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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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1804 gab Hippel den Landrathsposten auf, um sich ganz seiner Wirth¬
schaft, zu widmen. In den Mußestunden setzte er seine humanistischen und po¬
litischen Studien fort und brachte zugleich manche seiner Gedanken und Be¬
obachtungen zu Papier. So eine staatswirthschaftliche Betrachtung über das Ge¬
setz wegen Einziehung der Bauernhöfe. So ferner Vorschläge zur Ausgleichung
des Streites der Stände. So seine Ansichten vom Einfluß der großen Städte
aus das staatswirthschaftliche Element in der Gesetzgebung, die, in unsrer
Schrift mitgetheilt, eine Fülle von reformatorischen Gedanken zeigen. So
endlich einen Plan zu Reformen im Militärwesen, in Bezug auf welches sich
ihm später ein bedeutender Wirkungskreis eröffnen sollte. Manche der hier
verzeichneten Gedanken sind jetzt allgemein durchgeführt, andere, wie die Wahl
eines Theils der Offiziere durch die Soldaten, sind noch fromme Wünsche,
wieder über andere ist die Zeit schon hinausgeeilt. Sehr interessant aber ist,
zu sehen, wie in reformatorisch und organisatorisch angelegten Zeiten wohl¬
meinende und denkende Männer auf verschiedenen Wegen und ohne sich anfangs
zu kennen, zu wesentlich gleichen Zielen gelangen, sich endlich finden und nun
gemeinsam durch Wort und That das für wahr Erkannte zum Gemeingut
Aller machen.

So kam das Unglücksjahr von 1806 heran. Die Kriegsrüstungen Preußens
hatten Hippel nach Berlin geführt. Mit schwerem Herzen, das kommende Unheil
ahnend, kehrte er von dort zurück. Eine gewaltige Krisis schien ihm unvermeid¬
lich, und da sie herannahte, verfaßte er einen Aufruf an die deutsche Jugend,
der ungefähr das enthielt, was das Jahr 1813 forderte und ausführte. "Das
Manuscript," so erzählt er, "das. Beste, was je aus dem Innersten meiner
Seele durch die Feder in Worte gekleidet worden, ging Ende September nach
Berlin und fand dort bei einigen Freunden große Theilnahme. Mit der Zei¬
tung über die Schlacht bei Auerstädt kam mein Manuscript zurück, weil kein
Buchhändler palmisirt sein wollte. Ich vergrub es in einer abgelegenen Gegend
des Forstes in einem Blechkasten und fand es verwittert und unleserlich
wieder."

Die Katastrophe trat ein. Rasch drang Napoleon bis zur Weichsel vor,
und Hippel betheiligte sich lebhaft an den Versuchen, den Widerstand gegen ihn
zu organisiren. Er reichte dem Cabinctsrath Beyme einen Plan zur Errichtung
einer Bürgermiliz ein, die unter dem Vorwande der Nothwendigkeit einer be¬
waffneten Polizei im Rücken des Feindes vor sich gehen sollte, aber von jenem
als unausführbar abgelehnt wurde. Er half Gutes und Schlechtes zur Ab¬
wendung der französischen Requisitionen beschließen und wußte im Verein mit
Dohna und Oelrichs wiederholt Maßregeln durchzusetzen, die den Franzosen
Verlegenheiten brachten und die Landschaft, für die er wirkte, vor Verlusten
bewahrten. Seine eignen Verluste waren groß und zwar um so größer, als


1804 gab Hippel den Landrathsposten auf, um sich ganz seiner Wirth¬
schaft, zu widmen. In den Mußestunden setzte er seine humanistischen und po¬
litischen Studien fort und brachte zugleich manche seiner Gedanken und Be¬
obachtungen zu Papier. So eine staatswirthschaftliche Betrachtung über das Ge¬
setz wegen Einziehung der Bauernhöfe. So ferner Vorschläge zur Ausgleichung
des Streites der Stände. So seine Ansichten vom Einfluß der großen Städte
aus das staatswirthschaftliche Element in der Gesetzgebung, die, in unsrer
Schrift mitgetheilt, eine Fülle von reformatorischen Gedanken zeigen. So
endlich einen Plan zu Reformen im Militärwesen, in Bezug auf welches sich
ihm später ein bedeutender Wirkungskreis eröffnen sollte. Manche der hier
verzeichneten Gedanken sind jetzt allgemein durchgeführt, andere, wie die Wahl
eines Theils der Offiziere durch die Soldaten, sind noch fromme Wünsche,
wieder über andere ist die Zeit schon hinausgeeilt. Sehr interessant aber ist,
zu sehen, wie in reformatorisch und organisatorisch angelegten Zeiten wohl¬
meinende und denkende Männer auf verschiedenen Wegen und ohne sich anfangs
zu kennen, zu wesentlich gleichen Zielen gelangen, sich endlich finden und nun
gemeinsam durch Wort und That das für wahr Erkannte zum Gemeingut
Aller machen.

So kam das Unglücksjahr von 1806 heran. Die Kriegsrüstungen Preußens
hatten Hippel nach Berlin geführt. Mit schwerem Herzen, das kommende Unheil
ahnend, kehrte er von dort zurück. Eine gewaltige Krisis schien ihm unvermeid¬
lich, und da sie herannahte, verfaßte er einen Aufruf an die deutsche Jugend,
der ungefähr das enthielt, was das Jahr 1813 forderte und ausführte. „Das
Manuscript," so erzählt er, „das. Beste, was je aus dem Innersten meiner
Seele durch die Feder in Worte gekleidet worden, ging Ende September nach
Berlin und fand dort bei einigen Freunden große Theilnahme. Mit der Zei¬
tung über die Schlacht bei Auerstädt kam mein Manuscript zurück, weil kein
Buchhändler palmisirt sein wollte. Ich vergrub es in einer abgelegenen Gegend
des Forstes in einem Blechkasten und fand es verwittert und unleserlich
wieder."

Die Katastrophe trat ein. Rasch drang Napoleon bis zur Weichsel vor,
und Hippel betheiligte sich lebhaft an den Versuchen, den Widerstand gegen ihn
zu organisiren. Er reichte dem Cabinctsrath Beyme einen Plan zur Errichtung
einer Bürgermiliz ein, die unter dem Vorwande der Nothwendigkeit einer be¬
waffneten Polizei im Rücken des Feindes vor sich gehen sollte, aber von jenem
als unausführbar abgelehnt wurde. Er half Gutes und Schlechtes zur Ab¬
wendung der französischen Requisitionen beschließen und wußte im Verein mit
Dohna und Oelrichs wiederholt Maßregeln durchzusetzen, die den Franzosen
Verlegenheiten brachten und die Landschaft, für die er wirkte, vor Verlusten
bewahrten. Seine eignen Verluste waren groß und zwar um so größer, als


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[0494] 1804 gab Hippel den Landrathsposten auf, um sich ganz seiner Wirth¬ schaft, zu widmen. In den Mußestunden setzte er seine humanistischen und po¬ litischen Studien fort und brachte zugleich manche seiner Gedanken und Be¬ obachtungen zu Papier. So eine staatswirthschaftliche Betrachtung über das Ge¬ setz wegen Einziehung der Bauernhöfe. So ferner Vorschläge zur Ausgleichung des Streites der Stände. So seine Ansichten vom Einfluß der großen Städte aus das staatswirthschaftliche Element in der Gesetzgebung, die, in unsrer Schrift mitgetheilt, eine Fülle von reformatorischen Gedanken zeigen. So endlich einen Plan zu Reformen im Militärwesen, in Bezug auf welches sich ihm später ein bedeutender Wirkungskreis eröffnen sollte. Manche der hier verzeichneten Gedanken sind jetzt allgemein durchgeführt, andere, wie die Wahl eines Theils der Offiziere durch die Soldaten, sind noch fromme Wünsche, wieder über andere ist die Zeit schon hinausgeeilt. Sehr interessant aber ist, zu sehen, wie in reformatorisch und organisatorisch angelegten Zeiten wohl¬ meinende und denkende Männer auf verschiedenen Wegen und ohne sich anfangs zu kennen, zu wesentlich gleichen Zielen gelangen, sich endlich finden und nun gemeinsam durch Wort und That das für wahr Erkannte zum Gemeingut Aller machen. So kam das Unglücksjahr von 1806 heran. Die Kriegsrüstungen Preußens hatten Hippel nach Berlin geführt. Mit schwerem Herzen, das kommende Unheil ahnend, kehrte er von dort zurück. Eine gewaltige Krisis schien ihm unvermeid¬ lich, und da sie herannahte, verfaßte er einen Aufruf an die deutsche Jugend, der ungefähr das enthielt, was das Jahr 1813 forderte und ausführte. „Das Manuscript," so erzählt er, „das. Beste, was je aus dem Innersten meiner Seele durch die Feder in Worte gekleidet worden, ging Ende September nach Berlin und fand dort bei einigen Freunden große Theilnahme. Mit der Zei¬ tung über die Schlacht bei Auerstädt kam mein Manuscript zurück, weil kein Buchhändler palmisirt sein wollte. Ich vergrub es in einer abgelegenen Gegend des Forstes in einem Blechkasten und fand es verwittert und unleserlich wieder." Die Katastrophe trat ein. Rasch drang Napoleon bis zur Weichsel vor, und Hippel betheiligte sich lebhaft an den Versuchen, den Widerstand gegen ihn zu organisiren. Er reichte dem Cabinctsrath Beyme einen Plan zur Errichtung einer Bürgermiliz ein, die unter dem Vorwande der Nothwendigkeit einer be¬ waffneten Polizei im Rücken des Feindes vor sich gehen sollte, aber von jenem als unausführbar abgelehnt wurde. Er half Gutes und Schlechtes zur Ab¬ wendung der französischen Requisitionen beschließen und wußte im Verein mit Dohna und Oelrichs wiederholt Maßregeln durchzusetzen, die den Franzosen Verlegenheiten brachten und die Landschaft, für die er wirkte, vor Verlusten bewahrten. Seine eignen Verluste waren groß und zwar um so größer, als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/494>, abgerufen am 23.12.2024.