Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.Priorität seiner Anträge zu bestehen, läßt sich nicht läugnen. Der Reichstag Nicht minder gerechtfertigt, als der Vorwurf der Weitläufigkeit und Schwer¬ Man würde indessen doch zu weit gehen, wenn man auf diese Mängel Priorität seiner Anträge zu bestehen, läßt sich nicht läugnen. Der Reichstag Nicht minder gerechtfertigt, als der Vorwurf der Weitläufigkeit und Schwer¬ Man würde indessen doch zu weit gehen, wenn man auf diese Mängel <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0012" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/115940"/> <p xml:id="ID_14" prev="#ID_13"> Priorität seiner Anträge zu bestehen, läßt sich nicht läugnen. Der Reichstag<lb/> schwebte in der beständigen und wohlbegründeten Sorge, daß die Regierung,<lb/> sobald sie ihre Forderungen durchgesetzt haben würde, sich beeilen würde, die<lb/> Erledigung der Gravamina durch raschen Schluß des Reichstages auf eine<lb/> spätere Session, von der man wußte, daß auf ihr dasselbe Spiel sich wieder¬<lb/> holen würde, zu vertagen. Zur Ausführung des Reformwerkes, für dessen<lb/> Vorbereitung bereits von dem Reichstage des Jahres 1790 Ausschüsse eingesetzt<lb/> waren, wurde erst im Jahre 1832 der sogenannte Opcratenreichstag einberufen,<lb/> dessen Resultate indessen in gar keinen? Verhältnisse zu seiner mehr als drei¬<lb/> jährigen Dauer standen. Die Regierung ihrerseits hatte ebenso große Ursache,<lb/> dem Reichstage zu mißtrauen, der, wo es sich um Geldbewilligungen handelte,<lb/> äußerst zähe war, und von dem man fürchten mußte, daß er, wenn seine For¬<lb/> derungen bewilligt worden wären, auf die Bedürfnisse der östreichischen Mon¬<lb/> archie schlechterdings gar keine Rücksicht nehmen würde. Dabei waren die Ver¬<lb/> handlungen innerhalb des Reichstags maßlos weitläufig: wochenlang wurden<lb/> oft Nuntien von der Ständetafcl und der Magnatcntafel hin und ber gesandt,<lb/> ehe es gelang, über die unbedeutendste Sache eine Einigung zu erzielen. Dazu<lb/> kam nun noch, daß die Abgeordneten an die Instructionen ihrer Comitate ge¬<lb/> bunden waren, so daß gelegentlich, wenn eine Ausgleichung der entgegenstehen¬<lb/> den Staatsgewalten ganz nahe schien, erneute Instructionen. die zur äußersten<lb/> Entschiedenheit mahnten, alle Hoffnungen auf Vereinbarung wieder in eine<lb/> unabsehbare Ferne schoben.</p><lb/> <p xml:id="ID_15"> Nicht minder gerechtfertigt, als der Vorwurf der Weitläufigkeit und Schwer¬<lb/> fälligkeit der Berathungen ist, wie schon angedeutet, der der aristokratischen<lb/> Exclusivität und Engherzigkeit. Namentlich an der Steuernexemtion hielt der<lb/> Adel lange Zeit mit eiserner Zähigkeit fest. Die demokratischen Bewegungen<lb/> des westlichen Europa fanden noch 1830 durchaus keinen Anklang in Ungarn.<lb/> Vay erklärt, daß Ungarns Adel und heilige Constitution jetzt von den Revolu¬<lb/> tionen der Gegenwart das Meiste zu fürchten habe. Nagy spricht es aus. daß<lb/> jetzt die Aristokratie zur Regierung halten müsse, übrigens eine Erscheinung, die<lb/> nicht blos in einseitigen Standesanschauungcn, sondern auch in der durch<lb/> jede festgewurzelte Verfassung erzeugten Abneigung gegen revolutionäre Tenden¬<lb/> zen ihre Erklärung findet. Wir erinnern an das Uebergewicht der conservativen<lb/> Strömung in England während des Ncvolutionszeitalters und während und<lb/> noch mehre Jahre lang nach den napoleonischen Kriegen.</p><lb/> <p xml:id="ID_16" next="#ID_17"> Man würde indessen doch zu weit gehen, wenn man auf diese Mängel<lb/> hin. deren Verzeichnis^ sich ohne Mühe noch sehr erweitern ließe, ein Ver><lb/> dammungsurtheil über die alte ungarische Verfassung und die Handhabung<lb/> derselben von Seiten der Nation aussprechen wollte. Zunächst darf man nicht<lb/> unbeachtet lassen, daß auch die allervortrefflichste, dem Culturzustand der Zeit</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0012]
Priorität seiner Anträge zu bestehen, läßt sich nicht läugnen. Der Reichstag
schwebte in der beständigen und wohlbegründeten Sorge, daß die Regierung,
sobald sie ihre Forderungen durchgesetzt haben würde, sich beeilen würde, die
Erledigung der Gravamina durch raschen Schluß des Reichstages auf eine
spätere Session, von der man wußte, daß auf ihr dasselbe Spiel sich wieder¬
holen würde, zu vertagen. Zur Ausführung des Reformwerkes, für dessen
Vorbereitung bereits von dem Reichstage des Jahres 1790 Ausschüsse eingesetzt
waren, wurde erst im Jahre 1832 der sogenannte Opcratenreichstag einberufen,
dessen Resultate indessen in gar keinen? Verhältnisse zu seiner mehr als drei¬
jährigen Dauer standen. Die Regierung ihrerseits hatte ebenso große Ursache,
dem Reichstage zu mißtrauen, der, wo es sich um Geldbewilligungen handelte,
äußerst zähe war, und von dem man fürchten mußte, daß er, wenn seine For¬
derungen bewilligt worden wären, auf die Bedürfnisse der östreichischen Mon¬
archie schlechterdings gar keine Rücksicht nehmen würde. Dabei waren die Ver¬
handlungen innerhalb des Reichstags maßlos weitläufig: wochenlang wurden
oft Nuntien von der Ständetafcl und der Magnatcntafel hin und ber gesandt,
ehe es gelang, über die unbedeutendste Sache eine Einigung zu erzielen. Dazu
kam nun noch, daß die Abgeordneten an die Instructionen ihrer Comitate ge¬
bunden waren, so daß gelegentlich, wenn eine Ausgleichung der entgegenstehen¬
den Staatsgewalten ganz nahe schien, erneute Instructionen. die zur äußersten
Entschiedenheit mahnten, alle Hoffnungen auf Vereinbarung wieder in eine
unabsehbare Ferne schoben.
Nicht minder gerechtfertigt, als der Vorwurf der Weitläufigkeit und Schwer¬
fälligkeit der Berathungen ist, wie schon angedeutet, der der aristokratischen
Exclusivität und Engherzigkeit. Namentlich an der Steuernexemtion hielt der
Adel lange Zeit mit eiserner Zähigkeit fest. Die demokratischen Bewegungen
des westlichen Europa fanden noch 1830 durchaus keinen Anklang in Ungarn.
Vay erklärt, daß Ungarns Adel und heilige Constitution jetzt von den Revolu¬
tionen der Gegenwart das Meiste zu fürchten habe. Nagy spricht es aus. daß
jetzt die Aristokratie zur Regierung halten müsse, übrigens eine Erscheinung, die
nicht blos in einseitigen Standesanschauungcn, sondern auch in der durch
jede festgewurzelte Verfassung erzeugten Abneigung gegen revolutionäre Tenden¬
zen ihre Erklärung findet. Wir erinnern an das Uebergewicht der conservativen
Strömung in England während des Ncvolutionszeitalters und während und
noch mehre Jahre lang nach den napoleonischen Kriegen.
Man würde indessen doch zu weit gehen, wenn man auf diese Mängel
hin. deren Verzeichnis^ sich ohne Mühe noch sehr erweitern ließe, ein Ver>
dammungsurtheil über die alte ungarische Verfassung und die Handhabung
derselben von Seiten der Nation aussprechen wollte. Zunächst darf man nicht
unbeachtet lassen, daß auch die allervortrefflichste, dem Culturzustand der Zeit
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