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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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Als daher auf dem Opcratenreichstage die liberalen Ideen so weit sich geltend
machten, daß die Ständctasel Anträge auf eine freisinnige Lösung der Urbarial-
frage stellte, schloß sich die Regierung den Magnaten an, die dies wichtige
Wert zu verhindern oder wenigstens aufzuschieben suchten. Während früher die
Klagen geläufig waren, daß die Stände durch ihre Hartnäckigkeit und ihren be¬
schränkten Egoismus jeden Fortschritt, jede Verbesserung hinderten, trat die
Regierung selbst dem Fortschritt entgegen, schwerlich ausschließlich aus dem
Interesse der Stabilität, sondern auch wohl, um den Landtag zu hindern, sich
ein so wichtiges Verdienst, wie die Lösung der Unterthänigkcitsfrage, um das
Land zu erwerben. Die Folge dieses Verhaltens war eine Steigerung der
Opposition. Als die Negierung in Rücksicht auf die allgemeine Weltlage dem
Reichstage von 1847 mit liberaleren Anschauungen gegenübertrat, war es be¬
reits zu spät. Die Gesetze von 1848 sind kaum mehr als eine bloße Reform
der alten Verfassung anzusehen, sie stürzen dieselbe vielmehr in wichtigen Be¬
standtheilen um und begründen gewissermaßen eine neue Verfassung; sie haben
jedoch, so gewaltsam die Veränderungen auch waren, mit Bewahrung der
Rechtscontuiuität den gesetzlichen Boden geschaffen, auf dem die heutigen
Ansprüche Ungarns beruhen; ob ebenso fest, wie einst auf der alten Ver¬
fassung, das wird der Ausgang des gegenwärtigen ungarischen Versassungs-
kampfes lehren.

Von der größten Bedeutung für den gegenwärtigen Conflict sind besonders
zwei Punkte in den Gesetzesartikeln von 1848, die Einsetzung eines verantwort¬
lichen ungarischen Ministeriums und die Union der Mi-tczs acknexas mit dem
eigentlichen Ungarn.

Die äußerst verwickelte Frage der zMtW ".(lucxae (um aus diesen Punkt
hier nah?r einzugehen) ist bekanntlich nicht erst von neuerem Datum; sie spielt
bereits seit längerer Zeit auf den Reichstagen eine Rolle. Eo >se ganz be¬
zeichnend für die eigenthümliche Zusammensetzung des östreichischen Staates,
daß ein Theil desselben Ansprüche auf andere Theile erhebt, so daß im Innern
des Staates sich ein Proceß vollzieht, der seine Analogie nur im völkerrecht¬
lichen Verkehr der Staaten unter einander findet.

ES war von Alters her das Bestreben der Ungarn, das Band, welches
zwischen ihnen und den zur ungarischen Krone gehörigen Ländern bestand, mög¬
lichst fest zu ziehen, das der östreichischen Regierung, es möglichst zu lockern.
Großen Anstoß erregte es in Ungarn, als unter Leopold dem Zweiten dies
Bestreben zur Bildung einer iliynschen Kanzlei und einer siebenbürgischen Hof¬
kanzlei führte. Das Verhältniß der partes Mncxs-v zur ungarischen Krone bil¬
dete seitdem einen stehenden Artikel in den Beschwerdelisten der ungarischen
Reichstage. So lange die Frage einen rein staatsrechtlichen Charakter hatte,
konnten die Ungarn darauf rechnen, daß ihre Ansprüche in den betreffenden


Als daher auf dem Opcratenreichstage die liberalen Ideen so weit sich geltend
machten, daß die Ständctasel Anträge auf eine freisinnige Lösung der Urbarial-
frage stellte, schloß sich die Regierung den Magnaten an, die dies wichtige
Wert zu verhindern oder wenigstens aufzuschieben suchten. Während früher die
Klagen geläufig waren, daß die Stände durch ihre Hartnäckigkeit und ihren be¬
schränkten Egoismus jeden Fortschritt, jede Verbesserung hinderten, trat die
Regierung selbst dem Fortschritt entgegen, schwerlich ausschließlich aus dem
Interesse der Stabilität, sondern auch wohl, um den Landtag zu hindern, sich
ein so wichtiges Verdienst, wie die Lösung der Unterthänigkcitsfrage, um das
Land zu erwerben. Die Folge dieses Verhaltens war eine Steigerung der
Opposition. Als die Negierung in Rücksicht auf die allgemeine Weltlage dem
Reichstage von 1847 mit liberaleren Anschauungen gegenübertrat, war es be¬
reits zu spät. Die Gesetze von 1848 sind kaum mehr als eine bloße Reform
der alten Verfassung anzusehen, sie stürzen dieselbe vielmehr in wichtigen Be¬
standtheilen um und begründen gewissermaßen eine neue Verfassung; sie haben
jedoch, so gewaltsam die Veränderungen auch waren, mit Bewahrung der
Rechtscontuiuität den gesetzlichen Boden geschaffen, auf dem die heutigen
Ansprüche Ungarns beruhen; ob ebenso fest, wie einst auf der alten Ver¬
fassung, das wird der Ausgang des gegenwärtigen ungarischen Versassungs-
kampfes lehren.

Von der größten Bedeutung für den gegenwärtigen Conflict sind besonders
zwei Punkte in den Gesetzesartikeln von 1848, die Einsetzung eines verantwort¬
lichen ungarischen Ministeriums und die Union der Mi-tczs acknexas mit dem
eigentlichen Ungarn.

Die äußerst verwickelte Frage der zMtW «.(lucxae (um aus diesen Punkt
hier nah?r einzugehen) ist bekanntlich nicht erst von neuerem Datum; sie spielt
bereits seit längerer Zeit auf den Reichstagen eine Rolle. Eo >se ganz be¬
zeichnend für die eigenthümliche Zusammensetzung des östreichischen Staates,
daß ein Theil desselben Ansprüche auf andere Theile erhebt, so daß im Innern
des Staates sich ein Proceß vollzieht, der seine Analogie nur im völkerrecht¬
lichen Verkehr der Staaten unter einander findet.

ES war von Alters her das Bestreben der Ungarn, das Band, welches
zwischen ihnen und den zur ungarischen Krone gehörigen Ländern bestand, mög¬
lichst fest zu ziehen, das der östreichischen Regierung, es möglichst zu lockern.
Großen Anstoß erregte es in Ungarn, als unter Leopold dem Zweiten dies
Bestreben zur Bildung einer iliynschen Kanzlei und einer siebenbürgischen Hof¬
kanzlei führte. Das Verhältniß der partes Mncxs-v zur ungarischen Krone bil¬
dete seitdem einen stehenden Artikel in den Beschwerdelisten der ungarischen
Reichstage. So lange die Frage einen rein staatsrechtlichen Charakter hatte,
konnten die Ungarn darauf rechnen, daß ihre Ansprüche in den betreffenden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/16>, abgerufen am 15.01.2025.