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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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die Art zugleich eine immer breitere und festere Basis für die Umgestaltung des
innern Staatswesens zu gewinnen.

Daß die Ausgabe, den Staat nach den Wechselbeziehungen der inneren und
äußeren Politik zu reformiren. schwierig ist, wie jede wirklich staatsmännische
Arbeit, die ihre Ideale nach dem Material, welches ihr zu Gebote steht, be¬
mißt, ist nicht zu bestreiten. Aber das kräftige Ergreifen dieser Aufgabe ver¬
spricht dauernde Erfolge, auf welche die alte traditionelle Politik, mag sie auch
noch so sehr durch unerwartete Wendungen und geistreiche Experimente zu im-
poniren suchen, nimmermehr rechnen kann. Und die Schwierigkeiten, die sich
einer Lösung der ungarischen Frage in dem angegebenen Sinne entgegenstellen,
sind, da sie nicht in der Natur der Dinge liegen, keineswegs unüberwindlich.
Ja man darf behaupten, daß die Schwierigkeit hauptsächlich nur eine formale
ist. Um Ungarn fest an den Gescnnmtstaat zu knüpfen, bedarf es einer Aen¬
derung der allgemeinen Politik; um eine Aenderung in der allgemeinen Po¬
litik eintreten zu lassen, bedarf es der Einordnung Ungarns in den Gescnnmt¬
staat: in diesem Cirkel hat sich aber fast jede bedeutende staatsmcmniscbe Auf¬
gabe zu bewegen; und gerade durch die Fähigkeit, die in diesem Cirkel ent¬
haltenen Widersprüche zu überwinden, unterscheidet sich der Staatsmann von
dem Revolutionär und dem Dilettanten.

Es ist leicht ersichtlich, daß die einzelnen Phasen einer alle inneren und
äußeren Beziehungen gleichzeitig umfassenden Politik, die bei jedem Schritte
von lebendig wirkenden Kräften bald gehindert, bald gefördert werden würde,
sich im Voraus gar nicht berechnen lassen. Wir begnügen uns daher, nur die
Hauptmomente, die auf die Lösung der Aufgabe einwirken müssen, in Betracht
zu ziehen.

Hier fällt es zunächst in die Augen, daß die alte, neuerdings mit verdop¬
pelter Energie aufgenommene Politik Oestreichs in der deutschen Frage alle auf
Herstellung des Gescunmtstaats gerichtete Bestrebungen völlig vereiteln muß.
Daß es für Deutschland durchaus gleichgiltig ist, ob der Einheitsstaat Oest¬
reich mit der Gesammtheit seiner Macht in den deutschen Bund tritt oder nur
mit seinen deutschen Landen, daß in beiden Fällen der Druck, den es auf
Deutschland ausüben würde, gleich unerträglich wäre, haben wir schon an einer
andern Stelle hervorgehoben. Es ist uns ganz unbegreiflich, wie man von deut¬
scher Seite irgend ein Gewicht darauf legen kann, daß dem neuen Bund, wie
Oestreich ihn will, ja nur die deutschen Theile Oestreichs angehören sollen. In
Ungarn faßt man den Kern der Sache sehr gut; man ist der Bundesreform
günstig gesinnt, weil man in ihr den ersten Schritt zur Auflösung des Ge-
sammtstaates sieht. Darin freilich täuschen sich die Ungarn, wenn sie glauben,
daß die östreichische Regierung die Absicht habe, zu Gunsten des abenteuerlichen
Neformprojectes, das doch hauptsächlich nur den Zweck hat, eine schwache Stelle


die Art zugleich eine immer breitere und festere Basis für die Umgestaltung des
innern Staatswesens zu gewinnen.

Daß die Ausgabe, den Staat nach den Wechselbeziehungen der inneren und
äußeren Politik zu reformiren. schwierig ist, wie jede wirklich staatsmännische
Arbeit, die ihre Ideale nach dem Material, welches ihr zu Gebote steht, be¬
mißt, ist nicht zu bestreiten. Aber das kräftige Ergreifen dieser Aufgabe ver¬
spricht dauernde Erfolge, auf welche die alte traditionelle Politik, mag sie auch
noch so sehr durch unerwartete Wendungen und geistreiche Experimente zu im-
poniren suchen, nimmermehr rechnen kann. Und die Schwierigkeiten, die sich
einer Lösung der ungarischen Frage in dem angegebenen Sinne entgegenstellen,
sind, da sie nicht in der Natur der Dinge liegen, keineswegs unüberwindlich.
Ja man darf behaupten, daß die Schwierigkeit hauptsächlich nur eine formale
ist. Um Ungarn fest an den Gescnnmtstaat zu knüpfen, bedarf es einer Aen¬
derung der allgemeinen Politik; um eine Aenderung in der allgemeinen Po¬
litik eintreten zu lassen, bedarf es der Einordnung Ungarns in den Gescnnmt¬
staat: in diesem Cirkel hat sich aber fast jede bedeutende staatsmcmniscbe Auf¬
gabe zu bewegen; und gerade durch die Fähigkeit, die in diesem Cirkel ent¬
haltenen Widersprüche zu überwinden, unterscheidet sich der Staatsmann von
dem Revolutionär und dem Dilettanten.

Es ist leicht ersichtlich, daß die einzelnen Phasen einer alle inneren und
äußeren Beziehungen gleichzeitig umfassenden Politik, die bei jedem Schritte
von lebendig wirkenden Kräften bald gehindert, bald gefördert werden würde,
sich im Voraus gar nicht berechnen lassen. Wir begnügen uns daher, nur die
Hauptmomente, die auf die Lösung der Aufgabe einwirken müssen, in Betracht
zu ziehen.

Hier fällt es zunächst in die Augen, daß die alte, neuerdings mit verdop¬
pelter Energie aufgenommene Politik Oestreichs in der deutschen Frage alle auf
Herstellung des Gescunmtstaats gerichtete Bestrebungen völlig vereiteln muß.
Daß es für Deutschland durchaus gleichgiltig ist, ob der Einheitsstaat Oest¬
reich mit der Gesammtheit seiner Macht in den deutschen Bund tritt oder nur
mit seinen deutschen Landen, daß in beiden Fällen der Druck, den es auf
Deutschland ausüben würde, gleich unerträglich wäre, haben wir schon an einer
andern Stelle hervorgehoben. Es ist uns ganz unbegreiflich, wie man von deut¬
scher Seite irgend ein Gewicht darauf legen kann, daß dem neuen Bund, wie
Oestreich ihn will, ja nur die deutschen Theile Oestreichs angehören sollen. In
Ungarn faßt man den Kern der Sache sehr gut; man ist der Bundesreform
günstig gesinnt, weil man in ihr den ersten Schritt zur Auflösung des Ge-
sammtstaates sieht. Darin freilich täuschen sich die Ungarn, wenn sie glauben,
daß die östreichische Regierung die Absicht habe, zu Gunsten des abenteuerlichen
Neformprojectes, das doch hauptsächlich nur den Zweck hat, eine schwache Stelle


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/122>, abgerufen am 15.01.2025.