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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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hatte in dieser unsteten, von Erregung zu Erregung jagenden Seele die Selbst¬
täuschung einen ungeheuren Spielraum. Ja sogar die bewußte Lüge hat der offen¬
herzige Mann nicht verschmäht, wo seine Eitelkeit ins Spiel kam: die Autor¬
schaft des mißrathenen Gedichts "der Walzer" läugnete er feierlich ab, weil es
mißfiel. Auch an Zügen der Schwäche, welche der Lüge sehr nahe kommen,
ist sein Leben nicht arm. So lange die londoner vornehme Welt ihn feierte,
hat er sich gehütet, seine radicale Gesinnung in Gedichten auszusprechen, und
die letzten Gesänge des Don Juan sind nur darum friedfertiger, also schwächer
geworden als der herrliche Anfang des Gedichts, weil seine Teresa ihm das
Versprechen abgeschmeichelt hatte, nichts mehr wider Glauben und Sittlichkeit
zu schreiben. Als ein absonderlich unsicherer Führer erwies sich aber das natur-
liebe Gefühl in der Ehe, denn allerdings war Byron von der Natur zu allem
Anderen eher denn zum Gatten bestimmt. Wir reden nicht von der leichtfer¬
tigen Weise, wie er den Entschluß für das Leben faßte. Wir wollen auch nicht
mit Entrüstung vor dem häßlichen Schauspiele verweilen, wie er nach der
Scheidung seine Gattin öffentlich bekriegte; denn allerdings sind diese häuslichen
Händel nicht von ihm. sondern von seinen Feinden zuerst auf den lauten Markt
gebracht worden. Das Eine aber muß auch der Mildeste als abscheulich und
würdelos verdammen, daß er mit seiner Gemahlin wieder anzuknüpfen suchte
-- in demselben Augenblicke, da er in den Armen der Gräfin Guiccioli zum
ersten Male eine echte, reine Liebe fand. Mit einem Worte, wir sehen das Le¬
ben eines hochherzigen Mannes haltlos und verworren, allein geleitet von der
Empfindung des Augenblicks, wir sehen einen von Natur grundehrlichen Men¬
sche" Andere und vornehmlich sich selber täuschen, weil ihn die Sehnsucht be¬
herrscht, vor fremden und vor seinen eigenen Augen fortwährend interessant
und groß zu erscheinen.

Geben wir all diese Makel zu -- und sie ließen sich leicht vermehren --
so bleibt uns am Ende doch zu bewundern, wie stark und gesund das natür¬
liche Gefühl dieses Mannes sein mußte, wenn es ihn, den Verächter aller sitt¬
lichen Grundsätze, dennoch ohne Schande durch ein ruhmvolles Leben hindurch¬
geführt hat. Ein Muth, zu allem Kühnen geboren, eine geniale Dichterkraft,
ein freier Sinn, offen jeder großen Regung, eine übermüthig witzige und doch
im Grunde gutmüthige Laune, eine königliche Großmuth. willig, jeden Schwa¬
chen zu beschützen, und bereit, dem Feinde, dem schonungslos Bekämpften,
zu vergeben, eine Erscheinung verführerisch für jede Frau, ein warmes, treues
Freundesherz, und alle seine Sünden ohne Kleinheit und Niedrigkeit, die Sün¬
den der Kraft, des Ueberflusses: -- wahrlich, das sind Züge eines reichen
Eharakters, ganz geschaffen, jede edle und jede schlimme Neigung der modernen
Menschen zu bezaubern. Mochten die Einen zürnen, daß der Dichter allzu
verwegen die Freuden der Sinnenlust schildere: da stand er selbst, der Virtuos


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hatte in dieser unsteten, von Erregung zu Erregung jagenden Seele die Selbst¬
täuschung einen ungeheuren Spielraum. Ja sogar die bewußte Lüge hat der offen¬
herzige Mann nicht verschmäht, wo seine Eitelkeit ins Spiel kam: die Autor¬
schaft des mißrathenen Gedichts „der Walzer" läugnete er feierlich ab, weil es
mißfiel. Auch an Zügen der Schwäche, welche der Lüge sehr nahe kommen,
ist sein Leben nicht arm. So lange die londoner vornehme Welt ihn feierte,
hat er sich gehütet, seine radicale Gesinnung in Gedichten auszusprechen, und
die letzten Gesänge des Don Juan sind nur darum friedfertiger, also schwächer
geworden als der herrliche Anfang des Gedichts, weil seine Teresa ihm das
Versprechen abgeschmeichelt hatte, nichts mehr wider Glauben und Sittlichkeit
zu schreiben. Als ein absonderlich unsicherer Führer erwies sich aber das natur-
liebe Gefühl in der Ehe, denn allerdings war Byron von der Natur zu allem
Anderen eher denn zum Gatten bestimmt. Wir reden nicht von der leichtfer¬
tigen Weise, wie er den Entschluß für das Leben faßte. Wir wollen auch nicht
mit Entrüstung vor dem häßlichen Schauspiele verweilen, wie er nach der
Scheidung seine Gattin öffentlich bekriegte; denn allerdings sind diese häuslichen
Händel nicht von ihm. sondern von seinen Feinden zuerst auf den lauten Markt
gebracht worden. Das Eine aber muß auch der Mildeste als abscheulich und
würdelos verdammen, daß er mit seiner Gemahlin wieder anzuknüpfen suchte
— in demselben Augenblicke, da er in den Armen der Gräfin Guiccioli zum
ersten Male eine echte, reine Liebe fand. Mit einem Worte, wir sehen das Le¬
ben eines hochherzigen Mannes haltlos und verworren, allein geleitet von der
Empfindung des Augenblicks, wir sehen einen von Natur grundehrlichen Men¬
sche» Andere und vornehmlich sich selber täuschen, weil ihn die Sehnsucht be¬
herrscht, vor fremden und vor seinen eigenen Augen fortwährend interessant
und groß zu erscheinen.

Geben wir all diese Makel zu — und sie ließen sich leicht vermehren —
so bleibt uns am Ende doch zu bewundern, wie stark und gesund das natür¬
liche Gefühl dieses Mannes sein mußte, wenn es ihn, den Verächter aller sitt¬
lichen Grundsätze, dennoch ohne Schande durch ein ruhmvolles Leben hindurch¬
geführt hat. Ein Muth, zu allem Kühnen geboren, eine geniale Dichterkraft,
ein freier Sinn, offen jeder großen Regung, eine übermüthig witzige und doch
im Grunde gutmüthige Laune, eine königliche Großmuth. willig, jeden Schwa¬
chen zu beschützen, und bereit, dem Feinde, dem schonungslos Bekämpften,
zu vergeben, eine Erscheinung verführerisch für jede Frau, ein warmes, treues
Freundesherz, und alle seine Sünden ohne Kleinheit und Niedrigkeit, die Sün¬
den der Kraft, des Ueberflusses: — wahrlich, das sind Züge eines reichen
Eharakters, ganz geschaffen, jede edle und jede schlimme Neigung der modernen
Menschen zu bezaubern. Mochten die Einen zürnen, daß der Dichter allzu
verwegen die Freuden der Sinnenlust schildere: da stand er selbst, der Virtuos


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/67>, abgerufen am 28.07.2024.