Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.Wunderbarerweise hat man sich zwei Jahre lang in der Hoffnung ge¬ Aber nicht blos ein verfehltes, sondern auch ein höchst gefährliches Unter¬ Wunderbarerweise hat man sich zwei Jahre lang in der Hoffnung ge¬ Aber nicht blos ein verfehltes, sondern auch ein höchst gefährliches Unter¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0116" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/116044"/> <p xml:id="ID_414"> Wunderbarerweise hat man sich zwei Jahre lang in der Hoffnung ge¬<lb/> wiegt, ohne Ungarn zum Ziele zu kommen. Fast scheint es, als ob sich jetzt<lb/> die Erkenntniß anfängt Bahn zu brechen, daß man sich in einer großartigen<lb/> Illusion gewiegt hat, einer Illusion, die auf der alten, zur fixen Idee gewor¬<lb/> denen Staatsmaxime beruht, daß man, um Oestreich stark zu machen, weiter<lb/> nichts nöthig habe, als Ungarn möglichst zu isoliren. Wir verzichten an dieser<lb/> Stelle darauf, die völlige Verkehrheit dieser Maxime zu beleuchten, und wer¬<lb/> fen nur die Frage auf: ist denn Ungarn das einzige Hinderniß der Neichs-<lb/> einheit? Ich denke, schon die Stellung, welche die slavische Minorität im Reichs¬<lb/> tage der Verfassung gegenüber einnimmt, läßt diese Frage verneinen. Weshalb<lb/> sind denn die Slaven überhaupt im Reichsrath erschienen? Doch nur. um die<lb/> Idee, deren lebendiger Ausdruck dieser sein soll, aufs Wirksamste zu bekämpfen.<lb/> Und werden diejenigen Slaven, deren Eintritt noch erwartet wird, eine andere<lb/> Stellung einnehmen? Gewiß nicht. Ich hatte in meinem letzten Schreiben vor<lb/> einer Ueberschätzung des Gewinnes gewarnt, den man in der Haltung des<lb/> siebenbürgischen Landtags für die Gesammtstaatsidee finden zu können geneigt<lb/> sein möchte: die immer offener hervortretende Haltung der Rumänen beweist,<lb/> daß der ganze Gewinn nur ein scheinbarer ist, und daß das Erscheinen der<lb/> Rumänen im Reichsrathe ohne Zweifel nur die Partei der Deccntralisten ver¬<lb/> mehren würde. Kurz, das stellt sich als ganz unzweifelhaft heraus, daß der<lb/> Versuch, den ungarischen Particularismus vermittelst des slavischen Particula-<lb/> rismus zu neutralisiren, ein völlig verfehltes Unternehmen war.</p><lb/> <p xml:id="ID_415" next="#ID_416"> Aber nicht blos ein verfehltes, sondern auch ein höchst gefährliches Unter¬<lb/> nehmen. Denn gerade die Tendenzen des Slaventhums bedrohen recht eigent¬<lb/> lich den Bestand des Kaiserstaates. Freilich eine compacte Masse, wie Ungarn,<lb/> bilden -sie nicht; an die Bildung eines aus den verschiedenen östreichischen Län¬<lb/> dern slavischer Nationalität zusammengesetzten selbständigen Slavenreichs ist<lb/> natürlich nicht zu denken; dies verbietet, so rege die Phantasie dieser Stämme<lb/> sonst auch ist, nicht nur der Mangel jeglichen geographischen Zusammenhangs<lb/> zwischen den einzelnen Stämmen, sondern auch die völlige Verschiedenheit, die<lb/> zwischen ihnen in Bezug auf Sprache, Sitte und Religion stattfindet. Sie<lb/> bilden ein Gerölle, welches in sich selbst keinen Schwerpunkt hat, welches aber<lb/> ebensowenig nach Wien gravitirt; sie sind die specifischen Zukunftspolitiker<lb/> Europas, die fast alle auf den Moment warten, wo aus den Nachbarreichen<lb/> die ihnen verwandten Nationen sich als selbständige Staaten loslösen werden.<lb/> Die einen hoffen auf ein polnisches, die andern auf ein südslavisches Reich.<lb/> Diejenigen aber unter ihnen, denen ein solcher Gravitationspunkt der Zukunft<lb/> fehlt, wie die Czechen, lieben es, sich gar in panslavistischen Träumereien zu<lb/> ergehen. Die Folgen dieser politischen Zerfahrenheit sind aber für Ostreich<lb/> gefährlicher, als sie auf den ersten Blick scheinen. Zunächst ist klar, daß</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0116]
Wunderbarerweise hat man sich zwei Jahre lang in der Hoffnung ge¬
wiegt, ohne Ungarn zum Ziele zu kommen. Fast scheint es, als ob sich jetzt
die Erkenntniß anfängt Bahn zu brechen, daß man sich in einer großartigen
Illusion gewiegt hat, einer Illusion, die auf der alten, zur fixen Idee gewor¬
denen Staatsmaxime beruht, daß man, um Oestreich stark zu machen, weiter
nichts nöthig habe, als Ungarn möglichst zu isoliren. Wir verzichten an dieser
Stelle darauf, die völlige Verkehrheit dieser Maxime zu beleuchten, und wer¬
fen nur die Frage auf: ist denn Ungarn das einzige Hinderniß der Neichs-
einheit? Ich denke, schon die Stellung, welche die slavische Minorität im Reichs¬
tage der Verfassung gegenüber einnimmt, läßt diese Frage verneinen. Weshalb
sind denn die Slaven überhaupt im Reichsrath erschienen? Doch nur. um die
Idee, deren lebendiger Ausdruck dieser sein soll, aufs Wirksamste zu bekämpfen.
Und werden diejenigen Slaven, deren Eintritt noch erwartet wird, eine andere
Stellung einnehmen? Gewiß nicht. Ich hatte in meinem letzten Schreiben vor
einer Ueberschätzung des Gewinnes gewarnt, den man in der Haltung des
siebenbürgischen Landtags für die Gesammtstaatsidee finden zu können geneigt
sein möchte: die immer offener hervortretende Haltung der Rumänen beweist,
daß der ganze Gewinn nur ein scheinbarer ist, und daß das Erscheinen der
Rumänen im Reichsrathe ohne Zweifel nur die Partei der Deccntralisten ver¬
mehren würde. Kurz, das stellt sich als ganz unzweifelhaft heraus, daß der
Versuch, den ungarischen Particularismus vermittelst des slavischen Particula-
rismus zu neutralisiren, ein völlig verfehltes Unternehmen war.
Aber nicht blos ein verfehltes, sondern auch ein höchst gefährliches Unter¬
nehmen. Denn gerade die Tendenzen des Slaventhums bedrohen recht eigent¬
lich den Bestand des Kaiserstaates. Freilich eine compacte Masse, wie Ungarn,
bilden -sie nicht; an die Bildung eines aus den verschiedenen östreichischen Län¬
dern slavischer Nationalität zusammengesetzten selbständigen Slavenreichs ist
natürlich nicht zu denken; dies verbietet, so rege die Phantasie dieser Stämme
sonst auch ist, nicht nur der Mangel jeglichen geographischen Zusammenhangs
zwischen den einzelnen Stämmen, sondern auch die völlige Verschiedenheit, die
zwischen ihnen in Bezug auf Sprache, Sitte und Religion stattfindet. Sie
bilden ein Gerölle, welches in sich selbst keinen Schwerpunkt hat, welches aber
ebensowenig nach Wien gravitirt; sie sind die specifischen Zukunftspolitiker
Europas, die fast alle auf den Moment warten, wo aus den Nachbarreichen
die ihnen verwandten Nationen sich als selbständige Staaten loslösen werden.
Die einen hoffen auf ein polnisches, die andern auf ein südslavisches Reich.
Diejenigen aber unter ihnen, denen ein solcher Gravitationspunkt der Zukunft
fehlt, wie die Czechen, lieben es, sich gar in panslavistischen Träumereien zu
ergehen. Die Folgen dieser politischen Zerfahrenheit sind aber für Ostreich
gefährlicher, als sie auf den ersten Blick scheinen. Zunächst ist klar, daß
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