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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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die erste für das größere gebildete Publicum geschriebene Biographie des Dich¬
ters ist, und die, wenn wir das von uns Bemerkte zwischen den Zeilen lesen,
und dem Porträt hier und da ein wenig mehr Schatten geben, in der That
ein gutes Bild seines Lebens und seines Charakters gibt.

Quintus Horatius Flaccus wurde in der apulischen Landstadt Ve-
nusia im Vultur-Gebirge, wo sein Vater, ein Freigelassener und seines Berufs
Cvactor oder Abgabeneinforderer, ein Landgut besaß. am 8, December K5
v. Chr. geboren. Er scheint früh schon Talente verrathen zu haben, und so
brachte ihn sein Vater, ein Mann soliden Charakters und praktischen Sinnes,
nachdem der Knabe sein siebentes Jahr zurückgelegt, nach Rom auf die
Schule, die er später mit einer höheren vertauschie, welche von dem alten Orbi-
lius. dem berühmteste" Schulmann seiner Zeit geleitet wurde. Bald nachdem
er sein achtzehntes Lebensjahr erreicht, begab er. der inzwischen seinen Vater
verloren hatte, sich nach Athen, wohin die Mode damals die jungen Römer
sandte, einerseits um ihnen die Bekanntschaft mit griechischer Bildung, nament¬
lich griechischer Philosophie zu vermitteln, andrerseits um ihnen den feinen
Schliff und die anmuthige Tournüre zu verleihen, welche als Vorrechte der
Ultner galten und in Italien ein viclbcgchrter Besitz waren.

Der Sohn des Freigelassenen verkehrte hier mit Söhnen der ersten Fa¬
milien Roms, mit einem Massaia, einem Bibulus, einem Servius, ergötzte
sich an heitern Gelagen und lernte die griechische Muse kennen, die auf seine
Art zu denken und zu empfinden den größten Einfluß gewann. Aber die glück¬
lichen Tage des akademischen Lebens waren für ihn nicht von langer Dauer.
"Schwere Zeiten," sagt er, "führten mich hinweg von dem werthen Orte."
Julius Cäsar wurde von der römischen Aristokratenpartei ermordet. Der
Bürgerkrieg brach aus, Brutus kam nach Athen, und unter denen, die sich un¬
ter seinem Zeichen schaarten, war auch Horaz. Er erhielt den Posten eines
Legionsobersten, eine Stelle, die für seine besondere Befähigung zeugt, da sie
sonst nur Söhnen von Senatoren verlieben wurde, und folgte in dieser Eigen¬
schaft seinem Oberfeldherrn zuerst nach Macedonien. dann nach Asien, wo er
sich an der Unterwerfung der Lycier betheiligte. Die Schlacht bei Philippi ver¬
setzte der Sache der Republikaner den Todesstoß.

Horaz entkam dem Schwerte der Sieger, oder, wie er sich ausdrückt,
"Mercur rettete ihn aus dem Gedränge und brachte ihn nach Rom -- wohl¬
behalten," wenn auch, wie er anderswo bemerkt, "mit gestutzten Fittichen."
Sein väterliches Erbgut konnte der gefällige Gott ihm nicht retten, seine
Oberstenstelle ebensowenig. Horaz, damals zweiundzwanzig Jahre alt, sah sich
auf einen geringen Nest seines Vermögens beschränkt und somit auf den Ver¬
such angewiesen, sich durch Arbeit auf untergeordnetem Gebiet seinen Unterhalt
zu erwerben. Er kaufte sich die Stelle eines Scriba bei dem Quästor, das


die erste für das größere gebildete Publicum geschriebene Biographie des Dich¬
ters ist, und die, wenn wir das von uns Bemerkte zwischen den Zeilen lesen,
und dem Porträt hier und da ein wenig mehr Schatten geben, in der That
ein gutes Bild seines Lebens und seines Charakters gibt.

Quintus Horatius Flaccus wurde in der apulischen Landstadt Ve-
nusia im Vultur-Gebirge, wo sein Vater, ein Freigelassener und seines Berufs
Cvactor oder Abgabeneinforderer, ein Landgut besaß. am 8, December K5
v. Chr. geboren. Er scheint früh schon Talente verrathen zu haben, und so
brachte ihn sein Vater, ein Mann soliden Charakters und praktischen Sinnes,
nachdem der Knabe sein siebentes Jahr zurückgelegt, nach Rom auf die
Schule, die er später mit einer höheren vertauschie, welche von dem alten Orbi-
lius. dem berühmteste» Schulmann seiner Zeit geleitet wurde. Bald nachdem
er sein achtzehntes Lebensjahr erreicht, begab er. der inzwischen seinen Vater
verloren hatte, sich nach Athen, wohin die Mode damals die jungen Römer
sandte, einerseits um ihnen die Bekanntschaft mit griechischer Bildung, nament¬
lich griechischer Philosophie zu vermitteln, andrerseits um ihnen den feinen
Schliff und die anmuthige Tournüre zu verleihen, welche als Vorrechte der
Ultner galten und in Italien ein viclbcgchrter Besitz waren.

Der Sohn des Freigelassenen verkehrte hier mit Söhnen der ersten Fa¬
milien Roms, mit einem Massaia, einem Bibulus, einem Servius, ergötzte
sich an heitern Gelagen und lernte die griechische Muse kennen, die auf seine
Art zu denken und zu empfinden den größten Einfluß gewann. Aber die glück¬
lichen Tage des akademischen Lebens waren für ihn nicht von langer Dauer.
„Schwere Zeiten," sagt er, „führten mich hinweg von dem werthen Orte."
Julius Cäsar wurde von der römischen Aristokratenpartei ermordet. Der
Bürgerkrieg brach aus, Brutus kam nach Athen, und unter denen, die sich un¬
ter seinem Zeichen schaarten, war auch Horaz. Er erhielt den Posten eines
Legionsobersten, eine Stelle, die für seine besondere Befähigung zeugt, da sie
sonst nur Söhnen von Senatoren verlieben wurde, und folgte in dieser Eigen¬
schaft seinem Oberfeldherrn zuerst nach Macedonien. dann nach Asien, wo er
sich an der Unterwerfung der Lycier betheiligte. Die Schlacht bei Philippi ver¬
setzte der Sache der Republikaner den Todesstoß.

Horaz entkam dem Schwerte der Sieger, oder, wie er sich ausdrückt,
„Mercur rettete ihn aus dem Gedränge und brachte ihn nach Rom — wohl¬
behalten," wenn auch, wie er anderswo bemerkt, „mit gestutzten Fittichen."
Sein väterliches Erbgut konnte der gefällige Gott ihm nicht retten, seine
Oberstenstelle ebensowenig. Horaz, damals zweiundzwanzig Jahre alt, sah sich
auf einen geringen Nest seines Vermögens beschränkt und somit auf den Ver¬
such angewiesen, sich durch Arbeit auf untergeordnetem Gebiet seinen Unterhalt
zu erwerben. Er kaufte sich die Stelle eines Scriba bei dem Quästor, das


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[0511] die erste für das größere gebildete Publicum geschriebene Biographie des Dich¬ ters ist, und die, wenn wir das von uns Bemerkte zwischen den Zeilen lesen, und dem Porträt hier und da ein wenig mehr Schatten geben, in der That ein gutes Bild seines Lebens und seines Charakters gibt. Quintus Horatius Flaccus wurde in der apulischen Landstadt Ve- nusia im Vultur-Gebirge, wo sein Vater, ein Freigelassener und seines Berufs Cvactor oder Abgabeneinforderer, ein Landgut besaß. am 8, December K5 v. Chr. geboren. Er scheint früh schon Talente verrathen zu haben, und so brachte ihn sein Vater, ein Mann soliden Charakters und praktischen Sinnes, nachdem der Knabe sein siebentes Jahr zurückgelegt, nach Rom auf die Schule, die er später mit einer höheren vertauschie, welche von dem alten Orbi- lius. dem berühmteste» Schulmann seiner Zeit geleitet wurde. Bald nachdem er sein achtzehntes Lebensjahr erreicht, begab er. der inzwischen seinen Vater verloren hatte, sich nach Athen, wohin die Mode damals die jungen Römer sandte, einerseits um ihnen die Bekanntschaft mit griechischer Bildung, nament¬ lich griechischer Philosophie zu vermitteln, andrerseits um ihnen den feinen Schliff und die anmuthige Tournüre zu verleihen, welche als Vorrechte der Ultner galten und in Italien ein viclbcgchrter Besitz waren. Der Sohn des Freigelassenen verkehrte hier mit Söhnen der ersten Fa¬ milien Roms, mit einem Massaia, einem Bibulus, einem Servius, ergötzte sich an heitern Gelagen und lernte die griechische Muse kennen, die auf seine Art zu denken und zu empfinden den größten Einfluß gewann. Aber die glück¬ lichen Tage des akademischen Lebens waren für ihn nicht von langer Dauer. „Schwere Zeiten," sagt er, „führten mich hinweg von dem werthen Orte." Julius Cäsar wurde von der römischen Aristokratenpartei ermordet. Der Bürgerkrieg brach aus, Brutus kam nach Athen, und unter denen, die sich un¬ ter seinem Zeichen schaarten, war auch Horaz. Er erhielt den Posten eines Legionsobersten, eine Stelle, die für seine besondere Befähigung zeugt, da sie sonst nur Söhnen von Senatoren verlieben wurde, und folgte in dieser Eigen¬ schaft seinem Oberfeldherrn zuerst nach Macedonien. dann nach Asien, wo er sich an der Unterwerfung der Lycier betheiligte. Die Schlacht bei Philippi ver¬ setzte der Sache der Republikaner den Todesstoß. Horaz entkam dem Schwerte der Sieger, oder, wie er sich ausdrückt, „Mercur rettete ihn aus dem Gedränge und brachte ihn nach Rom — wohl¬ behalten," wenn auch, wie er anderswo bemerkt, „mit gestutzten Fittichen." Sein väterliches Erbgut konnte der gefällige Gott ihm nicht retten, seine Oberstenstelle ebensowenig. Horaz, damals zweiundzwanzig Jahre alt, sah sich auf einen geringen Nest seines Vermögens beschränkt und somit auf den Ver¬ such angewiesen, sich durch Arbeit auf untergeordnetem Gebiet seinen Unterhalt zu erwerben. Er kaufte sich die Stelle eines Scriba bei dem Quästor, das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/511>, abgerufen am 22.12.2024.