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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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Großes sei in Zucht und Ordnung, in der festgeschlossenen Verwaltung,
in sparsamen Haushalt, gab auch der Gegner zu, der sich über das Wider¬
wärtige ärgerte, das ihn dort häufig verletzte, über hochfahrendes Wesen und
Unbehilflichkeit, über große Ansprüche und Kleinkrämerei. Seitdem das preu¬
ßische Volk mit selbstständigem Willen in engere Verbindung mit den Bruder¬
stämmen getreten ist, hat sich diese Auffassung preußischer Art allerdings modi-
ficirt, aber der Deutsche findet jetzt auch in dem preußischen Volke etwas Be¬
sonderes, daS ihm nicht immer heimisch und anmuthig erscheint, auch wo er
es ehren muß, das ihn besonders stark abstößt, wenn er Ungesundes herausfühlt.

Selbstverständlich haben der Charakter der Volksstämme in den alten Pro¬
vinzen, Culturverhältnisse und frühere'Geschichte den wesentlichsten Antheil an
solcher Eigenheit. Es ist hier nicht der Ort auszuführen, was die mittelalter¬
liche Colonistenarbeit auf altem Slavenlande, was das knappe strenge Soldaten-
regimcnt des vorigen Jahrhunderts, was endlich die geistige Arbeit Kantsund
Hegels an Tüchtigen und Einseitigem dort mehr als anderswo herausge¬
bildet hat.

Es ist auch nach dieser Richtung interessant, die Stellung der Preußen
innerhalb des Notivnalvereins zu betrachten. Sie sind eifrig bemüht auszuspre¬
chen,.wie sehr Preußen zu seiner Fortbildung und zur Erhebung aus der ge¬
genwärtigen Krisis die Hilfe Deutschlands nöthig habe, und demungeachtet wird
bei den NichtPreußen des Vereins die Ueberzeugung immer lebendiger, daß die
politische Entwickelung Deutschlands in der Hauptsache von Preußen abhänge.
Die preußischen Mitglieder des Vereins sind in Wort und Ueberzeugung sehr
entschieden deutsch; liberale und entschlossene Vorschläge gehen in der Regel von
ihnen aus, und doch empfinden die heftigen Freunde in Süddeutschland in der
Stille, daß diese entschiedenen Fortschrittsmänner aus Preußen im Grunde weit
gemäßigter, vorsichtiger, konservativer sind als sie selbst. Mit gutem Grunde;
denn sie haben etwas Großes, was sie für sich und Deutschland zu bewahren
verpflichtet sind. Der Staat von jetzt mehr als achtzehn Millionen Deutschen
ist bei allen Unvollkommensten und Mängeln für sie ein unschätzbarer Besitz,
dessen Werth sie sehr lebhaft empfinden, auch wenn sie seine gegenwärtige
Physiognomie aufs kräftigste verurtheilen.

Aber nicht nur darin beruht das besondere Wesen des preußischen Libera¬
lismus, daß die Preußen einem Staat angehören, welcher, wenn auch nach
vieler Beziehung unfertig, doch im Stande ist, unter Umständen die größte Kraft
zu entwickeln.

Deshalb soll hier an Einiges erinnert werden, was die gegenwärtige Lage
des preußischen Staates und seiner Parteien erklärt, was den Preußen selbst
sehr wohl bekannt ist. von den Landsleuten zuweilen vergessen wird. Woher
kommt es zuletzt, daß das fröhliche Aufblühen deutscher Kraft in dem größten


Großes sei in Zucht und Ordnung, in der festgeschlossenen Verwaltung,
in sparsamen Haushalt, gab auch der Gegner zu, der sich über das Wider¬
wärtige ärgerte, das ihn dort häufig verletzte, über hochfahrendes Wesen und
Unbehilflichkeit, über große Ansprüche und Kleinkrämerei. Seitdem das preu¬
ßische Volk mit selbstständigem Willen in engere Verbindung mit den Bruder¬
stämmen getreten ist, hat sich diese Auffassung preußischer Art allerdings modi-
ficirt, aber der Deutsche findet jetzt auch in dem preußischen Volke etwas Be¬
sonderes, daS ihm nicht immer heimisch und anmuthig erscheint, auch wo er
es ehren muß, das ihn besonders stark abstößt, wenn er Ungesundes herausfühlt.

Selbstverständlich haben der Charakter der Volksstämme in den alten Pro¬
vinzen, Culturverhältnisse und frühere'Geschichte den wesentlichsten Antheil an
solcher Eigenheit. Es ist hier nicht der Ort auszuführen, was die mittelalter¬
liche Colonistenarbeit auf altem Slavenlande, was das knappe strenge Soldaten-
regimcnt des vorigen Jahrhunderts, was endlich die geistige Arbeit Kantsund
Hegels an Tüchtigen und Einseitigem dort mehr als anderswo herausge¬
bildet hat.

Es ist auch nach dieser Richtung interessant, die Stellung der Preußen
innerhalb des Notivnalvereins zu betrachten. Sie sind eifrig bemüht auszuspre¬
chen,.wie sehr Preußen zu seiner Fortbildung und zur Erhebung aus der ge¬
genwärtigen Krisis die Hilfe Deutschlands nöthig habe, und demungeachtet wird
bei den NichtPreußen des Vereins die Ueberzeugung immer lebendiger, daß die
politische Entwickelung Deutschlands in der Hauptsache von Preußen abhänge.
Die preußischen Mitglieder des Vereins sind in Wort und Ueberzeugung sehr
entschieden deutsch; liberale und entschlossene Vorschläge gehen in der Regel von
ihnen aus, und doch empfinden die heftigen Freunde in Süddeutschland in der
Stille, daß diese entschiedenen Fortschrittsmänner aus Preußen im Grunde weit
gemäßigter, vorsichtiger, konservativer sind als sie selbst. Mit gutem Grunde;
denn sie haben etwas Großes, was sie für sich und Deutschland zu bewahren
verpflichtet sind. Der Staat von jetzt mehr als achtzehn Millionen Deutschen
ist bei allen Unvollkommensten und Mängeln für sie ein unschätzbarer Besitz,
dessen Werth sie sehr lebhaft empfinden, auch wenn sie seine gegenwärtige
Physiognomie aufs kräftigste verurtheilen.

Aber nicht nur darin beruht das besondere Wesen des preußischen Libera¬
lismus, daß die Preußen einem Staat angehören, welcher, wenn auch nach
vieler Beziehung unfertig, doch im Stande ist, unter Umständen die größte Kraft
zu entwickeln.

Deshalb soll hier an Einiges erinnert werden, was die gegenwärtige Lage
des preußischen Staates und seiner Parteien erklärt, was den Preußen selbst
sehr wohl bekannt ist. von den Landsleuten zuweilen vergessen wird. Woher
kommt es zuletzt, daß das fröhliche Aufblühen deutscher Kraft in dem größten


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[0158] Großes sei in Zucht und Ordnung, in der festgeschlossenen Verwaltung, in sparsamen Haushalt, gab auch der Gegner zu, der sich über das Wider¬ wärtige ärgerte, das ihn dort häufig verletzte, über hochfahrendes Wesen und Unbehilflichkeit, über große Ansprüche und Kleinkrämerei. Seitdem das preu¬ ßische Volk mit selbstständigem Willen in engere Verbindung mit den Bruder¬ stämmen getreten ist, hat sich diese Auffassung preußischer Art allerdings modi- ficirt, aber der Deutsche findet jetzt auch in dem preußischen Volke etwas Be¬ sonderes, daS ihm nicht immer heimisch und anmuthig erscheint, auch wo er es ehren muß, das ihn besonders stark abstößt, wenn er Ungesundes herausfühlt. Selbstverständlich haben der Charakter der Volksstämme in den alten Pro¬ vinzen, Culturverhältnisse und frühere'Geschichte den wesentlichsten Antheil an solcher Eigenheit. Es ist hier nicht der Ort auszuführen, was die mittelalter¬ liche Colonistenarbeit auf altem Slavenlande, was das knappe strenge Soldaten- regimcnt des vorigen Jahrhunderts, was endlich die geistige Arbeit Kantsund Hegels an Tüchtigen und Einseitigem dort mehr als anderswo herausge¬ bildet hat. Es ist auch nach dieser Richtung interessant, die Stellung der Preußen innerhalb des Notivnalvereins zu betrachten. Sie sind eifrig bemüht auszuspre¬ chen,.wie sehr Preußen zu seiner Fortbildung und zur Erhebung aus der ge¬ genwärtigen Krisis die Hilfe Deutschlands nöthig habe, und demungeachtet wird bei den NichtPreußen des Vereins die Ueberzeugung immer lebendiger, daß die politische Entwickelung Deutschlands in der Hauptsache von Preußen abhänge. Die preußischen Mitglieder des Vereins sind in Wort und Ueberzeugung sehr entschieden deutsch; liberale und entschlossene Vorschläge gehen in der Regel von ihnen aus, und doch empfinden die heftigen Freunde in Süddeutschland in der Stille, daß diese entschiedenen Fortschrittsmänner aus Preußen im Grunde weit gemäßigter, vorsichtiger, konservativer sind als sie selbst. Mit gutem Grunde; denn sie haben etwas Großes, was sie für sich und Deutschland zu bewahren verpflichtet sind. Der Staat von jetzt mehr als achtzehn Millionen Deutschen ist bei allen Unvollkommensten und Mängeln für sie ein unschätzbarer Besitz, dessen Werth sie sehr lebhaft empfinden, auch wenn sie seine gegenwärtige Physiognomie aufs kräftigste verurtheilen. Aber nicht nur darin beruht das besondere Wesen des preußischen Libera¬ lismus, daß die Preußen einem Staat angehören, welcher, wenn auch nach vieler Beziehung unfertig, doch im Stande ist, unter Umständen die größte Kraft zu entwickeln. Deshalb soll hier an Einiges erinnert werden, was die gegenwärtige Lage des preußischen Staates und seiner Parteien erklärt, was den Preußen selbst sehr wohl bekannt ist. von den Landsleuten zuweilen vergessen wird. Woher kommt es zuletzt, daß das fröhliche Aufblühen deutscher Kraft in dem größten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/158>, abgerufen am 15.01.2025.