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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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in der östreichischen Politik zu mastiren. die wirklich Politische Idee einer
Staatseinigung aufzugeben. Darin aber haben sie vollkommen Recht, daß
ihrem Wesen nach das Ncformprvject und die Gesammtstaatsidee mit einander
unvereinbar sind. Die letztere erfordert zu ihrem Gelingen eine Auseinander¬
setzung mit Deutschland, nicht aber eine Verflechtung mit den deutschen Be¬
strebungen, die ganz unberechenbare Reibungen mit Preußen in Aussicht stellt.
Jeder Versuch Oestreichs, sich der deutschen Bewegung zu bemächtigen, wird
daher in den Ungar" die Hoffnung auf ein baldiges Fallenlassen aller Cen¬
tralisationsentwürfe erwecken und ihnen zugleich den erwünschten Borwand
bieten, den Wahlen zum Reichsrath den äußersten Widerstand entgegenzusetzen.

Oestreich (ich rede nicht blos von der Negierung, sondern auch von der
deutschen Bevölkerung) glaubt, um seine Culturverbindung mit Deutschland aufrecht
zu erhalten, Deutschland beherrschen zu müssen. Dies wird ihm auf die Dauer
niemals gelingen; wohl aber ist es in Gefahr, über diesem Streben seine Cultur¬
mission in Ungarn und den slavischen Ländern zu verlieren. Was wird die Folge
davon sein? Ungarn, zwischen Deutschen und Slaven eingeschlossen, wird bei dem
ersten großen Aufschwung, den das Slaventhum in Südosteuropa nimmt, von der
slavischen Bewegung fortgerissen werden; es wird von der germanischen Staa-
tengtuvpe getrennt, den russischen Tendenzen zu dienen gezwungen werden.

Will Oestreich dieser Gefahr vorbeugen, so muß es unbedingt seiner deut¬
schen Politik entsagen; es muß Ungarn dadurch seiner Jsolirung entreißen,
daß es dasselbe zum Träger einer großen historischen Aufgabe macht, die eben¬
so den deutschen, wie den östreichisch-magyarischen Interessen entspricht. Es muß
Rußland auf dem Felde entgegentreten, auf dem es von der vordringenden
russischen Macht am meisten bedroht wird, auf dem es aber auch die einzigen
entscheidenden Erfolge über sie davontragen und unverwelkliche Lorbeeren er¬
werben kann. Auf diesem Wege wird es das große Alliancesystem vorbereiten,
welches allein im Stande ist, der langsam, aber sicher sich entwickelnden fran-
zösisch-russtschcn Alliance Widerstand zu leisten; auf diese Weise wird es den
Dualismus überwinden, der sein weites und reiches Gebiet zu einem Heer¬
lager streitender Kräfte macht.

Freilich wird Ungarn auch unter so veränderten Umständen anfangs jeder
Aufforderung, den Reichsrath zu beschicken, sein "Niemals" entgegensetzen. In¬
dessen, sobald die Gründe fortfallen, die Ungarn zum Festhalten an seiner
spröden Sonderstellung berechtigen, wird sein Widerstreben die moralische
Kraft einbüßen, die das Land gegenwärtig befähigt, der Macht der Regierung
zu trotzen. Mit Ausdauer und Geduld würde Oestreich in nicht allzu ferner
Zeit zum Ziele kommen. Wenn Ungarn seine slavischen Nebenländer durch
den pesther Landtag beherrscht, wenn ihm die Autonomie in allen inneren An¬
gelegenheiten gesichert ist. wenn es ferner die Ueberzeugung gewinnt, daß die


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in der östreichischen Politik zu mastiren. die wirklich Politische Idee einer
Staatseinigung aufzugeben. Darin aber haben sie vollkommen Recht, daß
ihrem Wesen nach das Ncformprvject und die Gesammtstaatsidee mit einander
unvereinbar sind. Die letztere erfordert zu ihrem Gelingen eine Auseinander¬
setzung mit Deutschland, nicht aber eine Verflechtung mit den deutschen Be¬
strebungen, die ganz unberechenbare Reibungen mit Preußen in Aussicht stellt.
Jeder Versuch Oestreichs, sich der deutschen Bewegung zu bemächtigen, wird
daher in den Ungar» die Hoffnung auf ein baldiges Fallenlassen aller Cen¬
tralisationsentwürfe erwecken und ihnen zugleich den erwünschten Borwand
bieten, den Wahlen zum Reichsrath den äußersten Widerstand entgegenzusetzen.

Oestreich (ich rede nicht blos von der Negierung, sondern auch von der
deutschen Bevölkerung) glaubt, um seine Culturverbindung mit Deutschland aufrecht
zu erhalten, Deutschland beherrschen zu müssen. Dies wird ihm auf die Dauer
niemals gelingen; wohl aber ist es in Gefahr, über diesem Streben seine Cultur¬
mission in Ungarn und den slavischen Ländern zu verlieren. Was wird die Folge
davon sein? Ungarn, zwischen Deutschen und Slaven eingeschlossen, wird bei dem
ersten großen Aufschwung, den das Slaventhum in Südosteuropa nimmt, von der
slavischen Bewegung fortgerissen werden; es wird von der germanischen Staa-
tengtuvpe getrennt, den russischen Tendenzen zu dienen gezwungen werden.

Will Oestreich dieser Gefahr vorbeugen, so muß es unbedingt seiner deut¬
schen Politik entsagen; es muß Ungarn dadurch seiner Jsolirung entreißen,
daß es dasselbe zum Träger einer großen historischen Aufgabe macht, die eben¬
so den deutschen, wie den östreichisch-magyarischen Interessen entspricht. Es muß
Rußland auf dem Felde entgegentreten, auf dem es von der vordringenden
russischen Macht am meisten bedroht wird, auf dem es aber auch die einzigen
entscheidenden Erfolge über sie davontragen und unverwelkliche Lorbeeren er¬
werben kann. Auf diesem Wege wird es das große Alliancesystem vorbereiten,
welches allein im Stande ist, der langsam, aber sicher sich entwickelnden fran-
zösisch-russtschcn Alliance Widerstand zu leisten; auf diese Weise wird es den
Dualismus überwinden, der sein weites und reiches Gebiet zu einem Heer¬
lager streitender Kräfte macht.

Freilich wird Ungarn auch unter so veränderten Umständen anfangs jeder
Aufforderung, den Reichsrath zu beschicken, sein „Niemals" entgegensetzen. In¬
dessen, sobald die Gründe fortfallen, die Ungarn zum Festhalten an seiner
spröden Sonderstellung berechtigen, wird sein Widerstreben die moralische
Kraft einbüßen, die das Land gegenwärtig befähigt, der Macht der Regierung
zu trotzen. Mit Ausdauer und Geduld würde Oestreich in nicht allzu ferner
Zeit zum Ziele kommen. Wenn Ungarn seine slavischen Nebenländer durch
den pesther Landtag beherrscht, wenn ihm die Autonomie in allen inneren An¬
gelegenheiten gesichert ist. wenn es ferner die Ueberzeugung gewinnt, daß die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/123>, abgerufen am 15.01.2025.