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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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menschliche Rechte" zu nennen beliebten. Es war unter diesen Regierungen
keine einzige, welche nicht mit Napoleons Hilfe ehemals .gleichberechtigte
Mitstande im Reich zu ihren Vasallen gemacht hätte -- die Vereinigung eines
in ehrlichem Kriege eroberten Landes mit Preußen aber war nach ihnen ein
Verbrechen gegen Gott und Menschen.

In rascher Folge erschienen eine Menge gegen Preußen gerichteter Zeitungs¬
artikel und Flugschriften, die meist in einem Tone energischer Gemeinheit ge¬
halten waren, der allen Glauben übersteigt, und unter denen die im Auftrag
des bayerischen Ministers Montgelas von einem früheren Spion Napoleons
in Deutschland, dem Freiherrn v. Arelim schmutzigen Angedenkens verfaßten als
vor allen niederträchtig glänzten.

Die Aufregung, die sich so in Schrift und Rede kundgab, steigerte sich,
als in Wien die Nachricht eintraf, die Verwaltung Sachsens sei von Repnin
am 8. November preußischen Bevollmächtigten übergeben worden. Die Sache
war ganz in der Ordnung; denn sie gründete sich auf ein früheres Ueberein¬
kommen Rußlands und Preußens, dem England und Oestreich beigestimmt hat¬
ten. Nichtsdestoweniger schrien die Vertreter der Rheinbundsstaaten, die ganz
unbetheiligt waren, darüber als über eine neue grauenvolle Rechtsverletzung,
und kam es in den allgemeinen Angelegenheiten auch zuletzt auf die Großmächte
an, so war die feindselige Stimmung dieser untergeordneten Kreise doch nicht
ganz ohne Bedeutung, Für Talleyrands Pläne auf die Gestaltung Deutsch¬
lands war sie sogar von großem Werth; denn hier war gerade dieser unsaubere
Geist Bedingung des Gelingens. .

Neben dieser leidenschaftlich bewegten diplomatischen Thätigkeit hinter den
Coulissen blieb die formelle amtliche Arbeit des Congresses, der am 2. Novem¬
ber eröffnet worden, in Wirklichkeit zunächst nur ein leeres Scheinwesen, und
selbst die Konferenzen des "Comites der Acht", des Ausschusses der leitenden
Mächte, wurden zur bloßen Formsache; denn auch diese Centralbehörde des
Congresses hatte nichts weiter zu thun, als festzustellen und zu registriren, was
außerhalb ihrer Sitzungen in geheimen Besprechungen oder in besonderem Schrift¬
wechsel von Cabinet zu Cabinet zum Beschluß geworden war. Sogar die
Denkschriften, welche die Mächte im Verlauf der Verhandlungen an einander
richteten, waren fast nur der darin angekündigten Absichten halber wichtig und
beachtenswert!), viel weniger, wie Bernhardi mit Recht gegen ein berühmtes
und bändereiches Werk hervorhebt, wegen der Gründe, mit denen man seine
Forderungen rechtfertigte. "Zu Wien," sagt er, "wie überall im Leben wurde
der Lauf der Dinge nicht durch abstracte Doctrin und objective Anschauungen
bestimmt, sondern durch die lebendigen Leidenschaften der Menschen und
streitende, wohl oder übel verstandene, immer aber sehr reale Interessen",
und jene Gründe wurden meist in Advocatenmcmier nachträglich!, den be-


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menschliche Rechte" zu nennen beliebten. Es war unter diesen Regierungen
keine einzige, welche nicht mit Napoleons Hilfe ehemals .gleichberechtigte
Mitstande im Reich zu ihren Vasallen gemacht hätte — die Vereinigung eines
in ehrlichem Kriege eroberten Landes mit Preußen aber war nach ihnen ein
Verbrechen gegen Gott und Menschen.

In rascher Folge erschienen eine Menge gegen Preußen gerichteter Zeitungs¬
artikel und Flugschriften, die meist in einem Tone energischer Gemeinheit ge¬
halten waren, der allen Glauben übersteigt, und unter denen die im Auftrag
des bayerischen Ministers Montgelas von einem früheren Spion Napoleons
in Deutschland, dem Freiherrn v. Arelim schmutzigen Angedenkens verfaßten als
vor allen niederträchtig glänzten.

Die Aufregung, die sich so in Schrift und Rede kundgab, steigerte sich,
als in Wien die Nachricht eintraf, die Verwaltung Sachsens sei von Repnin
am 8. November preußischen Bevollmächtigten übergeben worden. Die Sache
war ganz in der Ordnung; denn sie gründete sich auf ein früheres Ueberein¬
kommen Rußlands und Preußens, dem England und Oestreich beigestimmt hat¬
ten. Nichtsdestoweniger schrien die Vertreter der Rheinbundsstaaten, die ganz
unbetheiligt waren, darüber als über eine neue grauenvolle Rechtsverletzung,
und kam es in den allgemeinen Angelegenheiten auch zuletzt auf die Großmächte
an, so war die feindselige Stimmung dieser untergeordneten Kreise doch nicht
ganz ohne Bedeutung, Für Talleyrands Pläne auf die Gestaltung Deutsch¬
lands war sie sogar von großem Werth; denn hier war gerade dieser unsaubere
Geist Bedingung des Gelingens. .

Neben dieser leidenschaftlich bewegten diplomatischen Thätigkeit hinter den
Coulissen blieb die formelle amtliche Arbeit des Congresses, der am 2. Novem¬
ber eröffnet worden, in Wirklichkeit zunächst nur ein leeres Scheinwesen, und
selbst die Konferenzen des „Comites der Acht", des Ausschusses der leitenden
Mächte, wurden zur bloßen Formsache; denn auch diese Centralbehörde des
Congresses hatte nichts weiter zu thun, als festzustellen und zu registriren, was
außerhalb ihrer Sitzungen in geheimen Besprechungen oder in besonderem Schrift¬
wechsel von Cabinet zu Cabinet zum Beschluß geworden war. Sogar die
Denkschriften, welche die Mächte im Verlauf der Verhandlungen an einander
richteten, waren fast nur der darin angekündigten Absichten halber wichtig und
beachtenswert!), viel weniger, wie Bernhardi mit Recht gegen ein berühmtes
und bändereiches Werk hervorhebt, wegen der Gründe, mit denen man seine
Forderungen rechtfertigte. „Zu Wien," sagt er, „wie überall im Leben wurde
der Lauf der Dinge nicht durch abstracte Doctrin und objective Anschauungen
bestimmt, sondern durch die lebendigen Leidenschaften der Menschen und
streitende, wohl oder übel verstandene, immer aber sehr reale Interessen",
und jene Gründe wurden meist in Advocatenmcmier nachträglich!, den be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/131>, abgerufen am 15.01.2025.