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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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Er gab mir ein Haus, und ich ging sofort an die Arbeit. Ich suchte
mein Gebäude vom Firste aus abwärts zu Papier zu bringen, zeichnete mit
dem größten Eifer, bemerkte aber zu meinem großen Schrecken sehr bald, daß
das verwünschte Haus schief gerathen war, und daß ich die obern Theile so
großartig angelegt hatte, daß für das unterste Stockwerk kein Platz mehr auf
dem Papier war. Nachdenklich betrachtete ich mein Kunsterzeugniß, während
H. einen Blick darauf warf, der für meine Künstlerschaft ebenso bedenklich
war, als der Mangel des untersten Stockwerkes für mein Gebäude.

"Du hättest etwas mehr messen sollen," sagte er.

"Ja, 's mißt sich!" war meine verdrießliche Antwort. "Mit Gebäu¬
den scheint es nicht recht gehen zu wollen, gieb mir etwas Baumschlag."

Er reichte mir eine derartige Vorlage hin und machte mich darauf auf¬
merksam, daß ich von unten aus aufwärts arbeiten müsse, weil Alles in der
Natur wie im Menschenleben sich von unten aus entwickle. So ließ ich denn
den Stamm meines Baumes vom Boden aus emporsteigen, bis der erste be¬
laubte Ast dem raschen Gange meiner Bleifeder ein Ziel setzte. Denn nun¬
mehr suchte ich jedes einzelne Blättchen ganz getreulich abzuzeichnen. Während
ich mich so mit den paar Blättern gewissenhaftest abmühte, sah mir mein
Freund und Lehrer mitleidig über die Schulter und sagte: "Auf die Weise
bist Du übers Jahr mit dem Baume auch noch nicht fertig. Mit dem Laub¬
werk mußt Du ganz frei verfahren. Sieh' mal, so."

Er machte es mir vor, ich machte es nach, aber leider! mit sehr schlech¬
tem Erfolge. Ich ließ daher meinen Baum in seiner unvollendeten Gestalt
und sagte: "Mein liebster H., ich denke, ich muß erst tiefer in den Süden.
Vielleicht wirkt dann das Klima günstiger auf die Entwicklung meiner künst¬
lerischen Fähigkeiten. Gib mir jetzt einige Anweisung im Malen."

Mit dankenswerther Bereitwilligkeit schrieb mir mein Freund einen kleinen
Aufsatz über Mischung, Auftragung, Abschwächung der Farben u. tgi. nieder und
fügte am Ende eine Anzahl ausgemalter Vierecke bei, deren jedes einen be¬
stimmten Farbenton mit Angabe der Benennung enthielt; denn mir waren so¬
gar die Namen der meisten Farben unbekannt. Mit diesem Führer auf dem
Felde der Kunst in der Tasche glaubte ich es zur Noth mit der Malerei auf¬
nehmen zu können. Ich kaufte mir daher noch zwei Bilder, ein kleines Genre¬
bild und eine große Etude, einen Frauenkopf, um mich gelegentlich unterwegs
im Zeichnen zu üben, und setzte dann mit noch ungebrochenen Muthe, mit
dem Italiener und dem Principale, der sich in Richmond durch eine Lehrerin
verstärkt hatte, die Reise fort.

Von Richmond bis Montgomery in Alabama konnte ich freilich meinen
künstlerischen Uebungen nicht obliegen, denn Tag und Nacht ging es rastlos
auf der Eisenbahn weiter; aber zu Montgomery bestiegen wir ein Dampfboot,


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Er gab mir ein Haus, und ich ging sofort an die Arbeit. Ich suchte
mein Gebäude vom Firste aus abwärts zu Papier zu bringen, zeichnete mit
dem größten Eifer, bemerkte aber zu meinem großen Schrecken sehr bald, daß
das verwünschte Haus schief gerathen war, und daß ich die obern Theile so
großartig angelegt hatte, daß für das unterste Stockwerk kein Platz mehr auf
dem Papier war. Nachdenklich betrachtete ich mein Kunsterzeugniß, während
H. einen Blick darauf warf, der für meine Künstlerschaft ebenso bedenklich
war, als der Mangel des untersten Stockwerkes für mein Gebäude.

„Du hättest etwas mehr messen sollen," sagte er.

„Ja, 's mißt sich!" war meine verdrießliche Antwort. „Mit Gebäu¬
den scheint es nicht recht gehen zu wollen, gieb mir etwas Baumschlag."

Er reichte mir eine derartige Vorlage hin und machte mich darauf auf¬
merksam, daß ich von unten aus aufwärts arbeiten müsse, weil Alles in der
Natur wie im Menschenleben sich von unten aus entwickle. So ließ ich denn
den Stamm meines Baumes vom Boden aus emporsteigen, bis der erste be¬
laubte Ast dem raschen Gange meiner Bleifeder ein Ziel setzte. Denn nun¬
mehr suchte ich jedes einzelne Blättchen ganz getreulich abzuzeichnen. Während
ich mich so mit den paar Blättern gewissenhaftest abmühte, sah mir mein
Freund und Lehrer mitleidig über die Schulter und sagte: „Auf die Weise
bist Du übers Jahr mit dem Baume auch noch nicht fertig. Mit dem Laub¬
werk mußt Du ganz frei verfahren. Sieh' mal, so."

Er machte es mir vor, ich machte es nach, aber leider! mit sehr schlech¬
tem Erfolge. Ich ließ daher meinen Baum in seiner unvollendeten Gestalt
und sagte: „Mein liebster H., ich denke, ich muß erst tiefer in den Süden.
Vielleicht wirkt dann das Klima günstiger auf die Entwicklung meiner künst¬
lerischen Fähigkeiten. Gib mir jetzt einige Anweisung im Malen."

Mit dankenswerther Bereitwilligkeit schrieb mir mein Freund einen kleinen
Aufsatz über Mischung, Auftragung, Abschwächung der Farben u. tgi. nieder und
fügte am Ende eine Anzahl ausgemalter Vierecke bei, deren jedes einen be¬
stimmten Farbenton mit Angabe der Benennung enthielt; denn mir waren so¬
gar die Namen der meisten Farben unbekannt. Mit diesem Führer auf dem
Felde der Kunst in der Tasche glaubte ich es zur Noth mit der Malerei auf¬
nehmen zu können. Ich kaufte mir daher noch zwei Bilder, ein kleines Genre¬
bild und eine große Etude, einen Frauenkopf, um mich gelegentlich unterwegs
im Zeichnen zu üben, und setzte dann mit noch ungebrochenen Muthe, mit
dem Italiener und dem Principale, der sich in Richmond durch eine Lehrerin
verstärkt hatte, die Reise fort.

Von Richmond bis Montgomery in Alabama konnte ich freilich meinen
künstlerischen Uebungen nicht obliegen, denn Tag und Nacht ging es rastlos
auf der Eisenbahn weiter; aber zu Montgomery bestiegen wir ein Dampfboot,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/163>, abgerufen am 15.01.2025.