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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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darauf zu beschränken, ein Bündniß mit England zu gewinnen, seine Auf¬
nahme in die entscheidende europäische Conserenz und die Erhaltung Sachsens
zu verlangen, um Frankreich mittelbar zum Beschützer aller Kleinstaaten im
Herzens Europas hinzustellen. Er hoffte nun schon Preußen wie Oestreich vom
Rhein fernhalten und die dort herrenlos gewordenen Gebiete, besonders die
auf dem linken Ufer, ausschließlich an die kleinen deutschen Fürsten bringen zu
können, die Ursache hatten, Frankreich zu fürchten, und denen man als Ent¬
gelt für gehörige Fügsamkeit Schutz gegen die deutschen Großmächte und unter
Umständen selbst Vergrößerung auf deren Kosten versprechen konnte.

Ja Frankreich hoffte, wie ein von Bernhardt in ausführlicher Analyse
mitgetheilter sehr merkwürdiger Artikel der "Quotidienne" vom 7. November
1814 zeigt, noch weit mehr. Es dachte an einen deutschen Bund ohne Oestreich
und Preußen, selbstverständlich mit dem Hintergedanken, daß derselbe auf einen
neuen Rheinbund hinauslaufen müßte.

An der Verwirklichung dieser Pläne arbeiteten nun auch Metternich und
Castlereagh, der Oestreicher, obgleich erste bald durchschaute, ja, wie wir sehen
werden, aus verkehrter Feinheit gerade deswegen, der Brite aus einfacher
Bornirtheit. Doch waren beide zunächst noch nicht fügsam und entschlossen ge¬
nug, da beide und vorzüglich der östreichische Staatskanzler nicht ohne Sorge
vor einem Kampf mit Rußland und Preußen waren, bei dem Oestreich von
dem bourbonischen Frankreich nur einen sehr mäßigen Beistand zu erwarten
hatte. Besser zufrieden konnte Talleyrand mit dem Vertreter Bayerns, dem
Helden von Hanau sein, der in geräuschvollem Gepolter jedem, der Sachsen
retten wolle, die ganze Macht seines Herrn zur Verfügung stellte. Auch andere
Vertreter deutscher Kleinstaaten, durch den Zwist der Großen etwas weniger
unwichtig geworden und alle voll Neid und Haß gegen Preußen, hätten sich
benutzen lassen. So Münster, in dessen Kopf ein neuerdings wieder laut ge¬
wordenes Welscnreich spukte, so Hans v. Gagern, der einen Theil der Rhein
lande dem beabsichtigten deutschen Staatenbunde zu Gunsten der Niederlande
zu entfremden für patriotische Pflicht hielt, und so der König von Würtemberg,
der noch während des Winterfeldzugs in Frankreich mit Napoleon Briefe ge¬
wechselt und dem französischen Imperator im Voraus zu seinem "ueuröux ro
tour" nach Deutschland niederträchtiger Weise Glück gewünscht hatte, und der
eifrig bemüht war, sich von der Verpflichtung, in die Organisation Deutsch¬
lands als eines Ganzen zu willigen, loszumachen.

strebten auch die übrigen Rheinbundsregierungen nicht mit demselben Eifer
jedem möglichen deutschen Bunde zu entgehen, so zeigten sich doch alle voll von
jenem Haß und Neid gegen Preußen, den Schuldbeladener Staat, der arge Fre¬
vel verübt habe -- zwar nicht gegen ein gemeinsames deutsches Vaterland;
denn das kannten sie nicht -- wohl aber gegen das, was sie "göttliche und


darauf zu beschränken, ein Bündniß mit England zu gewinnen, seine Auf¬
nahme in die entscheidende europäische Conserenz und die Erhaltung Sachsens
zu verlangen, um Frankreich mittelbar zum Beschützer aller Kleinstaaten im
Herzens Europas hinzustellen. Er hoffte nun schon Preußen wie Oestreich vom
Rhein fernhalten und die dort herrenlos gewordenen Gebiete, besonders die
auf dem linken Ufer, ausschließlich an die kleinen deutschen Fürsten bringen zu
können, die Ursache hatten, Frankreich zu fürchten, und denen man als Ent¬
gelt für gehörige Fügsamkeit Schutz gegen die deutschen Großmächte und unter
Umständen selbst Vergrößerung auf deren Kosten versprechen konnte.

Ja Frankreich hoffte, wie ein von Bernhardt in ausführlicher Analyse
mitgetheilter sehr merkwürdiger Artikel der „Quotidienne" vom 7. November
1814 zeigt, noch weit mehr. Es dachte an einen deutschen Bund ohne Oestreich
und Preußen, selbstverständlich mit dem Hintergedanken, daß derselbe auf einen
neuen Rheinbund hinauslaufen müßte.

An der Verwirklichung dieser Pläne arbeiteten nun auch Metternich und
Castlereagh, der Oestreicher, obgleich erste bald durchschaute, ja, wie wir sehen
werden, aus verkehrter Feinheit gerade deswegen, der Brite aus einfacher
Bornirtheit. Doch waren beide zunächst noch nicht fügsam und entschlossen ge¬
nug, da beide und vorzüglich der östreichische Staatskanzler nicht ohne Sorge
vor einem Kampf mit Rußland und Preußen waren, bei dem Oestreich von
dem bourbonischen Frankreich nur einen sehr mäßigen Beistand zu erwarten
hatte. Besser zufrieden konnte Talleyrand mit dem Vertreter Bayerns, dem
Helden von Hanau sein, der in geräuschvollem Gepolter jedem, der Sachsen
retten wolle, die ganze Macht seines Herrn zur Verfügung stellte. Auch andere
Vertreter deutscher Kleinstaaten, durch den Zwist der Großen etwas weniger
unwichtig geworden und alle voll Neid und Haß gegen Preußen, hätten sich
benutzen lassen. So Münster, in dessen Kopf ein neuerdings wieder laut ge¬
wordenes Welscnreich spukte, so Hans v. Gagern, der einen Theil der Rhein
lande dem beabsichtigten deutschen Staatenbunde zu Gunsten der Niederlande
zu entfremden für patriotische Pflicht hielt, und so der König von Würtemberg,
der noch während des Winterfeldzugs in Frankreich mit Napoleon Briefe ge¬
wechselt und dem französischen Imperator im Voraus zu seinem „ueuröux ro
tour" nach Deutschland niederträchtiger Weise Glück gewünscht hatte, und der
eifrig bemüht war, sich von der Verpflichtung, in die Organisation Deutsch¬
lands als eines Ganzen zu willigen, loszumachen.

strebten auch die übrigen Rheinbundsregierungen nicht mit demselben Eifer
jedem möglichen deutschen Bunde zu entgehen, so zeigten sich doch alle voll von
jenem Haß und Neid gegen Preußen, den Schuldbeladener Staat, der arge Fre¬
vel verübt habe — zwar nicht gegen ein gemeinsames deutsches Vaterland;
denn das kannten sie nicht — wohl aber gegen das, was sie „göttliche und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/130>, abgerufen am 15.01.2025.