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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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Der wahre Grund dieses Verlangens liegt vielmehr darin, daß die Kon¬
gregation sich gewissermaßen mit dem Papst identificirt, daß sie in dessen
Namen ihr Urtheil abgibt, und daß die neuere Scholastik diesem Unfehlbarkeit
zuspricht. Ist der Papst als "Mund der Kirche" infallibel. dann ist es auch ein
päpstliches Jndexschreiben. und so ist der Schriftsteller, der sich trotz eines solchen
nicht unterwirft, nicht zu entschuldigen. Diese Theorie von der Unfehlbarkeit
des römischen Pontifex aber war im Mittelalter unbekannt, wenigstens nicht
allgemein anerkannt. Man erörterte in den Schulen sogar das Thema, daß
ein Japst in Ketzerei verfallen könne, und zur Entscheidung wissenschaftlicher
Streitpunkte wendete man sich nicht nach Rom, sondern an die Hochschulen,
vorzüglich nach Paris, wo selbst Päpste sich Belehrung erbaten. Erst nachdem
die Neuscholastik Hostheologie geworden war, d.h. nachdem sie in den römischen
Kongregationen sich verkörpert hatte, begann man die Lehre vom infallibeln
Papst zu proclamiren.

Diese Theorie ist freilich nur da möglich, wo man entweder von Kirchenge¬
schichte gar nichts wissen will, oder wo man diese als Folie zu irgendeinem theo¬
logischen System herabwürdigt und daher die geschichtlichen Thatsachen so lange
verdreht, bis sie in die Schablone hineinpassen. -- Um nun nicht mit den
allbekanntesten Dingen in Widerspruch zu kommen, hat man den Ausweg er¬
sonnen, eine Unterscheidung zu machen zwischen dem Ausspruch, den der Papst
ex eatkeclra, wo er als äoetor eeolesiire spricht und daher unfehlbar sein muß,
und dem, welchen er als äoetor Mo^tus thut, in welch letzterem Fall er wohl
auch irren könne. Fragt man aber nun um die Merkmale eines Ausspruches
ex eatdeäi-a, also eines unfehlbar sein sollenden äietum xg,Ms, so gibt der
Eine dieses, der Andere ein anderes an; und schließlich ist doch nichts erreicht;
denn die Geschichte lehrt, daß der Papst sowohl als äootor eeclesias als auch
als äoetor xrivatus in Glaubens- und Sittenlehren gefehlt hat.

Gregor der Dritte Entscheidet in einer Anfrage von gallischen Bischöfen,
also gewiß ex ciMeära,: eine Taufe, die von einem Heiden ertheilt worden
'se, ist ungiltig; die Kirche zu allen Zeiten hat anders entschieden.

Innocenz der Erste und Gelasius der Erste behaupten in Decretalen, d. h.
ex LÄtlrsära: den kleinen Kindern ist zur Seligkeit auch die Communion noth¬
wendig. Das Concil hat über diesen Satz das Anathem gesprochen.

Innocenz der Dritte behauptet in einem Decret: "Das ganze 5. Buch
Moses mit den darin enthaltenen Gesetzen sei auch im neuen Bunde, also in
der christlichen Kirche verbindlich; sein Beweis ist sehr naiv. Das 5. Buch
Moses wird genannt veuterouvmmm, das aber das zweite Gesetzbuch;
das 2. Gesetz kann aber nur für die 2. Kirche gelten, und das ist die christliche;
also ist das 6. Buch Mosis auch in der christlichen Kirche verbindlich.

Bonifaz der Achte erklärt es zur Seligkeit nothwendig, zu glauben, daß


Grenzboten IV. 1863. 19

Der wahre Grund dieses Verlangens liegt vielmehr darin, daß die Kon¬
gregation sich gewissermaßen mit dem Papst identificirt, daß sie in dessen
Namen ihr Urtheil abgibt, und daß die neuere Scholastik diesem Unfehlbarkeit
zuspricht. Ist der Papst als „Mund der Kirche" infallibel. dann ist es auch ein
päpstliches Jndexschreiben. und so ist der Schriftsteller, der sich trotz eines solchen
nicht unterwirft, nicht zu entschuldigen. Diese Theorie von der Unfehlbarkeit
des römischen Pontifex aber war im Mittelalter unbekannt, wenigstens nicht
allgemein anerkannt. Man erörterte in den Schulen sogar das Thema, daß
ein Japst in Ketzerei verfallen könne, und zur Entscheidung wissenschaftlicher
Streitpunkte wendete man sich nicht nach Rom, sondern an die Hochschulen,
vorzüglich nach Paris, wo selbst Päpste sich Belehrung erbaten. Erst nachdem
die Neuscholastik Hostheologie geworden war, d.h. nachdem sie in den römischen
Kongregationen sich verkörpert hatte, begann man die Lehre vom infallibeln
Papst zu proclamiren.

Diese Theorie ist freilich nur da möglich, wo man entweder von Kirchenge¬
schichte gar nichts wissen will, oder wo man diese als Folie zu irgendeinem theo¬
logischen System herabwürdigt und daher die geschichtlichen Thatsachen so lange
verdreht, bis sie in die Schablone hineinpassen. — Um nun nicht mit den
allbekanntesten Dingen in Widerspruch zu kommen, hat man den Ausweg er¬
sonnen, eine Unterscheidung zu machen zwischen dem Ausspruch, den der Papst
ex eatkeclra, wo er als äoetor eeolesiire spricht und daher unfehlbar sein muß,
und dem, welchen er als äoetor Mo^tus thut, in welch letzterem Fall er wohl
auch irren könne. Fragt man aber nun um die Merkmale eines Ausspruches
ex eatdeäi-a, also eines unfehlbar sein sollenden äietum xg,Ms, so gibt der
Eine dieses, der Andere ein anderes an; und schließlich ist doch nichts erreicht;
denn die Geschichte lehrt, daß der Papst sowohl als äootor eeclesias als auch
als äoetor xrivatus in Glaubens- und Sittenlehren gefehlt hat.

Gregor der Dritte Entscheidet in einer Anfrage von gallischen Bischöfen,
also gewiß ex ciMeära,: eine Taufe, die von einem Heiden ertheilt worden
'se, ist ungiltig; die Kirche zu allen Zeiten hat anders entschieden.

Innocenz der Erste und Gelasius der Erste behaupten in Decretalen, d. h.
ex LÄtlrsära: den kleinen Kindern ist zur Seligkeit auch die Communion noth¬
wendig. Das Concil hat über diesen Satz das Anathem gesprochen.

Innocenz der Dritte behauptet in einem Decret: „Das ganze 5. Buch
Moses mit den darin enthaltenen Gesetzen sei auch im neuen Bunde, also in
der christlichen Kirche verbindlich; sein Beweis ist sehr naiv. Das 5. Buch
Moses wird genannt veuterouvmmm, das aber das zweite Gesetzbuch;
das 2. Gesetz kann aber nur für die 2. Kirche gelten, und das ist die christliche;
also ist das 6. Buch Mosis auch in der christlichen Kirche verbindlich.

Bonifaz der Achte erklärt es zur Seligkeit nothwendig, zu glauben, daß


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[0153] Der wahre Grund dieses Verlangens liegt vielmehr darin, daß die Kon¬ gregation sich gewissermaßen mit dem Papst identificirt, daß sie in dessen Namen ihr Urtheil abgibt, und daß die neuere Scholastik diesem Unfehlbarkeit zuspricht. Ist der Papst als „Mund der Kirche" infallibel. dann ist es auch ein päpstliches Jndexschreiben. und so ist der Schriftsteller, der sich trotz eines solchen nicht unterwirft, nicht zu entschuldigen. Diese Theorie von der Unfehlbarkeit des römischen Pontifex aber war im Mittelalter unbekannt, wenigstens nicht allgemein anerkannt. Man erörterte in den Schulen sogar das Thema, daß ein Japst in Ketzerei verfallen könne, und zur Entscheidung wissenschaftlicher Streitpunkte wendete man sich nicht nach Rom, sondern an die Hochschulen, vorzüglich nach Paris, wo selbst Päpste sich Belehrung erbaten. Erst nachdem die Neuscholastik Hostheologie geworden war, d.h. nachdem sie in den römischen Kongregationen sich verkörpert hatte, begann man die Lehre vom infallibeln Papst zu proclamiren. Diese Theorie ist freilich nur da möglich, wo man entweder von Kirchenge¬ schichte gar nichts wissen will, oder wo man diese als Folie zu irgendeinem theo¬ logischen System herabwürdigt und daher die geschichtlichen Thatsachen so lange verdreht, bis sie in die Schablone hineinpassen. — Um nun nicht mit den allbekanntesten Dingen in Widerspruch zu kommen, hat man den Ausweg er¬ sonnen, eine Unterscheidung zu machen zwischen dem Ausspruch, den der Papst ex eatkeclra, wo er als äoetor eeolesiire spricht und daher unfehlbar sein muß, und dem, welchen er als äoetor Mo^tus thut, in welch letzterem Fall er wohl auch irren könne. Fragt man aber nun um die Merkmale eines Ausspruches ex eatdeäi-a, also eines unfehlbar sein sollenden äietum xg,Ms, so gibt der Eine dieses, der Andere ein anderes an; und schließlich ist doch nichts erreicht; denn die Geschichte lehrt, daß der Papst sowohl als äootor eeclesias als auch als äoetor xrivatus in Glaubens- und Sittenlehren gefehlt hat. Gregor der Dritte Entscheidet in einer Anfrage von gallischen Bischöfen, also gewiß ex ciMeära,: eine Taufe, die von einem Heiden ertheilt worden 'se, ist ungiltig; die Kirche zu allen Zeiten hat anders entschieden. Innocenz der Erste und Gelasius der Erste behaupten in Decretalen, d. h. ex LÄtlrsära: den kleinen Kindern ist zur Seligkeit auch die Communion noth¬ wendig. Das Concil hat über diesen Satz das Anathem gesprochen. Innocenz der Dritte behauptet in einem Decret: „Das ganze 5. Buch Moses mit den darin enthaltenen Gesetzen sei auch im neuen Bunde, also in der christlichen Kirche verbindlich; sein Beweis ist sehr naiv. Das 5. Buch Moses wird genannt veuterouvmmm, das aber das zweite Gesetzbuch; das 2. Gesetz kann aber nur für die 2. Kirche gelten, und das ist die christliche; also ist das 6. Buch Mosis auch in der christlichen Kirche verbindlich. Bonifaz der Achte erklärt es zur Seligkeit nothwendig, zu glauben, daß Grenzboten IV. 1863. 19

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/153>, abgerufen am 15.01.2025.