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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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Desto besser gefiel Metternichs "vertrauliche" Denkschrift dem Vertreter
Frankreichs, der sie am 19. December ausführlich beantwortete. In dieser Note
sagte er sich nach einigen Phrasen von der Uneigennützigkeit Frankreichs förm¬
lich von jedem eignen Antheil an der Ordnung der polnischen Sache los. um
die sächsische dafür um so stärker zu betonen. In den Verfügungen, die man
hinsichtlich dieses Königreichs habe treffen wollen, seien die Principien der Legi¬
timität sowohl als die Grundlagen des Gleichgewichts aufs äußerste gefährdet.
"Um diese Verfügungen als gerecht anzuerkennen, müßte man für wahr an¬
erkennen, daß über Könige Gericht gehalten werden, daß der sie richten könne,
der sich ihrer Besitzungen bemächtigen will, daß sie verurtheilt werden dürfen,
ohne gehört worden zu sein, daß in ihre Verurtheilung ihre Familie und ihre
Völker nothwendig mit einbegriffen seien; daß -- die Confiscation, welche
alle civilisirten Nationen aus ihren Gesetzbüchern verbannt haben, im neun¬
zehnten Jahrhundert durch das allgemeine Recht Europas geheiligt weiden
muß" u. s. w.

Dann meint die Note, das Gleichgewicht sei gestört, wenn Preußen durch
ganz Sachsen vergrößert werde; denn dieser Staat erhalte dann eine ganz un-
verhältnißmäßige Angriffsmacht gegen Böhmen, und inmitten des deutschen
Staatenkörpcrs entstehe für eines der Glieder eine Offensivkraft, die außer allem
Vergleich mit der Dcfensivkraft der übrigen stände. Zum Schluß erklärte Talley-
rand, man müsse nicht fragen, wieviel Preußen dem König von Sachsen zurück¬
geben, sondern vielmehr, wieviel dieser an Preußen abtreten werde, und da
scheine in Metternichs Vorschlägen das rechte Maß getroffen.

Eine neue Denkschrift Hardenbergs, die am 20. December dem Fürsten
Metternich und Lord Castlereagh zugesendet wurde, lehnte mit Berufung auf
die Interessen der Völker jede Theilung Sachsens ab, versprach, um Oestreich
zu beruhigen, daß Dresden nicht befestigt werden sollte, und forderte wieder¬
holt, daß Mainz Bundcsfestung werde. Zum Schluß schlug diese Note vor.
den König Friedrich August mit 700,000 ..Seelen" auf dem linken Rheinufer
zu entschädigen -- ein Gedanke, den man als einen sehr unglücklichen bezeich¬
nen muß, und der ebenfalls zu den Beweisen gehört, daß auch dem preußischen
Staatskanzler in vielen Beziehungen der Blick für die gemeinsamen Interessen
Deutschlands mangelte.

Suchte man mit dieser Concession preuhischcrseits dem Bruch vorzubeugen, so
zeigte jetzt' auch Alexander sich zu weiteren Zugeständnissen bereit, indem er in
seinem Cabinet eine Reihe von Artikeln ausarbeiten ließ, von welchen die fer¬
neren Unterhandlungen ausgehen sollten, und in denen er sich anheischig
machte, an Oestreich den tarnopolcr Kreis mit 400.000 Seelen, sowie die
Hälfte der Salzwerke von Wieliczka abzutreten. während Preußen die Prvsna
als Grenze erhalten sollte. Aber freilich schlossen sich hieran wieder sehr libe-


Desto besser gefiel Metternichs „vertrauliche" Denkschrift dem Vertreter
Frankreichs, der sie am 19. December ausführlich beantwortete. In dieser Note
sagte er sich nach einigen Phrasen von der Uneigennützigkeit Frankreichs förm¬
lich von jedem eignen Antheil an der Ordnung der polnischen Sache los. um
die sächsische dafür um so stärker zu betonen. In den Verfügungen, die man
hinsichtlich dieses Königreichs habe treffen wollen, seien die Principien der Legi¬
timität sowohl als die Grundlagen des Gleichgewichts aufs äußerste gefährdet.
„Um diese Verfügungen als gerecht anzuerkennen, müßte man für wahr an¬
erkennen, daß über Könige Gericht gehalten werden, daß der sie richten könne,
der sich ihrer Besitzungen bemächtigen will, daß sie verurtheilt werden dürfen,
ohne gehört worden zu sein, daß in ihre Verurtheilung ihre Familie und ihre
Völker nothwendig mit einbegriffen seien; daß — die Confiscation, welche
alle civilisirten Nationen aus ihren Gesetzbüchern verbannt haben, im neun¬
zehnten Jahrhundert durch das allgemeine Recht Europas geheiligt weiden
muß" u. s. w.

Dann meint die Note, das Gleichgewicht sei gestört, wenn Preußen durch
ganz Sachsen vergrößert werde; denn dieser Staat erhalte dann eine ganz un-
verhältnißmäßige Angriffsmacht gegen Böhmen, und inmitten des deutschen
Staatenkörpcrs entstehe für eines der Glieder eine Offensivkraft, die außer allem
Vergleich mit der Dcfensivkraft der übrigen stände. Zum Schluß erklärte Talley-
rand, man müsse nicht fragen, wieviel Preußen dem König von Sachsen zurück¬
geben, sondern vielmehr, wieviel dieser an Preußen abtreten werde, und da
scheine in Metternichs Vorschlägen das rechte Maß getroffen.

Eine neue Denkschrift Hardenbergs, die am 20. December dem Fürsten
Metternich und Lord Castlereagh zugesendet wurde, lehnte mit Berufung auf
die Interessen der Völker jede Theilung Sachsens ab, versprach, um Oestreich
zu beruhigen, daß Dresden nicht befestigt werden sollte, und forderte wieder¬
holt, daß Mainz Bundcsfestung werde. Zum Schluß schlug diese Note vor.
den König Friedrich August mit 700,000 ..Seelen" auf dem linken Rheinufer
zu entschädigen — ein Gedanke, den man als einen sehr unglücklichen bezeich¬
nen muß, und der ebenfalls zu den Beweisen gehört, daß auch dem preußischen
Staatskanzler in vielen Beziehungen der Blick für die gemeinsamen Interessen
Deutschlands mangelte.

Suchte man mit dieser Concession preuhischcrseits dem Bruch vorzubeugen, so
zeigte jetzt' auch Alexander sich zu weiteren Zugeständnissen bereit, indem er in
seinem Cabinet eine Reihe von Artikeln ausarbeiten ließ, von welchen die fer¬
neren Unterhandlungen ausgehen sollten, und in denen er sich anheischig
machte, an Oestreich den tarnopolcr Kreis mit 400.000 Seelen, sowie die
Hälfte der Salzwerke von Wieliczka abzutreten. während Preußen die Prvsna
als Grenze erhalten sollte. Aber freilich schlossen sich hieran wieder sehr libe-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/141>, abgerufen am 15.01.2025.