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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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durch hochfahrendes Auftreten den Engländern so zu imponiren. daß sie den
anfangs erhobenen Einspruch gegen Zulassung Dalbergs als Vertreters Frank¬
reichs in derselben fallen ließen.

Bei dieser Lage der Dinge konnten die besonderen Konferenzen, zu denen
in den letzten Tagen des Jahres 1814 die Repräsentanten der vier gegen
Napoleon verbündet gewesenen Großmächte zusammentraten, die sächsische Frage,
kaum rasch zur Lösung bringen. Die Wendung aber, welche sie gleich in der
ersten Sitzung, den 29. December nahm, war sicher für mehr als einen der Be¬
theiligten höchlich überraschend. Metternich eröffnete dieselbe mit einem Vor¬
trag, in welchem er die sächsische Frage sür eine europäische erklärte, welche
nur mit Zustimmung aller großen Mächte, also auch Frankreichs und --
des Königs von Sachsen entschieden werden könne. Hardenberg erwi¬
derte darauf, unter der Voraussetzung, daß Kaiser Franz die Zustimmung
des Königs von Sachsen wirklich als unerläßlich verlange, müsse er vor
aller weiteren Unterhandlung neue Jnstructionen von seinem Herrn einholen.
Metternich entgegnete. daß England seine Ansicht theile, und stehe da, zu seinem
großen Erstaunen läugnete dies Castlereagh, versprach alle billigen Vorschläge
Preußens zu unterstützen und erklärte, nie darein zu willigen, daß der König
von Sachsen zum Herrn der Frage gemacht werde. Als die Vertreter Ru߬
lands äußerten, daß sie beauftragt seien, alle billigen Forderungen Preußens
zu befürworten, fragte Metternich, ob ein besonderes Bündniß zwischen Preußen
und Rußland bestehe. Die Antwort lautete der Wahrheit gemäß- Nein.
Metternich und Castlereagh verlangten darauf die Zulassung Talleurands zu
den Konferenzen, dieselbe wurde jedoch von den Repräsentanten Preußens und
Rußlands als vertragswidrig abgelehnt. So trennte man sich ohne Ergebniß,
und ebenso fruchtlos blieben die Konferenzen der beiden folgenden Tage, in
denen die obenerwähnten vorläufigen Artikel Alexanders vorgelegt wurde".

Dagegen geschah, was nach der Erklärung Castlereaghs am 29. am we¬
nigsten zu erwarten war: gegen Preußen und Rußland wurde insgeheim ein
mächtiger Bund geschlossen, dem auch England beitrat. Hardenberg hatte in
einer der Conferenzen geäußert: Preußen werde seine Rechte zu wahren wissen.
Castlereagh fühlte sich dadurch verletzt, und Talleyrand wußte diese Empfind¬
lichkeit, welcher die Nachricht von der Beendigung des Kriegs zwischen Gro߬
britannien und Nordamerika mehr Selbstgefühl und Muth verlieh, für seine
Zwecke auszubeuten. Am 3. Januar 181S wurden die Artikel dieses Bundes,
der zur Abwehr "neuerdings kundgegebener Ansprüche" geschlossen wurde,
und dem später Bayern. Hannover, die Niederlande, Sardinien und Hessen-
Darmstadt. beitraten, von Metternich, Castlereagh und Talleyrand unter¬
zeichnet. Daß derselbe blos defensive Zwecke haben sollte, war bloße diplo¬
matische Redensart. Sein eigentlicher Zweck war die Wiedereroberung des


durch hochfahrendes Auftreten den Engländern so zu imponiren. daß sie den
anfangs erhobenen Einspruch gegen Zulassung Dalbergs als Vertreters Frank¬
reichs in derselben fallen ließen.

Bei dieser Lage der Dinge konnten die besonderen Konferenzen, zu denen
in den letzten Tagen des Jahres 1814 die Repräsentanten der vier gegen
Napoleon verbündet gewesenen Großmächte zusammentraten, die sächsische Frage,
kaum rasch zur Lösung bringen. Die Wendung aber, welche sie gleich in der
ersten Sitzung, den 29. December nahm, war sicher für mehr als einen der Be¬
theiligten höchlich überraschend. Metternich eröffnete dieselbe mit einem Vor¬
trag, in welchem er die sächsische Frage sür eine europäische erklärte, welche
nur mit Zustimmung aller großen Mächte, also auch Frankreichs und —
des Königs von Sachsen entschieden werden könne. Hardenberg erwi¬
derte darauf, unter der Voraussetzung, daß Kaiser Franz die Zustimmung
des Königs von Sachsen wirklich als unerläßlich verlange, müsse er vor
aller weiteren Unterhandlung neue Jnstructionen von seinem Herrn einholen.
Metternich entgegnete. daß England seine Ansicht theile, und stehe da, zu seinem
großen Erstaunen läugnete dies Castlereagh, versprach alle billigen Vorschläge
Preußens zu unterstützen und erklärte, nie darein zu willigen, daß der König
von Sachsen zum Herrn der Frage gemacht werde. Als die Vertreter Ru߬
lands äußerten, daß sie beauftragt seien, alle billigen Forderungen Preußens
zu befürworten, fragte Metternich, ob ein besonderes Bündniß zwischen Preußen
und Rußland bestehe. Die Antwort lautete der Wahrheit gemäß- Nein.
Metternich und Castlereagh verlangten darauf die Zulassung Talleurands zu
den Konferenzen, dieselbe wurde jedoch von den Repräsentanten Preußens und
Rußlands als vertragswidrig abgelehnt. So trennte man sich ohne Ergebniß,
und ebenso fruchtlos blieben die Konferenzen der beiden folgenden Tage, in
denen die obenerwähnten vorläufigen Artikel Alexanders vorgelegt wurde».

Dagegen geschah, was nach der Erklärung Castlereaghs am 29. am we¬
nigsten zu erwarten war: gegen Preußen und Rußland wurde insgeheim ein
mächtiger Bund geschlossen, dem auch England beitrat. Hardenberg hatte in
einer der Conferenzen geäußert: Preußen werde seine Rechte zu wahren wissen.
Castlereagh fühlte sich dadurch verletzt, und Talleyrand wußte diese Empfind¬
lichkeit, welcher die Nachricht von der Beendigung des Kriegs zwischen Gro߬
britannien und Nordamerika mehr Selbstgefühl und Muth verlieh, für seine
Zwecke auszubeuten. Am 3. Januar 181S wurden die Artikel dieses Bundes,
der zur Abwehr „neuerdings kundgegebener Ansprüche" geschlossen wurde,
und dem später Bayern. Hannover, die Niederlande, Sardinien und Hessen-
Darmstadt. beitraten, von Metternich, Castlereagh und Talleyrand unter¬
zeichnet. Daß derselbe blos defensive Zwecke haben sollte, war bloße diplo¬
matische Redensart. Sein eigentlicher Zweck war die Wiedereroberung des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/143>, abgerufen am 24.01.2025.