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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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zeigt, in Habesch eine große Anzahl von Juden angesiedelt sei.- Und derselbe
Berichterstatter lies? im Jahr darauf aus Bombay die weitere Notiz folgen, daß
er aus dem Munde eines glaubwürdigen Mohammedaners von einem jüdischen
Reiche in Abyssinien gehört habe, dessen König Zachlon in der Stadt Schim-
nan. 23 Tagereisen von dem Hafen Aseile am rothen Meere entfernt, residire.
Das Reich zähle viele Städte und Dörfer, der Boden sei fruchtbar, das Volk
beschäftige sich vorzüglich mit Ackerbau. Ein stehendes Heer sichere dem Lande
seine Unabhängigkeit. Ein dritter Brief öl'. Asches endlich, aus Aden datirt,
spricht die Hoffnung aus, der Schreiber desselben werde die ersten Juden in
Gondar treffen. Doch fügt er hinzu, daß die Meinungen über die jüdischen
Abyssinier nicht völlig übereinstimmen: Manche hielten sie für Karaiten, andere
für Christen, welche einige jüdische Gebräuche angenommen, noch andere für
Heiden; doch sollten die weiter westlich und südlich Wohnende" in religiöser
und sittlicher Hinsicht ganz den übrigen orientalischen Juden gleichen.

Diese unbestimmten und dürftigen Nachrichten sind jetzt durch vollkommen
sichere und eingehende ersetzt, indem der englische Missionär Stern die Be¬
treffenden besucht und seine Beobachtungen unter dem Titel "Wanderungen
unter den Falaschas in Abyssinien" veröffentlicht hat. Nach seinem Bericht gibt
es weder eine Stadt Schimnan, noch einen König Zacblon in Habesch. wohl
aber ist letzteres Reich und namentlich dessen südwestlicher Theil von zahlreichen
Juden bewohnt. Dieselben nennen sich Falascha. d. i. Verbannte, haben sich
einen unmittelbar bis zu Abraham hinaufreichenden Stammbaum zurecht ge¬
macht und wollen mit der Königin von Saba nach Afrika gekommen sein. Von
Menilek, dem Sohne, welchen diese mit König Salomo gezeugt, leiten sie die
abyssinischen Könige ab. Die Falascha waren einst unabhängig und standen
unter Königen welche alle Gideon, sowie unter Königinnen, die stets Judith
hießen*). Jetzt sind sie über fünf Provinzen, von Habesch zerstreut, und man
erkennt ihre Dörfer auf den ersten Blick, indem auf dem Dache des Tempels,
dessen Eingang stets nach Osten hinliegt, und der immer in drei Abtheilungen
zerfällt, immer ein rother Topf angebracht ist.

Die Falascha rühmen sich, ihr altjüdisches Blut vollkommen rein erhalten
zu haben. Mischheirathen mit andern Stämmen sind streng verboten, ja es
gilt schon für Sünde, das Haus eines Andersgläubigen zu betreten; wer eine
solche begeht, hat sich zu reinigen und frische Kleider anzulegen, bevor er in sein
eigenes Haus zurückkehren darf. Diese Ausscyließlichteit hat insofern gute
Folgen gehabt, als sie die Falascha von der Sittenlosigkeit bewahrt hat, welche



") Ob sie Alle so hießen, etwa wie unsre Reuß olle Heinrich, wird zu bezweifeln erlaubt
sein. Gewiß ist^ daß ein Königspaar Gideon und Judith aus dem abyssinischen Judenland
Samen in den Kämpfen Kaiser Davids mit dem muhammedanischen Helden Mohammed Gra-
e S2L bis 1540) mit den Moslemin gegen die Christen gemeinschaftliche Sache machte.

zeigt, in Habesch eine große Anzahl von Juden angesiedelt sei.- Und derselbe
Berichterstatter lies? im Jahr darauf aus Bombay die weitere Notiz folgen, daß
er aus dem Munde eines glaubwürdigen Mohammedaners von einem jüdischen
Reiche in Abyssinien gehört habe, dessen König Zachlon in der Stadt Schim-
nan. 23 Tagereisen von dem Hafen Aseile am rothen Meere entfernt, residire.
Das Reich zähle viele Städte und Dörfer, der Boden sei fruchtbar, das Volk
beschäftige sich vorzüglich mit Ackerbau. Ein stehendes Heer sichere dem Lande
seine Unabhängigkeit. Ein dritter Brief öl'. Asches endlich, aus Aden datirt,
spricht die Hoffnung aus, der Schreiber desselben werde die ersten Juden in
Gondar treffen. Doch fügt er hinzu, daß die Meinungen über die jüdischen
Abyssinier nicht völlig übereinstimmen: Manche hielten sie für Karaiten, andere
für Christen, welche einige jüdische Gebräuche angenommen, noch andere für
Heiden; doch sollten die weiter westlich und südlich Wohnende» in religiöser
und sittlicher Hinsicht ganz den übrigen orientalischen Juden gleichen.

Diese unbestimmten und dürftigen Nachrichten sind jetzt durch vollkommen
sichere und eingehende ersetzt, indem der englische Missionär Stern die Be¬
treffenden besucht und seine Beobachtungen unter dem Titel „Wanderungen
unter den Falaschas in Abyssinien" veröffentlicht hat. Nach seinem Bericht gibt
es weder eine Stadt Schimnan, noch einen König Zacblon in Habesch. wohl
aber ist letzteres Reich und namentlich dessen südwestlicher Theil von zahlreichen
Juden bewohnt. Dieselben nennen sich Falascha. d. i. Verbannte, haben sich
einen unmittelbar bis zu Abraham hinaufreichenden Stammbaum zurecht ge¬
macht und wollen mit der Königin von Saba nach Afrika gekommen sein. Von
Menilek, dem Sohne, welchen diese mit König Salomo gezeugt, leiten sie die
abyssinischen Könige ab. Die Falascha waren einst unabhängig und standen
unter Königen welche alle Gideon, sowie unter Königinnen, die stets Judith
hießen*). Jetzt sind sie über fünf Provinzen, von Habesch zerstreut, und man
erkennt ihre Dörfer auf den ersten Blick, indem auf dem Dache des Tempels,
dessen Eingang stets nach Osten hinliegt, und der immer in drei Abtheilungen
zerfällt, immer ein rother Topf angebracht ist.

Die Falascha rühmen sich, ihr altjüdisches Blut vollkommen rein erhalten
zu haben. Mischheirathen mit andern Stämmen sind streng verboten, ja es
gilt schon für Sünde, das Haus eines Andersgläubigen zu betreten; wer eine
solche begeht, hat sich zu reinigen und frische Kleider anzulegen, bevor er in sein
eigenes Haus zurückkehren darf. Diese Ausscyließlichteit hat insofern gute
Folgen gehabt, als sie die Falascha von der Sittenlosigkeit bewahrt hat, welche



") Ob sie Alle so hießen, etwa wie unsre Reuß olle Heinrich, wird zu bezweifeln erlaubt
sein. Gewiß ist^ daß ein Königspaar Gideon und Judith aus dem abyssinischen Judenland
Samen in den Kämpfen Kaiser Davids mit dem muhammedanischen Helden Mohammed Gra-
e S2L bis 1540) mit den Moslemin gegen die Christen gemeinschaftliche Sache machte.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/84>, abgerufen am 28.07.2024.