer hervor¬
tretenden magyarischen Standpunktes, das Streben der verschiedenen Theile des
ungarischen Reiches nach Einigung im Zunehmen und zwar durch die Schuld
der Regierung selbst, die einerseits, was meist verkannt wird, geflissentlich auf
die Jsolirung Ungarns im Gesammtstaatsverbande hinarbeitete, andrerseits durch
Unterdrückung der verfassungsmäßigen Rechte in den ungarischen Ncbenländcrn


Grenzboten IV. 1863. 2

zur ungarischen Krone gehörigen Landestheilen zwar keine Sympathien finden,
aber doch auf keine entschiedenen Antipathien stoßen würden. Anders wurde
es, als die Frage und zwar durch die Schuld der Ungarn selbst zur Nationali-
tätensrage umschlug. So lange das Latein die officielle Landessprache war,
war in dem wichtigsten, wenigstens augenfälligsten Punkte die Gleichberechtigung
der auf ungarischen Boden wohnenden Nationalitäten gewahrt. Es war da¬
her, wenn auch sehr erklärlich und in vielen Hinsichten gerechtfertigt, doch
andrerseits sehr bedenklich für die Ansprüche des Königreiches Ungarn, daß auf
den Reichstagen, anfangs gemäßigt, bald mit stets gesteigertem Nachdruck, die
Forderung auf Einführung der ungarischen Sprache als officielle Landessprache
gestellt wurde. Noch im Jahre 1807 wies ein Deputirter den Antrag auf
theilweise Einführung' der ungarischen Sprache mit den Worten zurück: Ungarn
gehört nicht einem einzigen Stamm an, sondern es ist ein Reich, in welchem
alle christlichen Nationen ein Asyl und eine Heimath finden. Gewiß waren
die Triumphe Ungarns in der Sprachcnfrage ebensoviele Stöße gegen die
alte Verfassung und die Integrität des ungarischen Königreichs, und es ist keine
Frage, daß Ungarn nicht minder als Oestreich alle Ursache hatte, die Nationa-
litätcnfrage so lange als möglich von der Tagesordnung fern zu halten. Als
im Jahre 1847 der König zum ersten Male den Reichstag in magyarischer
Sprache anredete, brauste das Land in Jubel und Freude auf; man bedachte
nicht, daß der Sieg der Magyaren in der Nationalitätenfrage Oestreich die
schärfste Waffe gegen Ungarn in die Hand gab, eine Waffe, die es mit gewohnter
diplomatischer Geschicklichkeit benutzt hat. So lange die Krone des heiligen
Stephan den Polyglotten Bau des ungarischen Reiches als lebendiges Sinnbild
überragte, so lange nicht nur alle christlichen Bekenntnisse, sondern auch die ver¬
schiedensten Nationalitäten unter ihrem Schatten sicher wohnten, konnten die Ver¬
suche Oestreichs, Ungarn durch Loslösung der heterogenen Theile zu schwächen
und durch Aufreizung der Nationalitäten gegen einander die stärkste der¬
selben, die magyarische, zu demüthigen, keinen entscheidenden Erfolg haben.
Nach Abtretung der Landestheile, aus welchen das Königreich Jllyrien von
Napoleon gebildet wurde, bittet das agramer Comitat, dieselben^ falls sie
wieder an Oestreich kämen, abermals Ungarn einzuverleiben. Auf dem Reichs¬
tage von 1823 dagegen finden wir die Ablegaten Croatiens und die Vertreter
slavischer Bezirke bereits in Opposition gegen die Ansprüche Ungarns in der
Sprachenfrage. Dennoch war vor 1848, trotz des immer schroffer hervor¬
tretenden magyarischen Standpunktes, das Streben der verschiedenen Theile des
ungarischen Reiches nach Einigung im Zunehmen und zwar durch die Schuld
der Regierung selbst, die einerseits, was meist verkannt wird, geflissentlich auf
die Jsolirung Ungarns im Gesammtstaatsverbande hinarbeitete, andrerseits durch
Unterdrückung der verfassungsmäßigen Rechte in den ungarischen Ncbenländcrn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/17>, abgerufen am 15.01.2025.