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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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Unterthanen herzunehmen seien, aus der Tasche. Der Kaiser nahm denselben
an. erklärte aber doch zum Schluß: ..Der König von Preußen wird Komg
von Preußen und Sachsen wie ich Kaiser von Nußland und König von Polen",
worauf er bedeutsam hinzusetzte, die Gefälligkeit, die Frankreich in diesen beiden
Punkten ihm erweise, werde das Maß der seinigen bestimmen in Bezug auf
Alles, was Frankreich interessiren könne.

Talleyrand fand es seinem Vortheil gemäß, den Wink, der in diesen
Worten lag, und der so deutlich auf Murai und Neapel hinwiesfür jetzt
noch zu ignoriren. Im Eifer des Gesprächs hatte Alexander den König von
Sachsen, wie früher schon oft, einen Verräther genannt. Mit Autorität erhob
sich Talleyrand gegen diesen Ausdruck, und mit einer würdevollen Entrüstung,
die ihm. dem alten Diener der Revolution, dem Amtsgenossen der " Körugs-
mörder" vortrefflich gestanden haben muß, erklärte er: diese Bezeichnung könne
nie auf einen König Anwendung finden, und es sei von Wichtigkeit, daß sie
ihm nie beigelegt werde.

Mit Metternich zerfiel der Kaiser von Rußland in dieser Zeit vollständig.
In einer Unterredung, die er am 23. Octbr. mit ihm hatte, ging es sehr laut
und heftig zu, und als der Minister des Kaisern Franz im Lauf derselben
drohte, wenn es sich um Herstellung eines polnischen Reichs handle, so könne
auch Oestreich ein solches errichten, nannte Alexander diese Bemerkung "unan¬
ständig", worauf Metternich in großer Aufregung und mit der Erklärung, er
werde seinen Kaiser bitten, einen andern Bevollmächtigten für den Kongreß
zu ernennen, das Zimmer verließ.

Sich mit dem Kaiser Franz in persönlichem freundschaftlichen Verkehr zu
verständigen, mißglückte Alexander selbstverständlich. Franz war sür so form¬
lose Unterhandlungen wie sür alle Gemüthlichkeit in der Politik völlig unzu¬
gänglich, und als Alexander bei dem bekannten Ausflug, den die drei <sou-
veraine von Rusland, Preußen und Oestreich in den letzten Tagen des October
nach Ofen unternahmen, die Gelegenheit ergriff, seine Worte anzubringen,
ward ihm die trockne Antwort: Metternich habe ganz in seinem Sinn sich ge¬
äußert, und es sei wohl am besten, wenn man die Unterhandlungen über die
Angelegenheit den beiderseitigen Ministern überlasse.

Die Erwiderung auf Castlereaghs Denkschrift übertrug Alexander dem
Fürsten Czartoryski. dessen Entwurf er einige sehr heftige Bemerkungen hinzu¬
fügte, worauf Baron Anstedt die Note endgiltig verfaßte. Es hieß in dersel¬
ben, die früheren Verpflichtungen Rußlands in Beziehung auf Polen seien
dadurch aufgehoben, daß Oestreich und Preußen 1812 an dem Kriege gegen
das Czarenreich Theil genommen, und was die neuerdings zu Kalisch und
Reichenbach eingegangnen betreffe, so seien dieselben nur "Theile eines even¬
tuellen, suo einen bestimmten Fall geschlossenen Vertrags gewesen," giltig nur


Unterthanen herzunehmen seien, aus der Tasche. Der Kaiser nahm denselben
an. erklärte aber doch zum Schluß: ..Der König von Preußen wird Komg
von Preußen und Sachsen wie ich Kaiser von Nußland und König von Polen",
worauf er bedeutsam hinzusetzte, die Gefälligkeit, die Frankreich in diesen beiden
Punkten ihm erweise, werde das Maß der seinigen bestimmen in Bezug auf
Alles, was Frankreich interessiren könne.

Talleyrand fand es seinem Vortheil gemäß, den Wink, der in diesen
Worten lag, und der so deutlich auf Murai und Neapel hinwiesfür jetzt
noch zu ignoriren. Im Eifer des Gesprächs hatte Alexander den König von
Sachsen, wie früher schon oft, einen Verräther genannt. Mit Autorität erhob
sich Talleyrand gegen diesen Ausdruck, und mit einer würdevollen Entrüstung,
die ihm. dem alten Diener der Revolution, dem Amtsgenossen der „ Körugs-
mörder" vortrefflich gestanden haben muß, erklärte er: diese Bezeichnung könne
nie auf einen König Anwendung finden, und es sei von Wichtigkeit, daß sie
ihm nie beigelegt werde.

Mit Metternich zerfiel der Kaiser von Rußland in dieser Zeit vollständig.
In einer Unterredung, die er am 23. Octbr. mit ihm hatte, ging es sehr laut
und heftig zu, und als der Minister des Kaisern Franz im Lauf derselben
drohte, wenn es sich um Herstellung eines polnischen Reichs handle, so könne
auch Oestreich ein solches errichten, nannte Alexander diese Bemerkung „unan¬
ständig", worauf Metternich in großer Aufregung und mit der Erklärung, er
werde seinen Kaiser bitten, einen andern Bevollmächtigten für den Kongreß
zu ernennen, das Zimmer verließ.

Sich mit dem Kaiser Franz in persönlichem freundschaftlichen Verkehr zu
verständigen, mißglückte Alexander selbstverständlich. Franz war sür so form¬
lose Unterhandlungen wie sür alle Gemüthlichkeit in der Politik völlig unzu¬
gänglich, und als Alexander bei dem bekannten Ausflug, den die drei <sou-
veraine von Rusland, Preußen und Oestreich in den letzten Tagen des October
nach Ofen unternahmen, die Gelegenheit ergriff, seine Worte anzubringen,
ward ihm die trockne Antwort: Metternich habe ganz in seinem Sinn sich ge¬
äußert, und es sei wohl am besten, wenn man die Unterhandlungen über die
Angelegenheit den beiderseitigen Ministern überlasse.

Die Erwiderung auf Castlereaghs Denkschrift übertrug Alexander dem
Fürsten Czartoryski. dessen Entwurf er einige sehr heftige Bemerkungen hinzu¬
fügte, worauf Baron Anstedt die Note endgiltig verfaßte. Es hieß in dersel¬
ben, die früheren Verpflichtungen Rußlands in Beziehung auf Polen seien
dadurch aufgehoben, daß Oestreich und Preußen 1812 an dem Kriege gegen
das Czarenreich Theil genommen, und was die neuerdings zu Kalisch und
Reichenbach eingegangnen betreffe, so seien dieselben nur „Theile eines even¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/103>, abgerufen am 15.01.2025.