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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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in besserem Lichte erscheint, daß sie auch anderswo als in Wien aus¬
geübt wird.

Es kann darüber kein Zweifel bestehen, daß Ungarn das Land ist, welches
Oestreich nicht nur zu einem Großstaate macht, sondern ihm auch ein eigen¬
artiges Leben verleiht und die Richtung bestimmt, nach welcher hin seine
Thätigkeit sich zu entfalten hat. Denkt man sich Ungarn fort aus dem Ver¬
bände der Mvnarcl'le, was bleibt übrig? Ein deutscher Mittelstaat, eine italie¬
nische und einige slavische Provinzen, al^sow mömbiÄ, die keine menschliche
Kunst zu einem Ganzen zu vereinigen vermöchte, und die dabei, in ihrer Iso-
lirtheit die Bedingungen einer selbständigen Existenz entbehrend, an fremde
Körper sich anzuschließen streben würden. Von alten Ländern, die den Kaiserstaat
bilden, ist nur Ungarn einer selbständigen Existenz fähig. In dem Verkennen
dieser Thatsache liegt die größte Gefahr für Oestreich, in der Erkenntniß und
richtigen Benutzung derselben die kräftigste Bürgschaft für die Dauer der
Monarchie,

Daß wir nicht Gegner der Gesammtstaatsidee sind, haben wir wiederholt
ausgesprochen, wir erkennen nicht nur ihre Berechtigung, sondern auch ihre
Nothwendigkeit an, sind aber von der Unmöglichkeit überzeugt, daß dieselbe
wider den Willen Ungarns realisirt werden kann, und betrachten es als eine
Thatsache unheilvollster Bedeutung, daß der erste Schritt Oestreichs zum Ver¬
fassungsstaate den Conflict des Gesammtstaats mit Ungarn nur noch gesteigert
hat, während doch Ungarn gerade dazu berufen scheint, der stärkste Hebel der
verfassungsmäßigen Monarchie in Oestreich zu sei", ein Schirm wider den Ab¬
solutismus und den Radikalismus, in welcher Gestalt er auch erscheinen mag.
Uns scheint es. daß alle Reformvrojecte scheitern werden, so lange man nicht
die höchst eigenthümliche Bedeutung, die einerseits das deutsche Element und
andrerseits der ungarische Staat für die östreichische Monarchie hat, klar er¬
kennt und anerkennt. In der alten östreichischen Monarchie war der ganze
Staat in der Person des Monarchen concentrirt, alle Functionen der Staats¬
gewalt wurden von seinen Hofstellen erfüllt. Alle Bande, die sonst einem
Staate Consistenz verleiben; Gemeinsamkeit der Sprache, der Verfassung, der
Sitte, der Nationalität fehlten ganz. Die oberste Staatsgewalt hatte allerdings,
wie sich von selbst versteht, bis zu einem gewissen Grade einen einheitlichen
Charakter, so weit nämlich, als der Regent befähigt war, denselben durch sein
persönliches Eingreifen aufrecht zu erhalten. Ebenso trug sie den Stempel einer
bestimmten Nationalität, der deutschen, nicht wegen des überwiegenden Ein¬
flusses der deutschen Provinzen auf die Landesverwaltung, sondem weil die
Herrscherfamilie deutschen Stammes war. und der Glanz ihrer Krone haupt¬
sächlich auf ihren Beziehungen zu Deutschland beruhte. In diesem wunderbar
zusammengesetzten Reiche befindet sich nun. und dies ist kein geringeres Wun-


in besserem Lichte erscheint, daß sie auch anderswo als in Wien aus¬
geübt wird.

Es kann darüber kein Zweifel bestehen, daß Ungarn das Land ist, welches
Oestreich nicht nur zu einem Großstaate macht, sondern ihm auch ein eigen¬
artiges Leben verleiht und die Richtung bestimmt, nach welcher hin seine
Thätigkeit sich zu entfalten hat. Denkt man sich Ungarn fort aus dem Ver¬
bände der Mvnarcl'le, was bleibt übrig? Ein deutscher Mittelstaat, eine italie¬
nische und einige slavische Provinzen, al^sow mömbiÄ, die keine menschliche
Kunst zu einem Ganzen zu vereinigen vermöchte, und die dabei, in ihrer Iso-
lirtheit die Bedingungen einer selbständigen Existenz entbehrend, an fremde
Körper sich anzuschließen streben würden. Von alten Ländern, die den Kaiserstaat
bilden, ist nur Ungarn einer selbständigen Existenz fähig. In dem Verkennen
dieser Thatsache liegt die größte Gefahr für Oestreich, in der Erkenntniß und
richtigen Benutzung derselben die kräftigste Bürgschaft für die Dauer der
Monarchie,

Daß wir nicht Gegner der Gesammtstaatsidee sind, haben wir wiederholt
ausgesprochen, wir erkennen nicht nur ihre Berechtigung, sondern auch ihre
Nothwendigkeit an, sind aber von der Unmöglichkeit überzeugt, daß dieselbe
wider den Willen Ungarns realisirt werden kann, und betrachten es als eine
Thatsache unheilvollster Bedeutung, daß der erste Schritt Oestreichs zum Ver¬
fassungsstaate den Conflict des Gesammtstaats mit Ungarn nur noch gesteigert
hat, während doch Ungarn gerade dazu berufen scheint, der stärkste Hebel der
verfassungsmäßigen Monarchie in Oestreich zu sei», ein Schirm wider den Ab¬
solutismus und den Radikalismus, in welcher Gestalt er auch erscheinen mag.
Uns scheint es. daß alle Reformvrojecte scheitern werden, so lange man nicht
die höchst eigenthümliche Bedeutung, die einerseits das deutsche Element und
andrerseits der ungarische Staat für die östreichische Monarchie hat, klar er¬
kennt und anerkennt. In der alten östreichischen Monarchie war der ganze
Staat in der Person des Monarchen concentrirt, alle Functionen der Staats¬
gewalt wurden von seinen Hofstellen erfüllt. Alle Bande, die sonst einem
Staate Consistenz verleiben; Gemeinsamkeit der Sprache, der Verfassung, der
Sitte, der Nationalität fehlten ganz. Die oberste Staatsgewalt hatte allerdings,
wie sich von selbst versteht, bis zu einem gewissen Grade einen einheitlichen
Charakter, so weit nämlich, als der Regent befähigt war, denselben durch sein
persönliches Eingreifen aufrecht zu erhalten. Ebenso trug sie den Stempel einer
bestimmten Nationalität, der deutschen, nicht wegen des überwiegenden Ein¬
flusses der deutschen Provinzen auf die Landesverwaltung, sondem weil die
Herrscherfamilie deutschen Stammes war. und der Glanz ihrer Krone haupt¬
sächlich auf ihren Beziehungen zu Deutschland beruhte. In diesem wunderbar
zusammengesetzten Reiche befindet sich nun. und dies ist kein geringeres Wun-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/118>, abgerufen am 15.01.2025.