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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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deutschen Staate so heftigen Streit entwickelt? Die Preußen haben im Gegen¬
satz zu fast allen andern Völkern Deutschlands, seit vor fünfzehn Jahren unser
Vaterland in die Periode einer lebhaftem Bewegung eintrat, nicht einen, son¬
dern hinter einander zwei Fürsten gehabt, welche ihrem Alter, ihrer Bildung,
ihrem Verständniß des Staatslebens nach in der vergangenen Zeit wurzeln, in
welcher die Politik Metternichs herrschte. Rußlands Einfluß übermächtig war,
die deutschen Stämme kraftlos die Folgen der napoleonischen Herrschaft ver¬
arbeiteten. Während fast überall durch oder seit dem Jahre 1848 jüngere Herr¬
scher, eine neuere Generation die Throne bestieg, bestimmbarer, weniger lange
geformt, behender, ihren Frieden mit der Zeit wohl oder übel zu machen, ist
im Regentenhause Preußens nicht ein Sohn auf den Vater gefolgt. Beide
Fürsten haben in ihrer Art die lichte Eigenschaft der Hohenzollern bewährt,
die Tugend, für ihren Staat, und nicht für ihr Haus zu sorgen, zu zürnen
und zu dulden, und Beiden verdüsterte sich nach einem glänzenden Aufgange
ihr Horizont durch schwarze Wetterwolken, welche sie zu beschwören nicht im
Stande gewesen sind. So ist es gekommen, daß ein frisches jugendliches Le¬
ben, welches auch bei mäßiger Kraft eines jüngeren Herrschers in der Politik,
in der höhern Verwaltung, in jeder Richtung des Volkslebens leichter an den
Tag dringt, den Preußen bis jetzt nicht geworden ist. Und dieser Umstand
gibt gerade diesem jungen Staate, der auf einen aufstrebenden selbstvertrauen-
den Willen angewiesen ihl, ein besonders seltsames Aussehen. Der Frühling
ist unten im Volk angebrochen und auf den Gipfeln der Bäume rauscht überall
das Laub des vergangenen Jahres.

Wer diesen Umstand, den eine höhere Gewalt, nicht die der Menschen,
herbeigeführt hat, als verhängnißvoll für den Staat erachtet, der ist allerdings
durch unwiderstehliche Beweisgründe nicht zu widerlegen. Denn wer kann
vorausbestimmen, welche Gefahren die Zukunft durch ein unpopuläres und nach
Außen machtloses Regiment heraufbeschwört. Aber es ist auch erlaubt, solcher
Auffassung eine hoffnungsreichere gegenüberzustellen. Allerdings bedeutet bei
dem jungen Versassungsleben der deutschen Staaten die Persönlichkeit des Re¬
genten mehr als da, wo eine alte Verfassung das Volk gewöhnt hat, eine un¬
ablässige Controle der Regierenden auszuüben. Und wir sehen bei dem flüch¬
tigsten Rückblick auf die vergangenen Zeiten, wie sehr auch unsre Regenten
Kinder ihrer Zeit sind, der Periode ihres Levens, in welcher ihr Charakter
geformt wurde, ihre Bildung durch- starke Eindrücke zur Reife kam. Wichtiger
fast als die individuelle Anlage des Regenten sind für sein Herrscheramt die
Einwirkungen der geistigen und politischen Kämpfe während seiner Lehrjahre.
Daß nun die Preußen später als die meisten ihrer Landsleute die Zeiten eines
neuen Systems und einer jungen Negierung erhalten, gerade dieser Umstand
mag ihnen dereinst wieder zu Gute kommen; denn diese neue Zeit findet starke


deutschen Staate so heftigen Streit entwickelt? Die Preußen haben im Gegen¬
satz zu fast allen andern Völkern Deutschlands, seit vor fünfzehn Jahren unser
Vaterland in die Periode einer lebhaftem Bewegung eintrat, nicht einen, son¬
dern hinter einander zwei Fürsten gehabt, welche ihrem Alter, ihrer Bildung,
ihrem Verständniß des Staatslebens nach in der vergangenen Zeit wurzeln, in
welcher die Politik Metternichs herrschte. Rußlands Einfluß übermächtig war,
die deutschen Stämme kraftlos die Folgen der napoleonischen Herrschaft ver¬
arbeiteten. Während fast überall durch oder seit dem Jahre 1848 jüngere Herr¬
scher, eine neuere Generation die Throne bestieg, bestimmbarer, weniger lange
geformt, behender, ihren Frieden mit der Zeit wohl oder übel zu machen, ist
im Regentenhause Preußens nicht ein Sohn auf den Vater gefolgt. Beide
Fürsten haben in ihrer Art die lichte Eigenschaft der Hohenzollern bewährt,
die Tugend, für ihren Staat, und nicht für ihr Haus zu sorgen, zu zürnen
und zu dulden, und Beiden verdüsterte sich nach einem glänzenden Aufgange
ihr Horizont durch schwarze Wetterwolken, welche sie zu beschwören nicht im
Stande gewesen sind. So ist es gekommen, daß ein frisches jugendliches Le¬
ben, welches auch bei mäßiger Kraft eines jüngeren Herrschers in der Politik,
in der höhern Verwaltung, in jeder Richtung des Volkslebens leichter an den
Tag dringt, den Preußen bis jetzt nicht geworden ist. Und dieser Umstand
gibt gerade diesem jungen Staate, der auf einen aufstrebenden selbstvertrauen-
den Willen angewiesen ihl, ein besonders seltsames Aussehen. Der Frühling
ist unten im Volk angebrochen und auf den Gipfeln der Bäume rauscht überall
das Laub des vergangenen Jahres.

Wer diesen Umstand, den eine höhere Gewalt, nicht die der Menschen,
herbeigeführt hat, als verhängnißvoll für den Staat erachtet, der ist allerdings
durch unwiderstehliche Beweisgründe nicht zu widerlegen. Denn wer kann
vorausbestimmen, welche Gefahren die Zukunft durch ein unpopuläres und nach
Außen machtloses Regiment heraufbeschwört. Aber es ist auch erlaubt, solcher
Auffassung eine hoffnungsreichere gegenüberzustellen. Allerdings bedeutet bei
dem jungen Versassungsleben der deutschen Staaten die Persönlichkeit des Re¬
genten mehr als da, wo eine alte Verfassung das Volk gewöhnt hat, eine un¬
ablässige Controle der Regierenden auszuüben. Und wir sehen bei dem flüch¬
tigsten Rückblick auf die vergangenen Zeiten, wie sehr auch unsre Regenten
Kinder ihrer Zeit sind, der Periode ihres Levens, in welcher ihr Charakter
geformt wurde, ihre Bildung durch- starke Eindrücke zur Reife kam. Wichtiger
fast als die individuelle Anlage des Regenten sind für sein Herrscheramt die
Einwirkungen der geistigen und politischen Kämpfe während seiner Lehrjahre.
Daß nun die Preußen später als die meisten ihrer Landsleute die Zeiten eines
neuen Systems und einer jungen Negierung erhalten, gerade dieser Umstand
mag ihnen dereinst wieder zu Gute kommen; denn diese neue Zeit findet starke


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[0159] deutschen Staate so heftigen Streit entwickelt? Die Preußen haben im Gegen¬ satz zu fast allen andern Völkern Deutschlands, seit vor fünfzehn Jahren unser Vaterland in die Periode einer lebhaftem Bewegung eintrat, nicht einen, son¬ dern hinter einander zwei Fürsten gehabt, welche ihrem Alter, ihrer Bildung, ihrem Verständniß des Staatslebens nach in der vergangenen Zeit wurzeln, in welcher die Politik Metternichs herrschte. Rußlands Einfluß übermächtig war, die deutschen Stämme kraftlos die Folgen der napoleonischen Herrschaft ver¬ arbeiteten. Während fast überall durch oder seit dem Jahre 1848 jüngere Herr¬ scher, eine neuere Generation die Throne bestieg, bestimmbarer, weniger lange geformt, behender, ihren Frieden mit der Zeit wohl oder übel zu machen, ist im Regentenhause Preußens nicht ein Sohn auf den Vater gefolgt. Beide Fürsten haben in ihrer Art die lichte Eigenschaft der Hohenzollern bewährt, die Tugend, für ihren Staat, und nicht für ihr Haus zu sorgen, zu zürnen und zu dulden, und Beiden verdüsterte sich nach einem glänzenden Aufgange ihr Horizont durch schwarze Wetterwolken, welche sie zu beschwören nicht im Stande gewesen sind. So ist es gekommen, daß ein frisches jugendliches Le¬ ben, welches auch bei mäßiger Kraft eines jüngeren Herrschers in der Politik, in der höhern Verwaltung, in jeder Richtung des Volkslebens leichter an den Tag dringt, den Preußen bis jetzt nicht geworden ist. Und dieser Umstand gibt gerade diesem jungen Staate, der auf einen aufstrebenden selbstvertrauen- den Willen angewiesen ihl, ein besonders seltsames Aussehen. Der Frühling ist unten im Volk angebrochen und auf den Gipfeln der Bäume rauscht überall das Laub des vergangenen Jahres. Wer diesen Umstand, den eine höhere Gewalt, nicht die der Menschen, herbeigeführt hat, als verhängnißvoll für den Staat erachtet, der ist allerdings durch unwiderstehliche Beweisgründe nicht zu widerlegen. Denn wer kann vorausbestimmen, welche Gefahren die Zukunft durch ein unpopuläres und nach Außen machtloses Regiment heraufbeschwört. Aber es ist auch erlaubt, solcher Auffassung eine hoffnungsreichere gegenüberzustellen. Allerdings bedeutet bei dem jungen Versassungsleben der deutschen Staaten die Persönlichkeit des Re¬ genten mehr als da, wo eine alte Verfassung das Volk gewöhnt hat, eine un¬ ablässige Controle der Regierenden auszuüben. Und wir sehen bei dem flüch¬ tigsten Rückblick auf die vergangenen Zeiten, wie sehr auch unsre Regenten Kinder ihrer Zeit sind, der Periode ihres Levens, in welcher ihr Charakter geformt wurde, ihre Bildung durch- starke Eindrücke zur Reife kam. Wichtiger fast als die individuelle Anlage des Regenten sind für sein Herrscheramt die Einwirkungen der geistigen und politischen Kämpfe während seiner Lehrjahre. Daß nun die Preußen später als die meisten ihrer Landsleute die Zeiten eines neuen Systems und einer jungen Negierung erhalten, gerade dieser Umstand mag ihnen dereinst wieder zu Gute kommen; denn diese neue Zeit findet starke

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/159>, abgerufen am 15.01.2025.