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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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und der Entwickelungsstufe einer Nation Vollkommen entsprechende Verfassung
die mit Recht an sie gestellte Forderung, zugleich ein Schirm der Freiheit und
ein Hebel zur Förderung der öffentlichen Wohlfahrt zu sein, nur dann erfüllen
kann, wenn auch die Regierung gewissenhaft bestrebt ist, nicht blos sich inner¬
halb der Grenzen des Buchstabens der Verfassung zu halten, sondern auch
in ihrem Geiste zu regieren, d. h, im Einverständnis; mit den durch die Ver¬
fassung constituirten Gewalten, und mit ihrer Unterstützung, nicht im Gegen¬
satz zu ihnen, die Quellen des materiellen Wohlstandes und der geistigen
und sittlichen Cultur zu öffnen. Dies war aber in Ungarn keineswegs der
Fall. Die östreichische Regierung war weit davon entfernt, in dem unga¬
rischen Reichstage ein Institut zu erblicken, mit dem sie in Eintracht zusammen¬
wirken müsse, um der ungarischen Nation alle Segnungen einer guten und auf¬
geklärten Verwaltung zu Theil werden zu lassen. An der Beglückung ihrer
ungarischen Unterthanen war ihr überhaupt nicht viel gelegen; vollends aber
den Reichstag zum Werkzeug der Beglückung zu machen, widerstrebte ihren An¬
schauungen ganz und gar. Denn gehörte auch die ungarische Verfassung keines¬
wegs in die Kategorie der modernen Constitutionen, die nach den Ansichten der
östreichischen Staatslenker unbedingt schädlich waren, ja konnte man hoffen, in
dem Reichstage einen Schirm wider die demokratischen Stimmungen des Jahr¬
hunderts zu finden, immer blieb sie für die Regierung eine Schranke, die man
zwar nicht niederreißen durfte, -- denn ein offener Verfassungsbruch erschien
dem Kaiser Franz ebenso verwerflich, revolutionär und gefährlich, wie dem
Fürsten Metternich, -- die man aber entschlossen war, als nicht vorhanden an¬
zusehen, so weit dies bei der argwöhnischen Sinnesart der Ungarn möglich
war. Natürlich wurde, je klarer dies Bestreben hervortrat, um so mehr auch
das an sich schon reizbare Mißtrauen der Ungarn in Allem, was ihre Verfassung
betraf, bis zur leidenschaftlichsten Empfindlichkeit gesteigert.

Diese Empfindlichkeit, dies Mißtrauen, war um so mehr gerechtfertigt, da
die Negierung Leopold des Zweiten wohl im Allgemeinen die josephinischen
Verfassungvcrletzungen rückgängig gemacht harte, aber doch keineswegs Neigung
zeigte, die Verfassung in vollem Umfange wiederherzustellen und sich, wenn wir
so sagen dürfen, mit ihrem Geiste zu erfüllen. Sie hatte der brausenden Be¬
wegung der Comitatsversammlungen, dieser tumultuircnden und leidenschaft¬
lichen, zugleich aber patriotischen und von stolzem Unabhängigteitsgefühl erfüllten
Körperschaften, die die breite Grundlage der Verfassung bildeten, den Sinn für
Verfassungsicbcn in die weitesten Kreise trugen und mehr als einmal die Rechte
und Freiheiten des Landes retteten, nachgegeben und die Wicdereinbcru-
fung des Reichstages versprochen und auch ausgeführt. Allen Beschwerden der
Ungarn gerecht zu werden, war sie jedoch nicht geneigt. Die Gründung einer
vom ungarischen Reichstage unabhängigen illyrischen Kanzlei, die Bildung der


und der Entwickelungsstufe einer Nation Vollkommen entsprechende Verfassung
die mit Recht an sie gestellte Forderung, zugleich ein Schirm der Freiheit und
ein Hebel zur Förderung der öffentlichen Wohlfahrt zu sein, nur dann erfüllen
kann, wenn auch die Regierung gewissenhaft bestrebt ist, nicht blos sich inner¬
halb der Grenzen des Buchstabens der Verfassung zu halten, sondern auch
in ihrem Geiste zu regieren, d. h, im Einverständnis; mit den durch die Ver¬
fassung constituirten Gewalten, und mit ihrer Unterstützung, nicht im Gegen¬
satz zu ihnen, die Quellen des materiellen Wohlstandes und der geistigen
und sittlichen Cultur zu öffnen. Dies war aber in Ungarn keineswegs der
Fall. Die östreichische Regierung war weit davon entfernt, in dem unga¬
rischen Reichstage ein Institut zu erblicken, mit dem sie in Eintracht zusammen¬
wirken müsse, um der ungarischen Nation alle Segnungen einer guten und auf¬
geklärten Verwaltung zu Theil werden zu lassen. An der Beglückung ihrer
ungarischen Unterthanen war ihr überhaupt nicht viel gelegen; vollends aber
den Reichstag zum Werkzeug der Beglückung zu machen, widerstrebte ihren An¬
schauungen ganz und gar. Denn gehörte auch die ungarische Verfassung keines¬
wegs in die Kategorie der modernen Constitutionen, die nach den Ansichten der
östreichischen Staatslenker unbedingt schädlich waren, ja konnte man hoffen, in
dem Reichstage einen Schirm wider die demokratischen Stimmungen des Jahr¬
hunderts zu finden, immer blieb sie für die Regierung eine Schranke, die man
zwar nicht niederreißen durfte, — denn ein offener Verfassungsbruch erschien
dem Kaiser Franz ebenso verwerflich, revolutionär und gefährlich, wie dem
Fürsten Metternich, — die man aber entschlossen war, als nicht vorhanden an¬
zusehen, so weit dies bei der argwöhnischen Sinnesart der Ungarn möglich
war. Natürlich wurde, je klarer dies Bestreben hervortrat, um so mehr auch
das an sich schon reizbare Mißtrauen der Ungarn in Allem, was ihre Verfassung
betraf, bis zur leidenschaftlichsten Empfindlichkeit gesteigert.

Diese Empfindlichkeit, dies Mißtrauen, war um so mehr gerechtfertigt, da
die Negierung Leopold des Zweiten wohl im Allgemeinen die josephinischen
Verfassungvcrletzungen rückgängig gemacht harte, aber doch keineswegs Neigung
zeigte, die Verfassung in vollem Umfange wiederherzustellen und sich, wenn wir
so sagen dürfen, mit ihrem Geiste zu erfüllen. Sie hatte der brausenden Be¬
wegung der Comitatsversammlungen, dieser tumultuircnden und leidenschaft¬
lichen, zugleich aber patriotischen und von stolzem Unabhängigteitsgefühl erfüllten
Körperschaften, die die breite Grundlage der Verfassung bildeten, den Sinn für
Verfassungsicbcn in die weitesten Kreise trugen und mehr als einmal die Rechte
und Freiheiten des Landes retteten, nachgegeben und die Wicdereinbcru-
fung des Reichstages versprochen und auch ausgeführt. Allen Beschwerden der
Ungarn gerecht zu werden, war sie jedoch nicht geneigt. Die Gründung einer
vom ungarischen Reichstage unabhängigen illyrischen Kanzlei, die Bildung der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/13>, abgerufen am 15.01.2025.