Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.Wohl stiegen bei meinem Eintritt in dieses Gemach düstre Gedanken in Nun waren mir die Pforten zu allen drei Künsten verschlossen, und es Der in dem Aufsatz "Dänische Schulmeister in Schleswig" (Ur. 41, S. 77) Verantwortlicher Redacteur: Dr. Moritz Busch. Verlag von F. L. Herbig. -- Druck von C. E. Elbert in Leipzig. Wohl stiegen bei meinem Eintritt in dieses Gemach düstre Gedanken in Nun waren mir die Pforten zu allen drei Künsten verschlossen, und es Der in dem Aufsatz „Dänische Schulmeister in Schleswig" (Ur. 41, S. 77) Verantwortlicher Redacteur: Dr. Moritz Busch. Verlag von F. L. Herbig. — Druck von C. E. Elbert in Leipzig. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0168" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/116096"/> <p xml:id="ID_628"> Wohl stiegen bei meinem Eintritt in dieses Gemach düstre Gedanken in<lb/> mir auf, um so düstrer, als mein Gemüth von Sorge und Unruhe gequält<lb/> wurde. Denn ich mußte mir jetzt gestehen, daß ich ander bildenden Kunst voll¬<lb/> ständig gescheitert sei. Indessen an der Musik hatte ich mich noch nicht ver¬<lb/> sucht/und auf sie beschloß ich mich mit der Energie der Verzweiflung und mit<lb/> allerdeutschester Ausdauer zu werfen. Ich stieg daher die Treppe hinab in die<lb/> Hausflur, wo ein alter Klapperkasten stand, und aus ihm bearbeitete ich von<lb/> jetzt an in der größten Hitze täglich sechs Stunden lang Bertinis Pianoschule,<lb/> um mich mit der Theorie wieder vertraut und meine Finger zu guten Läufern<lb/> zu machen. Herr Oates, der zweite Thalberg, belauschte mich bisweilen, wie<lb/> ich merkte. Ich ließ mich dadurch nicht beirren, war aber nicht wenig erstaunt,<lb/> als eines Morgens das Instrument verschwunden war. Man hatte es in ein<lb/> andres Local geschafft, zu dem mir Thalberg trotz meiner eifrigsten Vorstellungen<lb/> den Schlüssel nicht ausantwortcte.</p><lb/> <p xml:id="ID_629"> Nun waren mir die Pforten zu allen drei Künsten verschlossen, und es<lb/> blieb mir nichts übrig, als mich auf das Studium der neuern Sprachen zu<lb/> legen. Ich theilte daher meine Zeit ein und trieb täglich außer den alten<lb/> Sprachen Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch. Der Italiener fing<lb/> inzwischen Mäuse, Fliegen und Spinnen. Die Mäuse begoß er mit Spiritus,<lb/> zündete ihn an und ließ die Thierchen laufen. Im Winter band er sie mit<lb/> dem Schwänze an einen Faden und ließ sie auf dem glühenden Ofen tanzen.<lb/> Den Fliegen schnitt er den Kopf ab, und den Spinnen riß er die Beine aus.<lb/> Meinen Vorstellungen gegen derartigen Zeitvertreib konnte ich nicht den nöthigen<lb/> Nachdruck geben; denn es war nicht recht geheuer, mit ihm zusammenzuwoh-<lb/> nen. Bisweilen krakte er auch aus einer Geige, die er mitgebracht Kalte. Er<lb/> kannte keine Note und spielte blos nach dem Gehör. Wenn er sein Instru-<lb/> ment strich, mußte ich die Stube verlassen. Dazwischen drangen aus dem be¬<lb/> nachbarten Hause des Franzosen herzbrechende Töne zu uns herüber. Mon¬<lb/> sieur Le Maire blies zum Zeitvertreib nach dem Gehör Trompete und Posaune<lb/> und wurde im Orte als Meister auf diesen Instrumenten angesehen. Thalberg<lb/> vertrieb sich die Zeit noch einfacher. Stundenlang saß er unter der Vorhalle<lb/> mit dem Hut auf dem Kopfe auf zurückgekehrten Stuhle und durchforschte die<lb/> blaue Luft.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div type="corrigenda" n="1"><lb/> <p xml:id="ID_630"> Der in dem Aufsatz „Dänische Schulmeister in Schleswig" (Ur. 41, S. 77)<lb/> als Product Lorcnzens mitgetheilte Ditbyrnmbus vom dänischen Schwancnncst ist<lb/> nicht von jenem, sondern von Hans Christian Andersen. Unser Urtheil über den<lb/> Werth desselben wird dadurch nicht geändert.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <note type="byline"> Verantwortlicher Redacteur: Dr. Moritz Busch.<lb/> Verlag von F. L. Herbig. — Druck von C. E. Elbert in Leipzig.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0168]
Wohl stiegen bei meinem Eintritt in dieses Gemach düstre Gedanken in
mir auf, um so düstrer, als mein Gemüth von Sorge und Unruhe gequält
wurde. Denn ich mußte mir jetzt gestehen, daß ich ander bildenden Kunst voll¬
ständig gescheitert sei. Indessen an der Musik hatte ich mich noch nicht ver¬
sucht/und auf sie beschloß ich mich mit der Energie der Verzweiflung und mit
allerdeutschester Ausdauer zu werfen. Ich stieg daher die Treppe hinab in die
Hausflur, wo ein alter Klapperkasten stand, und aus ihm bearbeitete ich von
jetzt an in der größten Hitze täglich sechs Stunden lang Bertinis Pianoschule,
um mich mit der Theorie wieder vertraut und meine Finger zu guten Läufern
zu machen. Herr Oates, der zweite Thalberg, belauschte mich bisweilen, wie
ich merkte. Ich ließ mich dadurch nicht beirren, war aber nicht wenig erstaunt,
als eines Morgens das Instrument verschwunden war. Man hatte es in ein
andres Local geschafft, zu dem mir Thalberg trotz meiner eifrigsten Vorstellungen
den Schlüssel nicht ausantwortcte.
Nun waren mir die Pforten zu allen drei Künsten verschlossen, und es
blieb mir nichts übrig, als mich auf das Studium der neuern Sprachen zu
legen. Ich theilte daher meine Zeit ein und trieb täglich außer den alten
Sprachen Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch. Der Italiener fing
inzwischen Mäuse, Fliegen und Spinnen. Die Mäuse begoß er mit Spiritus,
zündete ihn an und ließ die Thierchen laufen. Im Winter band er sie mit
dem Schwänze an einen Faden und ließ sie auf dem glühenden Ofen tanzen.
Den Fliegen schnitt er den Kopf ab, und den Spinnen riß er die Beine aus.
Meinen Vorstellungen gegen derartigen Zeitvertreib konnte ich nicht den nöthigen
Nachdruck geben; denn es war nicht recht geheuer, mit ihm zusammenzuwoh-
nen. Bisweilen krakte er auch aus einer Geige, die er mitgebracht Kalte. Er
kannte keine Note und spielte blos nach dem Gehör. Wenn er sein Instru-
ment strich, mußte ich die Stube verlassen. Dazwischen drangen aus dem be¬
nachbarten Hause des Franzosen herzbrechende Töne zu uns herüber. Mon¬
sieur Le Maire blies zum Zeitvertreib nach dem Gehör Trompete und Posaune
und wurde im Orte als Meister auf diesen Instrumenten angesehen. Thalberg
vertrieb sich die Zeit noch einfacher. Stundenlang saß er unter der Vorhalle
mit dem Hut auf dem Kopfe auf zurückgekehrten Stuhle und durchforschte die
blaue Luft.
Der in dem Aufsatz „Dänische Schulmeister in Schleswig" (Ur. 41, S. 77)
als Product Lorcnzens mitgetheilte Ditbyrnmbus vom dänischen Schwancnncst ist
nicht von jenem, sondern von Hans Christian Andersen. Unser Urtheil über den
Werth desselben wird dadurch nicht geändert.
Verantwortlicher Redacteur: Dr. Moritz Busch.
Verlag von F. L. Herbig. — Druck von C. E. Elbert in Leipzig.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |