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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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von Preußen besehe gehaltenen Königreichs Sachsen. Sofort trat eine, natür¬
lich geheim gehaltene Militaircommisfion zusammen, welche den Feldzugs-
plan besprechen sollte. Letzterer war bald fertig: ein östreichisch-bayerisches
Heer unter Wrede sollte von der Nordgrenze Böhmens in Sachsen einrücken,
ein östreichisches Corps, in der Gegend von Teschen aufgestellt, Wien decken,
ein französisches vom Rhein durch Franken nach der Elbe vordringen, ein aus
Engländern, Niederländern und Hannoveranern zusammengesetztes endlich vom
Niederrhein sich gegen die brandenburgischen Marke" in Bewegung setzen.

Wie Castlereagh zu diesem Plan die Hand bieten konnte, der nicht gegen
Rußlands drohende Uebermacht, sondern gegen Preußen und für Frankreichs
Interesse entworfen war, bleibt gänzlich unerklärt. Wie Metternich nicht be¬
griff, daß Frankreichs Heere, einmal wieder siegreich mitten in Deutschland
stehend, die Hoffnung des Staatskanzlers aus Bildung eines deutschen Bundes
unter Oestreichs Führung vereiteln, daß sie den Rheinbund wiederherstellen
mußten, ist ebenfalls schwer zu begreifen. Mit ganz unbedingter Befriedigung
konnten nur Wrede und ^ Talleyrand die kriegerischen Aussichten, die-sich er¬
öffneten, begrüßen. Jener sah neben den Zielen seines persönlichen Ehrgeizes
Erfüllung des Wunsches Bayerns, als europäische Macht anerkannt zu werden,
winken. Talleyrand konnte sich bereits wieder schmeicheln, den Rhein als Grenze
Frankreich zurückzugewinnen.

Das Schlimmste sollte indeß doch nicht geschehen. Talleyrand und Metter¬
nich zwar arbeiteten mit unermüdlichem Eifer daran fort, Preußen gänzlich und
selbst von Nußland zu isoliren. Eastlereagh aber war endlich zu der Erkennt¬
niß gelangt, daß man in England einen bestätigten Frieden, nicht einen neuen
Krieg erwartete, und kaum drei Tage nach Unterzeichnung des Bündnisses mit
Frankreich und Oestreich begann er mündlich mit dem Kaiser Alexander über
Sachsen, von dem er jetzt einen bedeutenden Theil an Preußen übergeben ha¬
ben wollte, sowie über Polen, wo Rußland noch etwas mehr einräumen sollte,
zu unterhandeln. Unmittelbar darauf aber gab er auf Verlangen Rußlands und
Preußens als Entgeld für die von ihm und Merternich gewünschte förmliche
Anerkennung des Botschafters Frankreichs als stimmberechtigten Mitglieds auch
in den besonderen Conferenzen über Sachsen seine oft wiederholte Erklärung,
"daß man die Frage, wie Preußen durch einen Theil von Sachsen entschädigt
werden seUle, von der Entscheidung der Mächte und nicht von der Willkür des
Königs von Sachsen abhängig machen wolle", mit großer Bereitwilligkeit zu
Protokoll. Widerstrebend that Metternich desgleichen, und vergeblich blieben
alle Bemühungen, Castlereagh von Neuem umzustimmen, umsonst versuchte so¬
gar Kaiser Franz in unmittelbarer Besprechung den Vertreter Großbritanniens
für eine energische Durchführung des Bündnisses zu gewinnen. Ohne Geld¬
hilfe von England konnte Oestreich sich nicht wohl auf einen neuen Krieg ein-


von Preußen besehe gehaltenen Königreichs Sachsen. Sofort trat eine, natür¬
lich geheim gehaltene Militaircommisfion zusammen, welche den Feldzugs-
plan besprechen sollte. Letzterer war bald fertig: ein östreichisch-bayerisches
Heer unter Wrede sollte von der Nordgrenze Böhmens in Sachsen einrücken,
ein östreichisches Corps, in der Gegend von Teschen aufgestellt, Wien decken,
ein französisches vom Rhein durch Franken nach der Elbe vordringen, ein aus
Engländern, Niederländern und Hannoveranern zusammengesetztes endlich vom
Niederrhein sich gegen die brandenburgischen Marke» in Bewegung setzen.

Wie Castlereagh zu diesem Plan die Hand bieten konnte, der nicht gegen
Rußlands drohende Uebermacht, sondern gegen Preußen und für Frankreichs
Interesse entworfen war, bleibt gänzlich unerklärt. Wie Metternich nicht be¬
griff, daß Frankreichs Heere, einmal wieder siegreich mitten in Deutschland
stehend, die Hoffnung des Staatskanzlers aus Bildung eines deutschen Bundes
unter Oestreichs Führung vereiteln, daß sie den Rheinbund wiederherstellen
mußten, ist ebenfalls schwer zu begreifen. Mit ganz unbedingter Befriedigung
konnten nur Wrede und ^ Talleyrand die kriegerischen Aussichten, die-sich er¬
öffneten, begrüßen. Jener sah neben den Zielen seines persönlichen Ehrgeizes
Erfüllung des Wunsches Bayerns, als europäische Macht anerkannt zu werden,
winken. Talleyrand konnte sich bereits wieder schmeicheln, den Rhein als Grenze
Frankreich zurückzugewinnen.

Das Schlimmste sollte indeß doch nicht geschehen. Talleyrand und Metter¬
nich zwar arbeiteten mit unermüdlichem Eifer daran fort, Preußen gänzlich und
selbst von Nußland zu isoliren. Eastlereagh aber war endlich zu der Erkennt¬
niß gelangt, daß man in England einen bestätigten Frieden, nicht einen neuen
Krieg erwartete, und kaum drei Tage nach Unterzeichnung des Bündnisses mit
Frankreich und Oestreich begann er mündlich mit dem Kaiser Alexander über
Sachsen, von dem er jetzt einen bedeutenden Theil an Preußen übergeben ha¬
ben wollte, sowie über Polen, wo Rußland noch etwas mehr einräumen sollte,
zu unterhandeln. Unmittelbar darauf aber gab er auf Verlangen Rußlands und
Preußens als Entgeld für die von ihm und Merternich gewünschte förmliche
Anerkennung des Botschafters Frankreichs als stimmberechtigten Mitglieds auch
in den besonderen Conferenzen über Sachsen seine oft wiederholte Erklärung,
„daß man die Frage, wie Preußen durch einen Theil von Sachsen entschädigt
werden seUle, von der Entscheidung der Mächte und nicht von der Willkür des
Königs von Sachsen abhängig machen wolle", mit großer Bereitwilligkeit zu
Protokoll. Widerstrebend that Metternich desgleichen, und vergeblich blieben
alle Bemühungen, Castlereagh von Neuem umzustimmen, umsonst versuchte so¬
gar Kaiser Franz in unmittelbarer Besprechung den Vertreter Großbritanniens
für eine energische Durchführung des Bündnisses zu gewinnen. Ohne Geld¬
hilfe von England konnte Oestreich sich nicht wohl auf einen neuen Krieg ein-


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[0144] von Preußen besehe gehaltenen Königreichs Sachsen. Sofort trat eine, natür¬ lich geheim gehaltene Militaircommisfion zusammen, welche den Feldzugs- plan besprechen sollte. Letzterer war bald fertig: ein östreichisch-bayerisches Heer unter Wrede sollte von der Nordgrenze Böhmens in Sachsen einrücken, ein östreichisches Corps, in der Gegend von Teschen aufgestellt, Wien decken, ein französisches vom Rhein durch Franken nach der Elbe vordringen, ein aus Engländern, Niederländern und Hannoveranern zusammengesetztes endlich vom Niederrhein sich gegen die brandenburgischen Marke» in Bewegung setzen. Wie Castlereagh zu diesem Plan die Hand bieten konnte, der nicht gegen Rußlands drohende Uebermacht, sondern gegen Preußen und für Frankreichs Interesse entworfen war, bleibt gänzlich unerklärt. Wie Metternich nicht be¬ griff, daß Frankreichs Heere, einmal wieder siegreich mitten in Deutschland stehend, die Hoffnung des Staatskanzlers aus Bildung eines deutschen Bundes unter Oestreichs Führung vereiteln, daß sie den Rheinbund wiederherstellen mußten, ist ebenfalls schwer zu begreifen. Mit ganz unbedingter Befriedigung konnten nur Wrede und ^ Talleyrand die kriegerischen Aussichten, die-sich er¬ öffneten, begrüßen. Jener sah neben den Zielen seines persönlichen Ehrgeizes Erfüllung des Wunsches Bayerns, als europäische Macht anerkannt zu werden, winken. Talleyrand konnte sich bereits wieder schmeicheln, den Rhein als Grenze Frankreich zurückzugewinnen. Das Schlimmste sollte indeß doch nicht geschehen. Talleyrand und Metter¬ nich zwar arbeiteten mit unermüdlichem Eifer daran fort, Preußen gänzlich und selbst von Nußland zu isoliren. Eastlereagh aber war endlich zu der Erkennt¬ niß gelangt, daß man in England einen bestätigten Frieden, nicht einen neuen Krieg erwartete, und kaum drei Tage nach Unterzeichnung des Bündnisses mit Frankreich und Oestreich begann er mündlich mit dem Kaiser Alexander über Sachsen, von dem er jetzt einen bedeutenden Theil an Preußen übergeben ha¬ ben wollte, sowie über Polen, wo Rußland noch etwas mehr einräumen sollte, zu unterhandeln. Unmittelbar darauf aber gab er auf Verlangen Rußlands und Preußens als Entgeld für die von ihm und Merternich gewünschte förmliche Anerkennung des Botschafters Frankreichs als stimmberechtigten Mitglieds auch in den besonderen Conferenzen über Sachsen seine oft wiederholte Erklärung, „daß man die Frage, wie Preußen durch einen Theil von Sachsen entschädigt werden seUle, von der Entscheidung der Mächte und nicht von der Willkür des Königs von Sachsen abhängig machen wolle", mit großer Bereitwilligkeit zu Protokoll. Widerstrebend that Metternich desgleichen, und vergeblich blieben alle Bemühungen, Castlereagh von Neuem umzustimmen, umsonst versuchte so¬ gar Kaiser Franz in unmittelbarer Besprechung den Vertreter Großbritanniens für eine energische Durchführung des Bündnisses zu gewinnen. Ohne Geld¬ hilfe von England konnte Oestreich sich nicht wohl auf einen neuen Krieg ein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/144>, abgerufen am 15.01.2025.