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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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mystisch-pietistischen Sekte der Chessidim, Namens Jsaak Loria herrühren soll.
Auffallend ist die Sprache der Juden von Schiras, die von den Glaubens- und
Stammgenossen anderer Orte nicht verstanden wird. "Merkwürdig war mir,"
sagt Petermann, "daß ich bei ihnen wie auch bei den Juden andrer Städte
Persiens das deutsche Wort Jahreszeit öfter hörte, was vielleicht zum Beweise
dienen kann, daß sie theilweise aus Polen eingewandert oder vielmehr aus einer
Mischung von polnischen und einheimischen Elementen hervorgegangen seien.,,

Kehren wir von hier über Mesopotamien und Syrien nach dem Nordwesten
zurück, so treffen wir in Palästina eine jüdische Bevölkerung von etwa zehn¬
tausend Seelen, von denen in Jerusalem S.700, in der galiläischen Stadt
Safed 2.100. in Tabarijeh (Tiberias) 1,600, in Hcbro" circa 400, in Jaffa
ebenfalls 400, in Chaifa 100 und in Radius gegen 30 wohnen. In den
Phönicischen Städten Saida und Akka halten sich in jener ISO, in dieser 120
aus. Die große Mehrzahl dieser palästinensischen und phönicischen Juden be¬
steht aus Scpbardim, und ebenso sind die meisten Unterthanen der Pforte.
Doch stehen allein von denen in Jerusalem 1,700 unter östreichischen Schutz und
Gesetz, und da Se. Apostolische Majestät, der Kaiser Franz Joseph hier nur
etwa hundert christliche Unterthanen zählt, so scheint sein Titel "König von Jeru¬
salem" auch in dieser Beziehung gerechtfertigt.

Die Sephardim der heiligen Stadt zählen über 4,000 Seelen, und bilden
somit dort die Hauptgemeinde. Sie kleiden sich orientalisch und stechen dadurch
schon vorteilhaft von den Schubezen. Zvbelmützen und Pelham^) der Aschkenasim
av, sind aber auch den Einflüssen der Civilisation weniger feindlich und nicht so
starre Verehrer des Herkommens als diese. Letztere stammen größtentheils aus
Rußland. Polen und Ungarn, woher sie eingewandert sind, "weil nur hier das
wahre Heil zu finden ist". Nach dem Talmud blieben von den zehn Maß
Weisheit, die einst auf die Erde ausgeschüttet wurden, neun im gelobten Lande
zurück. Wer hiechiur vier Ellen weit reist, dem wird "Anton Habo", ewiges
Leben zu Theil. Nur wer hier wohnt, ist al^ ein solcher anzusehen, der den
wahren Gott hat; denn er lebt ohne Sünde, und sein Gebet geht geradenwegs
zum Himmel. Wenn Einer hier begraben wird, "so ist es gleich, als wäre er
unter dem Altar bestattet"; kein Wurm darf seinem Leibe nahen, und ebenso¬
wenig haben die Strafengel, welche nach der Grablegung sich einstellen, um
den Todten wegen der auf Erden begangnen Übertretungen zu peinigen, hier
Zutritt zu den Särgen. Endlich aber wird hier "Meschiach" erscheinen, und
man ist dann gleich am Platze und braucht nicht erst die mühselige unterirdische
Reise zu machen, welche alle Verstorbenen nach dem Thal Josaphat anzutreten
haben, wenn die Posaune des Gerichts zur Auferstehung ruft.'



Schubeze der Kaftan, Peiftn die Schläfenlocken der polnischen Juden.
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mystisch-pietistischen Sekte der Chessidim, Namens Jsaak Loria herrühren soll.
Auffallend ist die Sprache der Juden von Schiras, die von den Glaubens- und
Stammgenossen anderer Orte nicht verstanden wird. „Merkwürdig war mir,"
sagt Petermann, „daß ich bei ihnen wie auch bei den Juden andrer Städte
Persiens das deutsche Wort Jahreszeit öfter hörte, was vielleicht zum Beweise
dienen kann, daß sie theilweise aus Polen eingewandert oder vielmehr aus einer
Mischung von polnischen und einheimischen Elementen hervorgegangen seien.,,

Kehren wir von hier über Mesopotamien und Syrien nach dem Nordwesten
zurück, so treffen wir in Palästina eine jüdische Bevölkerung von etwa zehn¬
tausend Seelen, von denen in Jerusalem S.700, in der galiläischen Stadt
Safed 2.100. in Tabarijeh (Tiberias) 1,600, in Hcbro» circa 400, in Jaffa
ebenfalls 400, in Chaifa 100 und in Radius gegen 30 wohnen. In den
Phönicischen Städten Saida und Akka halten sich in jener ISO, in dieser 120
aus. Die große Mehrzahl dieser palästinensischen und phönicischen Juden be¬
steht aus Scpbardim, und ebenso sind die meisten Unterthanen der Pforte.
Doch stehen allein von denen in Jerusalem 1,700 unter östreichischen Schutz und
Gesetz, und da Se. Apostolische Majestät, der Kaiser Franz Joseph hier nur
etwa hundert christliche Unterthanen zählt, so scheint sein Titel „König von Jeru¬
salem" auch in dieser Beziehung gerechtfertigt.

Die Sephardim der heiligen Stadt zählen über 4,000 Seelen, und bilden
somit dort die Hauptgemeinde. Sie kleiden sich orientalisch und stechen dadurch
schon vorteilhaft von den Schubezen. Zvbelmützen und Pelham^) der Aschkenasim
av, sind aber auch den Einflüssen der Civilisation weniger feindlich und nicht so
starre Verehrer des Herkommens als diese. Letztere stammen größtentheils aus
Rußland. Polen und Ungarn, woher sie eingewandert sind, „weil nur hier das
wahre Heil zu finden ist". Nach dem Talmud blieben von den zehn Maß
Weisheit, die einst auf die Erde ausgeschüttet wurden, neun im gelobten Lande
zurück. Wer hiechiur vier Ellen weit reist, dem wird „Anton Habo", ewiges
Leben zu Theil. Nur wer hier wohnt, ist al^ ein solcher anzusehen, der den
wahren Gott hat; denn er lebt ohne Sünde, und sein Gebet geht geradenwegs
zum Himmel. Wenn Einer hier begraben wird, „so ist es gleich, als wäre er
unter dem Altar bestattet"; kein Wurm darf seinem Leibe nahen, und ebenso¬
wenig haben die Strafengel, welche nach der Grablegung sich einstellen, um
den Todten wegen der auf Erden begangnen Übertretungen zu peinigen, hier
Zutritt zu den Särgen. Endlich aber wird hier „Meschiach" erscheinen, und
man ist dann gleich am Platze und braucht nicht erst die mühselige unterirdische
Reise zu machen, welche alle Verstorbenen nach dem Thal Josaphat anzutreten
haben, wenn die Posaune des Gerichts zur Auferstehung ruft.'



Schubeze der Kaftan, Peiftn die Schläfenlocken der polnischen Juden.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/75>, abgerufen am 28.07.2024.