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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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einigte und das ewige Gesetz der Entwickelung auch hier zur Erscheinung
brächte. Und wenn sich die Erfahrungen des Philolvgentages in zwei große
Abtheilungen scheiden ließen, welche nach der wissenschaftlichen und der rein
persönlichen Seite geordnet werden müßten, so vereinigte der Augenblick, dessen
wir gedenken und den wir als den Höhepunkt der ganzen Versammlung be¬
zeichnen müssen, in schönster Vollendung jene zwei Elemente in sich.

Kaum eine Woche war ja erst verflossen, seitdem man Jakob Grimm ins
Grab gelegt hatte. Es war eine Ehrenpflicht der Versammlung, des großen
Todten zu gedenken, der noch wenige Tage bevor er sein ehrwürdiges Haupt
zur ewigen Ruhe niederlegte mit herzlichem Bedauern dem Vorsitzenden der
germanistischen Section gemeldet hatte, daß nur schwere Krankheit ihn ver¬
hindere, der Versammlung beizuwohnen. Wäre es uns beschicken gewesen,
ihn noch einmal in unserer Mitte zu begrüßen, er wäre der Erste in unserem
Kreise gewesen, Ehrfurcht und Liebe würden sich vereinigt haben, ihm diesen
Ehrenplatz einzuräumen. Doch es ist ein Segen, der großen Männern ge¬
währt ist, daß sie, selbst wenn sie aus den Reihen der Lebendigen geschieden
sind, das Werk ihres Lebens fortsetzen dürfen, daß die erhebende und stärkende
Kraft ihres Andenkens lebendig in denen fortwirkt, die ihnen einmal nahe
getreten oder die sich wenigstens im Großen und Ganzen Eines Zieles mit ihnen
bewußt sind. So bewährte sich auch bei uns der theure Name Jakob Grimm
als das Wort, in dem Alle sich fanden, als der Mittelpunkt, um den Alle sich
schaarten, Alle geeint durch den Schmerz, ihn verloren zu haben, geeint aber
auch durch das stolze Bewußtsein: Er war unser! Und als Herr Prof. Zarncke
aus Leipzig die Worte, welche er zur Eröffnung der germanistischen Sections-
sitzungen bestimmt hatte, auf vorhergegangene allgemeine Bitte vor der Ge-
sammtversammlung sprach, da kam eine ernste, weihevolle Stimmung über alle
Zuhörer. Unvergeßlich werden uns die kurzen, aber inhaltvollen Sätze bleiben,
die wir da vernahmen, und immer werden wir dankbar des Redners gedenken,
der in so schlichter, zum Herzen gehender Weise dem Gefühle Ausdruck verlieh,
welches bei der Kunde vom Hinscheiden des Altmeisters germanistischer Wissen¬
schaft nicht nur die Fachgenossen, nicht nur die Philologen, sondern -- wir
hoffen es -- die gebildete Classe des ganzen deutschen Volks bewegte.

Wohl war der Zeitpunkt noch nicht gekommen, wo eine eingehende und
abschließende Würdigung Jakob Grimms am Orte oder auch nur möglich ge¬
wesen wäre; um so schöner und erhebender war das Bewußtsein, daß über
sein frisches" Grab hinweg beredtes und aufrichtiges Zeugniß von seinem gan¬
zen Sein und Wesen, von seiner Persönlichkeit und echt deutschen Tüchtigkeit
abgelegt werden konnte. Und wie schon bei dem Festmahle Tags zuvor von
einem anderen Sprecher mit warmen Worten der großen Todten G. Hermann,
K. Lachmann, Fr. Thiersch und Schneidewin gedacht worden war, so gab jene


einigte und das ewige Gesetz der Entwickelung auch hier zur Erscheinung
brächte. Und wenn sich die Erfahrungen des Philolvgentages in zwei große
Abtheilungen scheiden ließen, welche nach der wissenschaftlichen und der rein
persönlichen Seite geordnet werden müßten, so vereinigte der Augenblick, dessen
wir gedenken und den wir als den Höhepunkt der ganzen Versammlung be¬
zeichnen müssen, in schönster Vollendung jene zwei Elemente in sich.

Kaum eine Woche war ja erst verflossen, seitdem man Jakob Grimm ins
Grab gelegt hatte. Es war eine Ehrenpflicht der Versammlung, des großen
Todten zu gedenken, der noch wenige Tage bevor er sein ehrwürdiges Haupt
zur ewigen Ruhe niederlegte mit herzlichem Bedauern dem Vorsitzenden der
germanistischen Section gemeldet hatte, daß nur schwere Krankheit ihn ver¬
hindere, der Versammlung beizuwohnen. Wäre es uns beschicken gewesen,
ihn noch einmal in unserer Mitte zu begrüßen, er wäre der Erste in unserem
Kreise gewesen, Ehrfurcht und Liebe würden sich vereinigt haben, ihm diesen
Ehrenplatz einzuräumen. Doch es ist ein Segen, der großen Männern ge¬
währt ist, daß sie, selbst wenn sie aus den Reihen der Lebendigen geschieden
sind, das Werk ihres Lebens fortsetzen dürfen, daß die erhebende und stärkende
Kraft ihres Andenkens lebendig in denen fortwirkt, die ihnen einmal nahe
getreten oder die sich wenigstens im Großen und Ganzen Eines Zieles mit ihnen
bewußt sind. So bewährte sich auch bei uns der theure Name Jakob Grimm
als das Wort, in dem Alle sich fanden, als der Mittelpunkt, um den Alle sich
schaarten, Alle geeint durch den Schmerz, ihn verloren zu haben, geeint aber
auch durch das stolze Bewußtsein: Er war unser! Und als Herr Prof. Zarncke
aus Leipzig die Worte, welche er zur Eröffnung der germanistischen Sections-
sitzungen bestimmt hatte, auf vorhergegangene allgemeine Bitte vor der Ge-
sammtversammlung sprach, da kam eine ernste, weihevolle Stimmung über alle
Zuhörer. Unvergeßlich werden uns die kurzen, aber inhaltvollen Sätze bleiben,
die wir da vernahmen, und immer werden wir dankbar des Redners gedenken,
der in so schlichter, zum Herzen gehender Weise dem Gefühle Ausdruck verlieh,
welches bei der Kunde vom Hinscheiden des Altmeisters germanistischer Wissen¬
schaft nicht nur die Fachgenossen, nicht nur die Philologen, sondern — wir
hoffen es — die gebildete Classe des ganzen deutschen Volks bewegte.

Wohl war der Zeitpunkt noch nicht gekommen, wo eine eingehende und
abschließende Würdigung Jakob Grimms am Orte oder auch nur möglich ge¬
wesen wäre; um so schöner und erhebender war das Bewußtsein, daß über
sein frisches» Grab hinweg beredtes und aufrichtiges Zeugniß von seinem gan¬
zen Sein und Wesen, von seiner Persönlichkeit und echt deutschen Tüchtigkeit
abgelegt werden konnte. Und wie schon bei dem Festmahle Tags zuvor von
einem anderen Sprecher mit warmen Worten der großen Todten G. Hermann,
K. Lachmann, Fr. Thiersch und Schneidewin gedacht worden war, so gab jene


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/112>, abgerufen am 15.01.2025.