Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Stellung unter den Nachbarn und gewährten ihm die Mittel zu außerordent¬
lichen patriotischen Opfern, waren ihm'aber nie ein ruhiges Asyl zur Erholung
nach Anstrengungen und Kränkungen im öffentlichen Dienste, sondern immer
eine'Quelle von Verdruß, Sorgen und Verlegenheiten.

Im Mai 1796 empfand Hippel zum ersten Mal das Gewicht selbständiger
und Verantwortlicher Amtsthätigkeit, indem er den Auftrag erhielt, als könig¬
licher Commissarius von einem Theile des bialystockcr Departements Besitz zu
nehmen. Er vollzog denselben zur Zufriedenheit seiner Vorgesetzten, verfiel
aber um diese Zeit in einen Zustand der Unruhe, der Blasirtheit und des
Weltschmerzes, eine Art Faust-Stimmung, die ihn die schwermütigsten Briefe
an Hoffmann schreiben und sogar an den Austritt aus dem Staatsdienst denken
ließ. Indeß wurde er durch den Präsidenten v. Schroeter zum Bleiben be¬
stimmt, da er aus dem Gespräch mit diesem die Hoffnung schöpfte, bald eine
einflußreiche Stellung zu erhalten. Im Anfang des Jahres 1798 verheira¬
thete er sich mit Jeannette v. Gruszczynski, und, jetzt innerlich beruhigt und
geklärt, wirkte er von Neuem mit Lust und Eifer im Kreise der ihm angewie¬
senen Thätigkeit, und mehr und mehr entfalteten sich nun die ihm verliehenen
edlen Kräfte zum Besten seiner Umgebung und allmälig des gesammten Vater¬
landes.

Zunächst war er, der als Student bei Kraus dieselben volkswirtschaftlichen
Grundsätze eingesogen, wie Schön, Schroeter und Auerswald, die von 1807
an so eifrig an der Bildung eines tüchtigen preußischen Bauernstandes arbeite¬
ten, unter seinen Standesgenossen vorzüglich für Aufhebung der Erbunterthänig-
keit thätig. 1799 nahm er die ihm angetragncn Aemter eines Landraths des
michelauschen und eines Kreisjustizrathes des marienwerderschen Kreises an.
Im Jahre darauf bestand er die große Prüfung in Berlin. worauf ihm der
Minister v. Schroeter Sitz und Stimme in der Kriegs- und Domänenkammcr
zu Marienwerder einräumte. Hier gefiel er sich jetzt weit besser als früher,
wo ihm die Stadt als "elendes fatales Nest", als "Perückenstocksnarrennest"
erschienen war. Seine Vorgesetzten und College" waren meist tüchtige Staats¬
männer aus der königsberger Schule und unterschieden sich wesentlich von jenen
alten Herren mit den langen Westenschößen, die uns Pertz im ersten Theil
von Steins Leben schildert, und unter denen wissenschaftliche Bildung eine
Seltenheit und Theilnahme an der Literatur als Crimen angesehen war, so daß
ein Candidat, der die Frage, ob Beschäftigung mit den Wissenschaften für den
Beamtenstand passend sei, bedingt bejaht hatte, seine Arbeit mit dem Bemerken
zurückerhielt, daß solche Meinungen ganz unstatthaft seien. Man erwies Hippel
hier besonderes Vertrauen, ertheilte ihm ehrenvolle Aufträge und fand in ihm
einen Mitarbeiter von gesundem praktischen Blick, der nach verschiedenen Seiten
hin Reformen anregte, welche wo nicht jetzt, doch später ins Leben traten.


61"

Stellung unter den Nachbarn und gewährten ihm die Mittel zu außerordent¬
lichen patriotischen Opfern, waren ihm'aber nie ein ruhiges Asyl zur Erholung
nach Anstrengungen und Kränkungen im öffentlichen Dienste, sondern immer
eine'Quelle von Verdruß, Sorgen und Verlegenheiten.

Im Mai 1796 empfand Hippel zum ersten Mal das Gewicht selbständiger
und Verantwortlicher Amtsthätigkeit, indem er den Auftrag erhielt, als könig¬
licher Commissarius von einem Theile des bialystockcr Departements Besitz zu
nehmen. Er vollzog denselben zur Zufriedenheit seiner Vorgesetzten, verfiel
aber um diese Zeit in einen Zustand der Unruhe, der Blasirtheit und des
Weltschmerzes, eine Art Faust-Stimmung, die ihn die schwermütigsten Briefe
an Hoffmann schreiben und sogar an den Austritt aus dem Staatsdienst denken
ließ. Indeß wurde er durch den Präsidenten v. Schroeter zum Bleiben be¬
stimmt, da er aus dem Gespräch mit diesem die Hoffnung schöpfte, bald eine
einflußreiche Stellung zu erhalten. Im Anfang des Jahres 1798 verheira¬
thete er sich mit Jeannette v. Gruszczynski, und, jetzt innerlich beruhigt und
geklärt, wirkte er von Neuem mit Lust und Eifer im Kreise der ihm angewie¬
senen Thätigkeit, und mehr und mehr entfalteten sich nun die ihm verliehenen
edlen Kräfte zum Besten seiner Umgebung und allmälig des gesammten Vater¬
landes.

Zunächst war er, der als Student bei Kraus dieselben volkswirtschaftlichen
Grundsätze eingesogen, wie Schön, Schroeter und Auerswald, die von 1807
an so eifrig an der Bildung eines tüchtigen preußischen Bauernstandes arbeite¬
ten, unter seinen Standesgenossen vorzüglich für Aufhebung der Erbunterthänig-
keit thätig. 1799 nahm er die ihm angetragncn Aemter eines Landraths des
michelauschen und eines Kreisjustizrathes des marienwerderschen Kreises an.
Im Jahre darauf bestand er die große Prüfung in Berlin. worauf ihm der
Minister v. Schroeter Sitz und Stimme in der Kriegs- und Domänenkammcr
zu Marienwerder einräumte. Hier gefiel er sich jetzt weit besser als früher,
wo ihm die Stadt als „elendes fatales Nest", als „Perückenstocksnarrennest"
erschienen war. Seine Vorgesetzten und College» waren meist tüchtige Staats¬
männer aus der königsberger Schule und unterschieden sich wesentlich von jenen
alten Herren mit den langen Westenschößen, die uns Pertz im ersten Theil
von Steins Leben schildert, und unter denen wissenschaftliche Bildung eine
Seltenheit und Theilnahme an der Literatur als Crimen angesehen war, so daß
ein Candidat, der die Frage, ob Beschäftigung mit den Wissenschaften für den
Beamtenstand passend sei, bedingt bejaht hatte, seine Arbeit mit dem Bemerken
zurückerhielt, daß solche Meinungen ganz unstatthaft seien. Man erwies Hippel
hier besonderes Vertrauen, ertheilte ihm ehrenvolle Aufträge und fand in ihm
einen Mitarbeiter von gesundem praktischen Blick, der nach verschiedenen Seiten
hin Reformen anregte, welche wo nicht jetzt, doch später ins Leben traten.


61"
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0493" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/115885"/>
          <p xml:id="ID_1482" prev="#ID_1481"> Stellung unter den Nachbarn und gewährten ihm die Mittel zu außerordent¬<lb/>
lichen patriotischen Opfern, waren ihm'aber nie ein ruhiges Asyl zur Erholung<lb/>
nach Anstrengungen und Kränkungen im öffentlichen Dienste, sondern immer<lb/>
eine'Quelle von Verdruß, Sorgen und Verlegenheiten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1483"> Im Mai 1796 empfand Hippel zum ersten Mal das Gewicht selbständiger<lb/>
und Verantwortlicher Amtsthätigkeit, indem er den Auftrag erhielt, als könig¬<lb/>
licher Commissarius von einem Theile des bialystockcr Departements Besitz zu<lb/>
nehmen. Er vollzog denselben zur Zufriedenheit seiner Vorgesetzten, verfiel<lb/>
aber um diese Zeit in einen Zustand der Unruhe, der Blasirtheit und des<lb/>
Weltschmerzes, eine Art Faust-Stimmung, die ihn die schwermütigsten Briefe<lb/>
an Hoffmann schreiben und sogar an den Austritt aus dem Staatsdienst denken<lb/>
ließ. Indeß wurde er durch den Präsidenten v. Schroeter zum Bleiben be¬<lb/>
stimmt, da er aus dem Gespräch mit diesem die Hoffnung schöpfte, bald eine<lb/>
einflußreiche Stellung zu erhalten. Im Anfang des Jahres 1798 verheira¬<lb/>
thete er sich mit Jeannette v. Gruszczynski, und, jetzt innerlich beruhigt und<lb/>
geklärt, wirkte er von Neuem mit Lust und Eifer im Kreise der ihm angewie¬<lb/>
senen Thätigkeit, und mehr und mehr entfalteten sich nun die ihm verliehenen<lb/>
edlen Kräfte zum Besten seiner Umgebung und allmälig des gesammten Vater¬<lb/>
landes.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1484"> Zunächst war er, der als Student bei Kraus dieselben volkswirtschaftlichen<lb/>
Grundsätze eingesogen, wie Schön, Schroeter und Auerswald, die von 1807<lb/>
an so eifrig an der Bildung eines tüchtigen preußischen Bauernstandes arbeite¬<lb/>
ten, unter seinen Standesgenossen vorzüglich für Aufhebung der Erbunterthänig-<lb/>
keit thätig. 1799 nahm er die ihm angetragncn Aemter eines Landraths des<lb/>
michelauschen und eines Kreisjustizrathes des marienwerderschen Kreises an.<lb/>
Im Jahre darauf bestand er die große Prüfung in Berlin. worauf ihm der<lb/>
Minister v. Schroeter Sitz und Stimme in der Kriegs- und Domänenkammcr<lb/>
zu Marienwerder einräumte. Hier gefiel er sich jetzt weit besser als früher,<lb/>
wo ihm die Stadt als &#x201E;elendes fatales Nest", als &#x201E;Perückenstocksnarrennest"<lb/>
erschienen war. Seine Vorgesetzten und College» waren meist tüchtige Staats¬<lb/>
männer aus der königsberger Schule und unterschieden sich wesentlich von jenen<lb/>
alten Herren mit den langen Westenschößen, die uns Pertz im ersten Theil<lb/>
von Steins Leben schildert, und unter denen wissenschaftliche Bildung eine<lb/>
Seltenheit und Theilnahme an der Literatur als Crimen angesehen war, so daß<lb/>
ein Candidat, der die Frage, ob Beschäftigung mit den Wissenschaften für den<lb/>
Beamtenstand passend sei, bedingt bejaht hatte, seine Arbeit mit dem Bemerken<lb/>
zurückerhielt, daß solche Meinungen ganz unstatthaft seien. Man erwies Hippel<lb/>
hier besonderes Vertrauen, ertheilte ihm ehrenvolle Aufträge und fand in ihm<lb/>
einen Mitarbeiter von gesundem praktischen Blick, der nach verschiedenen Seiten<lb/>
hin Reformen anregte, welche wo nicht jetzt, doch später ins Leben traten.</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 61"</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0493] Stellung unter den Nachbarn und gewährten ihm die Mittel zu außerordent¬ lichen patriotischen Opfern, waren ihm'aber nie ein ruhiges Asyl zur Erholung nach Anstrengungen und Kränkungen im öffentlichen Dienste, sondern immer eine'Quelle von Verdruß, Sorgen und Verlegenheiten. Im Mai 1796 empfand Hippel zum ersten Mal das Gewicht selbständiger und Verantwortlicher Amtsthätigkeit, indem er den Auftrag erhielt, als könig¬ licher Commissarius von einem Theile des bialystockcr Departements Besitz zu nehmen. Er vollzog denselben zur Zufriedenheit seiner Vorgesetzten, verfiel aber um diese Zeit in einen Zustand der Unruhe, der Blasirtheit und des Weltschmerzes, eine Art Faust-Stimmung, die ihn die schwermütigsten Briefe an Hoffmann schreiben und sogar an den Austritt aus dem Staatsdienst denken ließ. Indeß wurde er durch den Präsidenten v. Schroeter zum Bleiben be¬ stimmt, da er aus dem Gespräch mit diesem die Hoffnung schöpfte, bald eine einflußreiche Stellung zu erhalten. Im Anfang des Jahres 1798 verheira¬ thete er sich mit Jeannette v. Gruszczynski, und, jetzt innerlich beruhigt und geklärt, wirkte er von Neuem mit Lust und Eifer im Kreise der ihm angewie¬ senen Thätigkeit, und mehr und mehr entfalteten sich nun die ihm verliehenen edlen Kräfte zum Besten seiner Umgebung und allmälig des gesammten Vater¬ landes. Zunächst war er, der als Student bei Kraus dieselben volkswirtschaftlichen Grundsätze eingesogen, wie Schön, Schroeter und Auerswald, die von 1807 an so eifrig an der Bildung eines tüchtigen preußischen Bauernstandes arbeite¬ ten, unter seinen Standesgenossen vorzüglich für Aufhebung der Erbunterthänig- keit thätig. 1799 nahm er die ihm angetragncn Aemter eines Landraths des michelauschen und eines Kreisjustizrathes des marienwerderschen Kreises an. Im Jahre darauf bestand er die große Prüfung in Berlin. worauf ihm der Minister v. Schroeter Sitz und Stimme in der Kriegs- und Domänenkammcr zu Marienwerder einräumte. Hier gefiel er sich jetzt weit besser als früher, wo ihm die Stadt als „elendes fatales Nest", als „Perückenstocksnarrennest" erschienen war. Seine Vorgesetzten und College» waren meist tüchtige Staats¬ männer aus der königsberger Schule und unterschieden sich wesentlich von jenen alten Herren mit den langen Westenschößen, die uns Pertz im ersten Theil von Steins Leben schildert, und unter denen wissenschaftliche Bildung eine Seltenheit und Theilnahme an der Literatur als Crimen angesehen war, so daß ein Candidat, der die Frage, ob Beschäftigung mit den Wissenschaften für den Beamtenstand passend sei, bedingt bejaht hatte, seine Arbeit mit dem Bemerken zurückerhielt, daß solche Meinungen ganz unstatthaft seien. Man erwies Hippel hier besonderes Vertrauen, ertheilte ihm ehrenvolle Aufträge und fand in ihm einen Mitarbeiter von gesundem praktischen Blick, der nach verschiedenen Seiten hin Reformen anregte, welche wo nicht jetzt, doch später ins Leben traten. 61"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/493
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/493>, abgerufen am 22.12.2024.