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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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geistvollen Worten plötzlich, so recht nach Knabenart, mit großen Buchstaben
geschrieben steht: "die östreichische Negierung Hallunken! die östreichischen Be¬
amten Spitzbuben! Ich weiß wohl, daß sie meine Briefe aufmachen, aber darum
schreibe ich es eben! "> Von Unwahrheiten bietet das Tagebuch nichts weiter als
was Byron selber mit tiefer Kenntniß vermenschlichen Natur zugesteht: "wenn
ich mir selbst gegenüber aufrichtig bin -- aber ich fürchte, man belügt sich
selbst mehr als irgend jemand anders -- so müßte jede Seite dieses Buchs die
Widerlegung der vorigen sein." Wer auf einzelne Worte eines so redseligen
Mannes allzu großes Gewicht legt, gelangt nothwendig zu verkehrten, allzu har¬
ten Urtheilen. Dieser Gefahr ist sogar unser wohlwollender Herr Eberty nicht
immer entgangen. Byron schreibt einmal einem lustigen Bruder: "wie hübsch
muß es sein, verheirathet auf dem Lande zu leben! Man hat eine schöne Frau
und küßt ihre Kammerjungfer" -- und sein Biograph entsetzt sich über solche
"Aeußerungen der frivolsten Art". Verehrter Herr Professor, waren Sie noch
nie in einer Gesellschaft ungezogener und unbeweibter junger Herren?

Es gilt vielmehr, aus tausend Widersprüchen die großen Grundzüge die¬
ses Charakters herauszufinden. Wer dies je versuchte, der mußte bekennen,
daß selten alle Verhältnisse des Lebens sich so hartnäckig und unheilvoll ver¬
schworen haben zum sittlichen Verderb eines reich und vornehm angelegten
Geistes. Seinem gesunden und sicheren natürlichen Gefühle gelang es, sich
hindurchzuretten aus all diesen Gefahren, aber das Geschick hat ihm, dem
zu jedem frohesten Genusse Geschaffenen, ein erschütternd trauriges Dasein be¬
reitet. Seit Byron heranwuchs schweiften seine Träume stets in der Zukunft
oder in der wehmüthigen Erinnerung an die reine Kindheit, sehr selten nur
ward ihm das selige Selbstvergessen im Genusse der Gegenwart. Wer irgend
berufen war, diesen meisterlvsen Geist zu zügeln, der that das Seine, ihn zu
verbitten: die bis zum Wahnsinn leidenschaftliche taktlose Mutter, welche der
Sohn trocken ins Angesicht "eine böse Sieben" schilt, und die thörichte Wär¬
terin, die den yochmüthigen Knaben mit großen Worten den staunenden Päch¬
tern als einen vornehmen Lord zeigt und die Liebesbotscbaftcn des Frühgcreiften
besorgt. Also erzogen wird sein Herz unnatürlich früh durch den Schmerz einer
unglücklichen Liebe verstimmt und verbittert. Freundlos, führerlos tritt er in
verworrene Verhältnisse, die nur ein stetiger vielerfahrener Sinn bemeistern
konnte. Im Oberhause trennen die Schatten seiner verrufenen Väter den
blutjungen von den älteren Genossen. Jede erdenkliche Versuchung umgibt und
Verlockt den schönen, geistvollen, heißblütigen Mann. Die Schuldenlast seiner
Vorfahren erschwert ihm früh das Gleichmaß der Lebensweise, er gewöhnt sich
an den Jammer der Auspfändungen mitten unter den Ausschweifungen der vor¬
nehmen Welt. Endlich bringt ihm das kurze Trauerspiel seiner Ehe die Ver¬
bannung aus dem Vaterlande.


Grenzboten III. 1863. 8

geistvollen Worten plötzlich, so recht nach Knabenart, mit großen Buchstaben
geschrieben steht: „die östreichische Negierung Hallunken! die östreichischen Be¬
amten Spitzbuben! Ich weiß wohl, daß sie meine Briefe aufmachen, aber darum
schreibe ich es eben! "> Von Unwahrheiten bietet das Tagebuch nichts weiter als
was Byron selber mit tiefer Kenntniß vermenschlichen Natur zugesteht: „wenn
ich mir selbst gegenüber aufrichtig bin — aber ich fürchte, man belügt sich
selbst mehr als irgend jemand anders — so müßte jede Seite dieses Buchs die
Widerlegung der vorigen sein." Wer auf einzelne Worte eines so redseligen
Mannes allzu großes Gewicht legt, gelangt nothwendig zu verkehrten, allzu har¬
ten Urtheilen. Dieser Gefahr ist sogar unser wohlwollender Herr Eberty nicht
immer entgangen. Byron schreibt einmal einem lustigen Bruder: „wie hübsch
muß es sein, verheirathet auf dem Lande zu leben! Man hat eine schöne Frau
und küßt ihre Kammerjungfer" — und sein Biograph entsetzt sich über solche
„Aeußerungen der frivolsten Art". Verehrter Herr Professor, waren Sie noch
nie in einer Gesellschaft ungezogener und unbeweibter junger Herren?

Es gilt vielmehr, aus tausend Widersprüchen die großen Grundzüge die¬
ses Charakters herauszufinden. Wer dies je versuchte, der mußte bekennen,
daß selten alle Verhältnisse des Lebens sich so hartnäckig und unheilvoll ver¬
schworen haben zum sittlichen Verderb eines reich und vornehm angelegten
Geistes. Seinem gesunden und sicheren natürlichen Gefühle gelang es, sich
hindurchzuretten aus all diesen Gefahren, aber das Geschick hat ihm, dem
zu jedem frohesten Genusse Geschaffenen, ein erschütternd trauriges Dasein be¬
reitet. Seit Byron heranwuchs schweiften seine Träume stets in der Zukunft
oder in der wehmüthigen Erinnerung an die reine Kindheit, sehr selten nur
ward ihm das selige Selbstvergessen im Genusse der Gegenwart. Wer irgend
berufen war, diesen meisterlvsen Geist zu zügeln, der that das Seine, ihn zu
verbitten: die bis zum Wahnsinn leidenschaftliche taktlose Mutter, welche der
Sohn trocken ins Angesicht „eine böse Sieben" schilt, und die thörichte Wär¬
terin, die den yochmüthigen Knaben mit großen Worten den staunenden Päch¬
tern als einen vornehmen Lord zeigt und die Liebesbotscbaftcn des Frühgcreiften
besorgt. Also erzogen wird sein Herz unnatürlich früh durch den Schmerz einer
unglücklichen Liebe verstimmt und verbittert. Freundlos, führerlos tritt er in
verworrene Verhältnisse, die nur ein stetiger vielerfahrener Sinn bemeistern
konnte. Im Oberhause trennen die Schatten seiner verrufenen Väter den
blutjungen von den älteren Genossen. Jede erdenkliche Versuchung umgibt und
Verlockt den schönen, geistvollen, heißblütigen Mann. Die Schuldenlast seiner
Vorfahren erschwert ihm früh das Gleichmaß der Lebensweise, er gewöhnt sich
an den Jammer der Auspfändungen mitten unter den Ausschweifungen der vor¬
nehmen Welt. Endlich bringt ihm das kurze Trauerspiel seiner Ehe die Ver¬
bannung aus dem Vaterlande.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/65>, abgerufen am 28.07.2024.