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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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lion Einwohner mit Dresden verbleiben müsse. Casilercagh widersprach nickt.
Hard'enberg aber lehnte jede Theilung Sachsens und ebenso die Uebergabe von
Mainz an Bayern ab, wogegen er sich bereit erklärte, die Vermittelung mit
Nußland zu übernehmen.

In einem amtlichen Schreiben vom 14. November forderte Metternich den
preußischen Staatskanzler auf, von Rußland eine Erklärung zu erwirken, auf
welche Grenzen es in Polen bestehe und welche Bürgschaften es für Erkaltung
der Ruhe bieten könne, falls das russische Polen eine Verfassung erluelte.
Hardenberg war dazu bereit, obwohl es eine undankbare Rolle war, in der
man Gefahr lief, nach keiner Seite hin zu befriedigen.

Der Gedanke an eine Theilung Sachsens trat jetzt immer entschiedener
in den Vordergrund. Nicht blos Oestreich, sondern auch Talleyrand (der sie
als Gebietsabtretung, zu der sich der König von Sachsen herbeilassen könne,
aufgefaßt haben wollte), Münster und Wrede waren dafür, und zwar, wie wir
sogleich sehen werden, nicht ohne ziemlich gute Gründe. Die Theilung eines
Gebiets, welches lange Zeit ein organisches Ganze gebildet, mußte viele und
bedeutende Interessen der Bewohner desselben verletzen, und so waren beide
Parteien, die sich in Sachsen gegenüberstanden, darüber einig, daß eine Zer¬
reißung des Landes nicht wünschenswert^ sei. Die Deutschgesinnten, deren
Vaterlandsliebe sich auf das Land bezog, waren unter der Voraussetzung, daß
es beisammcnblieb, mit seiner Einverleibung in Preußen zufrieden. Die an
Zahl jedenfalls schwächere Hofpartei, für welche die Dynastie Hauptgegenstand
der Pietät war, verlangte natürlich den Glanz des sächsischen Hauses un¬
geschmälert wiederhergestellt zu sehen. Die Gegner Preußens wollten die Thei¬
lung im Hinblick aus die Unzufriedenheit, die sie hervorrufen mußte, und die
mit gewissen Berechnungen für die Zukunft in Verbindung stehen mochte. Man
hoffte aber damit unhaltbare Verhältnisse zu schaffen, wie Kaiser Franz in
einem Gespräch mit Karl August von Weimar deutlich verrieth. Letzterer setzte
die Nachtheile auseinander, welche für das Land aus einer Zertrennung er>
wachsen müßten. Franz tröstete: die beschlossene Theilung sei doch das Beste;
der Großherzog verstehe das nicht, gerade wenn das Land getheilt würde,
komme es am ersten wieder zusammen.

Preußen lehnte die Theilung ab, indem es sich auf die Interessen des
Landes berief, und bot dem König Friedrich August eine Entschädigung in
Westphalen. Die russischen Staatsmänner erklärten in dem liberalen Sinn ih-
res Kaisers: da nun'einmal Jemand verletzt werden müsse, sei ein Unheil, wel¬
ches die Dynastie betreffe, jedenfalls dem Unglück des Landes vorzuziehen.
Auch Alexander schien fest in seinem Entschluß, und da von Rüstungen Frank¬
reichs, von Truppenbewegungen in Oestreich die Rede war. ließ auch er es uicht
"n Demonstrationen fehlen. Namentlich wurde eine Vermehrung der polnischen


lion Einwohner mit Dresden verbleiben müsse. Casilercagh widersprach nickt.
Hard'enberg aber lehnte jede Theilung Sachsens und ebenso die Uebergabe von
Mainz an Bayern ab, wogegen er sich bereit erklärte, die Vermittelung mit
Nußland zu übernehmen.

In einem amtlichen Schreiben vom 14. November forderte Metternich den
preußischen Staatskanzler auf, von Rußland eine Erklärung zu erwirken, auf
welche Grenzen es in Polen bestehe und welche Bürgschaften es für Erkaltung
der Ruhe bieten könne, falls das russische Polen eine Verfassung erluelte.
Hardenberg war dazu bereit, obwohl es eine undankbare Rolle war, in der
man Gefahr lief, nach keiner Seite hin zu befriedigen.

Der Gedanke an eine Theilung Sachsens trat jetzt immer entschiedener
in den Vordergrund. Nicht blos Oestreich, sondern auch Talleyrand (der sie
als Gebietsabtretung, zu der sich der König von Sachsen herbeilassen könne,
aufgefaßt haben wollte), Münster und Wrede waren dafür, und zwar, wie wir
sogleich sehen werden, nicht ohne ziemlich gute Gründe. Die Theilung eines
Gebiets, welches lange Zeit ein organisches Ganze gebildet, mußte viele und
bedeutende Interessen der Bewohner desselben verletzen, und so waren beide
Parteien, die sich in Sachsen gegenüberstanden, darüber einig, daß eine Zer¬
reißung des Landes nicht wünschenswert^ sei. Die Deutschgesinnten, deren
Vaterlandsliebe sich auf das Land bezog, waren unter der Voraussetzung, daß
es beisammcnblieb, mit seiner Einverleibung in Preußen zufrieden. Die an
Zahl jedenfalls schwächere Hofpartei, für welche die Dynastie Hauptgegenstand
der Pietät war, verlangte natürlich den Glanz des sächsischen Hauses un¬
geschmälert wiederhergestellt zu sehen. Die Gegner Preußens wollten die Thei¬
lung im Hinblick aus die Unzufriedenheit, die sie hervorrufen mußte, und die
mit gewissen Berechnungen für die Zukunft in Verbindung stehen mochte. Man
hoffte aber damit unhaltbare Verhältnisse zu schaffen, wie Kaiser Franz in
einem Gespräch mit Karl August von Weimar deutlich verrieth. Letzterer setzte
die Nachtheile auseinander, welche für das Land aus einer Zertrennung er>
wachsen müßten. Franz tröstete: die beschlossene Theilung sei doch das Beste;
der Großherzog verstehe das nicht, gerade wenn das Land getheilt würde,
komme es am ersten wieder zusammen.

Preußen lehnte die Theilung ab, indem es sich auf die Interessen des
Landes berief, und bot dem König Friedrich August eine Entschädigung in
Westphalen. Die russischen Staatsmänner erklärten in dem liberalen Sinn ih-
res Kaisers: da nun'einmal Jemand verletzt werden müsse, sei ein Unheil, wel¬
ches die Dynastie betreffe, jedenfalls dem Unglück des Landes vorzuziehen.
Auch Alexander schien fest in seinem Entschluß, und da von Rüstungen Frank¬
reichs, von Truppenbewegungen in Oestreich die Rede war. ließ auch er es uicht
"n Demonstrationen fehlen. Namentlich wurde eine Vermehrung der polnischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/133>, abgerufen am 15.01.2025.