Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.diese Wissenschaft so hoch stelle, "weil sie vor allen anderen Charaktere bilde Es ist eine Unsitte der Philologen. Parallelstellen aufzusuchen. Für den Ferne sei es von uns zu vermuthen, daß der Herr Cultusminister mit Und so würden wir wirklich geneigt sein, über die obigen Worte des diese Wissenschaft so hoch stelle, „weil sie vor allen anderen Charaktere bilde Es ist eine Unsitte der Philologen. Parallelstellen aufzusuchen. Für den Ferne sei es von uns zu vermuthen, daß der Herr Cultusminister mit Und so würden wir wirklich geneigt sein, über die obigen Worte des <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0108" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/116036"/> <p xml:id="ID_387" prev="#ID_386"> diese Wissenschaft so hoch stelle, „weil sie vor allen anderen Charaktere bilde<lb/> und tüchtige Männer hervorbringe."</p><lb/> <p xml:id="ID_388"> Es ist eine Unsitte der Philologen. Parallelstellen aufzusuchen. Für den<lb/> obigen Ausspruch bot sich eine solche von selbst dar. Wir haben mit Interesse<lb/> die am leipziger Turnfest gehaltenen Reden verfolgt und erinnern uns deutlich,<lb/> in dem Vademecum. welches Advocat Schaffrath dem Herrn v. Reuse widmete,<lb/> gelesen zu haben, daß Redner das Turnen deshalb so hoch stelle, „weil es vor<lb/> allen andern Beschäftigungen Charaktere vnde und tüchtige Männer hervor¬<lb/> bringe."</p><lb/> <p xml:id="ID_389"> Ferne sei es von uns zu vermuthen, daß der Herr Cultusminister mit<lb/> schalkhafter Absichtlichkeit d?n schaffrathschen Gedanken auf die Philologie über¬<lb/> tragen hätte. Denn einerseits würde ein solcher Zug liebenswürdigen in die<lb/> Oeffentlichkeit hinaustretenden Humors bei den deutschen Cultusministern wohl<lb/> ziemlich vereinzelt dastehen, andrerseits wird es dem geehrten Redner nicht<lb/> entgangen sein, daß in den schaffrathschen Worten ein kleiner Stachel verborgen<lb/> lag, dessen Spitze mit einer unschwer erkennbaren Adresse versehen war. Und<lb/> an eine solche Verletzung der collegialischen Rücksichten können wir bei einem<lb/> Mann nicht glauben, der seit Jahren mit Herrn v. Beust getreulich alle die<lb/> Wendungen und Windungen einer leicht beweglichen Staatsleitung durchgemacht<lb/> hat. der ihm gefolgt ist von der Reichsverfassung bis zur reactivirten Stände¬<lb/> kammer und vom Dreikönigsbündniß bis zum frankfurter Rcfvrmproject. Und<lb/> als wir nun bedachten, daß Herr v. Falkenstein mit den sächsischen Philologen<lb/> schwerlich so ganz andre Erfahrungen in Betreff männlicher Gesinnung gemacht<lb/> haben wird, als sich anderwärts gezeigt haben, so wurden uns seine Worte<lb/> immer weniger verständlich. Denn sicherlich wird er auch in Sachsen leider<lb/> eine nicht kleine Anzahl von Philologen und Schulmännern gefunden haben,<lb/> welche entweder aus Schwäche oder aus Berechnung sich jedem von oben kom¬<lb/> menden Wunsche fügten, selbst das offenbare Unrecht billigten, und deren Ehr¬<lb/> geiz es war, womöglich noch „katholischer zu sein als der Papst" selbst. Solche<lb/> Persönlichkeiten wird Herr v. Falkenstein nicht tüchtige Charaktere nennen. Er<lb/> wird ferner eine schon weit kleinere Anzahl gefunden baben, welche sich im<lb/> Laufe der Jahre immer mehr zurückzogen, zu ehrenwerth, als daß sie gegen<lb/> ihre Ueberzeugung handeln wollten, zu sehr verstimmt und zu wenig energisch,<lb/> als daß sie offen ihr Beto eingelegt hätten. Beide Gattungen werden unter<lb/> den Philologen und Schulmännern nicht mehr und nicht weniger vertreten sein<lb/> als unter andern Bcrufsclasscn.</p><lb/> <p xml:id="ID_390" next="#ID_391"> Und so würden wir wirklich geneigt sein, über die obigen Worte des<lb/> Herrn Ministers als eine crux intörpretum stillschweigend mit dem Bekenntniß<lb/> hinwegzugehen, daß wir die darin liegende Auffassung der Wissenschaft über¬<lb/> haupt nicht zu theilen, im Uebrigen aber den Ausspruch nicht vollkommen zu</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0108]
diese Wissenschaft so hoch stelle, „weil sie vor allen anderen Charaktere bilde
und tüchtige Männer hervorbringe."
Es ist eine Unsitte der Philologen. Parallelstellen aufzusuchen. Für den
obigen Ausspruch bot sich eine solche von selbst dar. Wir haben mit Interesse
die am leipziger Turnfest gehaltenen Reden verfolgt und erinnern uns deutlich,
in dem Vademecum. welches Advocat Schaffrath dem Herrn v. Reuse widmete,
gelesen zu haben, daß Redner das Turnen deshalb so hoch stelle, „weil es vor
allen andern Beschäftigungen Charaktere vnde und tüchtige Männer hervor¬
bringe."
Ferne sei es von uns zu vermuthen, daß der Herr Cultusminister mit
schalkhafter Absichtlichkeit d?n schaffrathschen Gedanken auf die Philologie über¬
tragen hätte. Denn einerseits würde ein solcher Zug liebenswürdigen in die
Oeffentlichkeit hinaustretenden Humors bei den deutschen Cultusministern wohl
ziemlich vereinzelt dastehen, andrerseits wird es dem geehrten Redner nicht
entgangen sein, daß in den schaffrathschen Worten ein kleiner Stachel verborgen
lag, dessen Spitze mit einer unschwer erkennbaren Adresse versehen war. Und
an eine solche Verletzung der collegialischen Rücksichten können wir bei einem
Mann nicht glauben, der seit Jahren mit Herrn v. Beust getreulich alle die
Wendungen und Windungen einer leicht beweglichen Staatsleitung durchgemacht
hat. der ihm gefolgt ist von der Reichsverfassung bis zur reactivirten Stände¬
kammer und vom Dreikönigsbündniß bis zum frankfurter Rcfvrmproject. Und
als wir nun bedachten, daß Herr v. Falkenstein mit den sächsischen Philologen
schwerlich so ganz andre Erfahrungen in Betreff männlicher Gesinnung gemacht
haben wird, als sich anderwärts gezeigt haben, so wurden uns seine Worte
immer weniger verständlich. Denn sicherlich wird er auch in Sachsen leider
eine nicht kleine Anzahl von Philologen und Schulmännern gefunden haben,
welche entweder aus Schwäche oder aus Berechnung sich jedem von oben kom¬
menden Wunsche fügten, selbst das offenbare Unrecht billigten, und deren Ehr¬
geiz es war, womöglich noch „katholischer zu sein als der Papst" selbst. Solche
Persönlichkeiten wird Herr v. Falkenstein nicht tüchtige Charaktere nennen. Er
wird ferner eine schon weit kleinere Anzahl gefunden baben, welche sich im
Laufe der Jahre immer mehr zurückzogen, zu ehrenwerth, als daß sie gegen
ihre Ueberzeugung handeln wollten, zu sehr verstimmt und zu wenig energisch,
als daß sie offen ihr Beto eingelegt hätten. Beide Gattungen werden unter
den Philologen und Schulmännern nicht mehr und nicht weniger vertreten sein
als unter andern Bcrufsclasscn.
Und so würden wir wirklich geneigt sein, über die obigen Worte des
Herrn Ministers als eine crux intörpretum stillschweigend mit dem Bekenntniß
hinwegzugehen, daß wir die darin liegende Auffassung der Wissenschaft über¬
haupt nicht zu theilen, im Uebrigen aber den Ausspruch nicht vollkommen zu
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