Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

von einzelnen Stimmen liberaler Preußen und süddeutscher Demokraten an¬
gegriffen, drückte doch die Bedenken unserer Partei gerade so temperirt aus,
daß dies Verbiet die Grundlage werden konnte, auf welcher im Süden und
Norden das Volk selbst den innern Befreiungsproceß von den ersten üoer-
raschenden Eindrücken vollzog. Auf jeder der spätern Versammlungen des
Nationalvereins und seiner Gesinnungsgenossen wurde die Opposition dagegen
entschiedener. Und während die Bevölkerung der Residenzstädte noch einzelnen
heimkehrenden Fürsten festlichen Empfang bereitete, war bereits das verwerfende
Urtheil besonnener Männer festgestellt, und es dringt jetzt auf tausend Wegen
in das Volk. Daß diese innere Befreiung kommen würde, ließ sich von dem
verständigen Sinn der Deutschen erwarten; daß sie so schnell und gründlich c>n-
grifs, ist doch ein gutes-Zeichen der Fortschritte, welche die Nation in den letz¬
ten zehn Jahren gemacht hat.

Aber etwas Anderes ist nicht leicht erklärlich. Die positiven Resultate des
Fürstentages stehn in einem merkwürdigen Mißverhältniß zu der gehobenen
Stimmung, mit welcher die versammelten Mitglieder des Congresses ihre Ar¬
beit bis zum Ende betrachteten. Auch die dreiundzwanzig Regierungen, welche
der Reformacte beistimmten und dieselbe für sich verbindlich erklärten, bis einer
der nicht anwesenden Staaten, d. h. Preußen, dieselbe ablehnen oder Gegen¬
vorschläge machen würde, haben damit thatsächlich nichts Anderes erklärt, als
daß ihr Werk nichtig sei, im Fall Preußen nicht annähme. Und doch blieb
den hohen Herren bis zum Ende die Empfindung, daß sie ein großes Werk
zum Abschluß gebracht hätten. Wenn nur die Fürsten sich diesem Gefühl
hingegeben hätten, so.wäre das allerdings Richt unnatürlich. Unsre erlauchten
Herren hatten in zehn Sitzungen die neue und ihrem Selbstgefühl wohlthuende
Thätigkeit einer großen Pairsconferenz aufgewandt und durften sich wohl
der Ansicht hingeben, daß das etwas Bedeutendes sein müsse, was >ihnen
selbst so viele Unbequemlichkeit gemacht hatte. Aber daß auch die Vertreter der
freien Städte, welche allerdings von dem Kaiser und den Fürsten mit kluger
Zuvorkommenheit als ihres Gleichen behandelt wurden, dem Zauber dieser
Tage so sehr unterlagen und, wie verlautet, der Freude über das gelungene
Werk noch in der letzten Stunde lebhaften Ausdruck gaben, das ist doch sehr
auffallend.

Um so größer wird Hochachtung und Dank gegen die Regierung des ein¬
zigen Staates, welcher von Anfang allein in entschlossenen Gegensatz zu dem
kaiserlichen Ptoject getreten ist und in jedem Stadium der Verhandlungen seinen
Standpunkt mannhaft gewahrt hat. Der Großherzog von Baden war in
dem vergangenen Monat nicht nur der Souverain, welcher die Pflicht gegen
die Nation in großem Sinne geübt hat, er war in der That der erste muthige
und feste Berather der nationalen Partei. Denn seine Auffassung hat den noch


von einzelnen Stimmen liberaler Preußen und süddeutscher Demokraten an¬
gegriffen, drückte doch die Bedenken unserer Partei gerade so temperirt aus,
daß dies Verbiet die Grundlage werden konnte, auf welcher im Süden und
Norden das Volk selbst den innern Befreiungsproceß von den ersten üoer-
raschenden Eindrücken vollzog. Auf jeder der spätern Versammlungen des
Nationalvereins und seiner Gesinnungsgenossen wurde die Opposition dagegen
entschiedener. Und während die Bevölkerung der Residenzstädte noch einzelnen
heimkehrenden Fürsten festlichen Empfang bereitete, war bereits das verwerfende
Urtheil besonnener Männer festgestellt, und es dringt jetzt auf tausend Wegen
in das Volk. Daß diese innere Befreiung kommen würde, ließ sich von dem
verständigen Sinn der Deutschen erwarten; daß sie so schnell und gründlich c>n-
grifs, ist doch ein gutes-Zeichen der Fortschritte, welche die Nation in den letz¬
ten zehn Jahren gemacht hat.

Aber etwas Anderes ist nicht leicht erklärlich. Die positiven Resultate des
Fürstentages stehn in einem merkwürdigen Mißverhältniß zu der gehobenen
Stimmung, mit welcher die versammelten Mitglieder des Congresses ihre Ar¬
beit bis zum Ende betrachteten. Auch die dreiundzwanzig Regierungen, welche
der Reformacte beistimmten und dieselbe für sich verbindlich erklärten, bis einer
der nicht anwesenden Staaten, d. h. Preußen, dieselbe ablehnen oder Gegen¬
vorschläge machen würde, haben damit thatsächlich nichts Anderes erklärt, als
daß ihr Werk nichtig sei, im Fall Preußen nicht annähme. Und doch blieb
den hohen Herren bis zum Ende die Empfindung, daß sie ein großes Werk
zum Abschluß gebracht hätten. Wenn nur die Fürsten sich diesem Gefühl
hingegeben hätten, so.wäre das allerdings Richt unnatürlich. Unsre erlauchten
Herren hatten in zehn Sitzungen die neue und ihrem Selbstgefühl wohlthuende
Thätigkeit einer großen Pairsconferenz aufgewandt und durften sich wohl
der Ansicht hingeben, daß das etwas Bedeutendes sein müsse, was >ihnen
selbst so viele Unbequemlichkeit gemacht hatte. Aber daß auch die Vertreter der
freien Städte, welche allerdings von dem Kaiser und den Fürsten mit kluger
Zuvorkommenheit als ihres Gleichen behandelt wurden, dem Zauber dieser
Tage so sehr unterlagen und, wie verlautet, der Freude über das gelungene
Werk noch in der letzten Stunde lebhaften Ausdruck gaben, das ist doch sehr
auffallend.

Um so größer wird Hochachtung und Dank gegen die Regierung des ein¬
zigen Staates, welcher von Anfang allein in entschlossenen Gegensatz zu dem
kaiserlichen Ptoject getreten ist und in jedem Stadium der Verhandlungen seinen
Standpunkt mannhaft gewahrt hat. Der Großherzog von Baden war in
dem vergangenen Monat nicht nur der Souverain, welcher die Pflicht gegen
die Nation in großem Sinne geübt hat, er war in der That der erste muthige
und feste Berather der nationalen Partei. Denn seine Auffassung hat den noch


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0479" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/115871"/>
          <p xml:id="ID_1438" prev="#ID_1437"> von einzelnen Stimmen liberaler Preußen und süddeutscher Demokraten an¬<lb/>
gegriffen, drückte doch die Bedenken unserer Partei gerade so temperirt aus,<lb/>
daß dies Verbiet die Grundlage werden konnte, auf welcher im Süden und<lb/>
Norden das Volk selbst den innern Befreiungsproceß von den ersten üoer-<lb/>
raschenden Eindrücken vollzog. Auf jeder der spätern Versammlungen des<lb/>
Nationalvereins und seiner Gesinnungsgenossen wurde die Opposition dagegen<lb/>
entschiedener. Und während die Bevölkerung der Residenzstädte noch einzelnen<lb/>
heimkehrenden Fürsten festlichen Empfang bereitete, war bereits das verwerfende<lb/>
Urtheil besonnener Männer festgestellt, und es dringt jetzt auf tausend Wegen<lb/>
in das Volk. Daß diese innere Befreiung kommen würde, ließ sich von dem<lb/>
verständigen Sinn der Deutschen erwarten; daß sie so schnell und gründlich c&gt;n-<lb/>
grifs, ist doch ein gutes-Zeichen der Fortschritte, welche die Nation in den letz¬<lb/>
ten zehn Jahren gemacht hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1439"> Aber etwas Anderes ist nicht leicht erklärlich. Die positiven Resultate des<lb/>
Fürstentages stehn in einem merkwürdigen Mißverhältniß zu der gehobenen<lb/>
Stimmung, mit welcher die versammelten Mitglieder des Congresses ihre Ar¬<lb/>
beit bis zum Ende betrachteten. Auch die dreiundzwanzig Regierungen, welche<lb/>
der Reformacte beistimmten und dieselbe für sich verbindlich erklärten, bis einer<lb/>
der nicht anwesenden Staaten, d. h. Preußen, dieselbe ablehnen oder Gegen¬<lb/>
vorschläge machen würde, haben damit thatsächlich nichts Anderes erklärt, als<lb/>
daß ihr Werk nichtig sei, im Fall Preußen nicht annähme. Und doch blieb<lb/>
den hohen Herren bis zum Ende die Empfindung, daß sie ein großes Werk<lb/>
zum Abschluß gebracht hätten. Wenn nur die Fürsten sich diesem Gefühl<lb/>
hingegeben hätten, so.wäre das allerdings Richt unnatürlich. Unsre erlauchten<lb/>
Herren hatten in zehn Sitzungen die neue und ihrem Selbstgefühl wohlthuende<lb/>
Thätigkeit einer großen Pairsconferenz aufgewandt und durften sich wohl<lb/>
der Ansicht hingeben, daß das etwas Bedeutendes sein müsse, was &gt;ihnen<lb/>
selbst so viele Unbequemlichkeit gemacht hatte. Aber daß auch die Vertreter der<lb/>
freien Städte, welche allerdings von dem Kaiser und den Fürsten mit kluger<lb/>
Zuvorkommenheit als ihres Gleichen behandelt wurden, dem Zauber dieser<lb/>
Tage so sehr unterlagen und, wie verlautet, der Freude über das gelungene<lb/>
Werk noch in der letzten Stunde lebhaften Ausdruck gaben, das ist doch sehr<lb/>
auffallend.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1440" next="#ID_1441"> Um so größer wird Hochachtung und Dank gegen die Regierung des ein¬<lb/>
zigen Staates, welcher von Anfang allein in entschlossenen Gegensatz zu dem<lb/>
kaiserlichen Ptoject getreten ist und in jedem Stadium der Verhandlungen seinen<lb/>
Standpunkt mannhaft gewahrt hat. Der Großherzog von Baden war in<lb/>
dem vergangenen Monat nicht nur der Souverain, welcher die Pflicht gegen<lb/>
die Nation in großem Sinne geübt hat, er war in der That der erste muthige<lb/>
und feste Berather der nationalen Partei. Denn seine Auffassung hat den noch</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0479] von einzelnen Stimmen liberaler Preußen und süddeutscher Demokraten an¬ gegriffen, drückte doch die Bedenken unserer Partei gerade so temperirt aus, daß dies Verbiet die Grundlage werden konnte, auf welcher im Süden und Norden das Volk selbst den innern Befreiungsproceß von den ersten üoer- raschenden Eindrücken vollzog. Auf jeder der spätern Versammlungen des Nationalvereins und seiner Gesinnungsgenossen wurde die Opposition dagegen entschiedener. Und während die Bevölkerung der Residenzstädte noch einzelnen heimkehrenden Fürsten festlichen Empfang bereitete, war bereits das verwerfende Urtheil besonnener Männer festgestellt, und es dringt jetzt auf tausend Wegen in das Volk. Daß diese innere Befreiung kommen würde, ließ sich von dem verständigen Sinn der Deutschen erwarten; daß sie so schnell und gründlich c>n- grifs, ist doch ein gutes-Zeichen der Fortschritte, welche die Nation in den letz¬ ten zehn Jahren gemacht hat. Aber etwas Anderes ist nicht leicht erklärlich. Die positiven Resultate des Fürstentages stehn in einem merkwürdigen Mißverhältniß zu der gehobenen Stimmung, mit welcher die versammelten Mitglieder des Congresses ihre Ar¬ beit bis zum Ende betrachteten. Auch die dreiundzwanzig Regierungen, welche der Reformacte beistimmten und dieselbe für sich verbindlich erklärten, bis einer der nicht anwesenden Staaten, d. h. Preußen, dieselbe ablehnen oder Gegen¬ vorschläge machen würde, haben damit thatsächlich nichts Anderes erklärt, als daß ihr Werk nichtig sei, im Fall Preußen nicht annähme. Und doch blieb den hohen Herren bis zum Ende die Empfindung, daß sie ein großes Werk zum Abschluß gebracht hätten. Wenn nur die Fürsten sich diesem Gefühl hingegeben hätten, so.wäre das allerdings Richt unnatürlich. Unsre erlauchten Herren hatten in zehn Sitzungen die neue und ihrem Selbstgefühl wohlthuende Thätigkeit einer großen Pairsconferenz aufgewandt und durften sich wohl der Ansicht hingeben, daß das etwas Bedeutendes sein müsse, was >ihnen selbst so viele Unbequemlichkeit gemacht hatte. Aber daß auch die Vertreter der freien Städte, welche allerdings von dem Kaiser und den Fürsten mit kluger Zuvorkommenheit als ihres Gleichen behandelt wurden, dem Zauber dieser Tage so sehr unterlagen und, wie verlautet, der Freude über das gelungene Werk noch in der letzten Stunde lebhaften Ausdruck gaben, das ist doch sehr auffallend. Um so größer wird Hochachtung und Dank gegen die Regierung des ein¬ zigen Staates, welcher von Anfang allein in entschlossenen Gegensatz zu dem kaiserlichen Ptoject getreten ist und in jedem Stadium der Verhandlungen seinen Standpunkt mannhaft gewahrt hat. Der Großherzog von Baden war in dem vergangenen Monat nicht nur der Souverain, welcher die Pflicht gegen die Nation in großem Sinne geübt hat, er war in der That der erste muthige und feste Berather der nationalen Partei. Denn seine Auffassung hat den noch

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/479
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/479>, abgerufen am 28.07.2024.